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Archiv-Artikel

Deutscher in Afghanistan verschleppt

Noch ist unklar, ob der in der westafghanischen Provinz Herat lebende Deutsche von Taliban oder Kriminellen entführt oder Opfer persönlicher Rache wurde. Früher arbeitete er in der Region für die Hilfsorganisation Grünhelme von Rupert Neudeck

VON SVEN HANSEN

In der westafghanischen Provinz Herat ist nach Polizeiangaben ein Deutscher verschleppt worden. Unbekannte Bewaffnete hätten am Sonntagabend das Auto mit dem Deutschen, seiner afghanischen Frau und seinem Schwager gestoppt und den Deutschen aus dem Wagen gezerrt, sagte Herats Polizeichef Juma Azim mehreren Nachrichtenagenturen. Die Polizei habe die Suche nach dem Mann aufgenommen, der vor vier oder fünf Jahren nach Herat gekommen und zum Islam konvertiert sei. Die Ehefrau und der Schwager seien nicht verschleppt worden, so der Polizeichef. Den Angaben nach waren die drei auf dem Rückweg von den Eltern der Frau.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete, bei dem Deutschen handele es sich um den 42-jährigen Harald K., einem Tischlermeister aus dem oberpfälzischen Amberg. Laut dem Blatt wurden auch seine Frau und das gemeinsame Kind entführt. Laut Polizeichef Azim stecken möglicherweise familiäre Motive hinter der Tat. Die afghanische Frau sei mit einem Afghanen verheiratet gewesen, den sie wegen des Deutschen verlassen habe. Das sei in Afghanistan sehr ungewöhnlich. Das Auswärtige Amt in Berlin teilte nur mit, Hinweisen auf eine mögliche Entführung nachzugehen: „Wir bemühen uns um Aufklärung.“

Harald K. könnte allerdings auch von Taliban oder Kriminellen entführt worden sein. Letztere könnten ihr Opfer wie bereits in früheren Fällen geschehen auch an andere Gruppen verkaufen. Dies könnte dann den Preis möglicher Forderungen erhöhen und Verhandlungen über eine Freilassung erschweren.

Der afghanische Handels- und Industrieminister Armin Farhang, der Harald K. kennt, beschrieb ihn in der Neuen Osnabrücker Zeitung als einen „guten Muslim“ und „großen Helfer und Freund der Afghanen“. Wichtige afghanische Stammesführer seien in den Fall eingeschaltet worden.

Harald K. kam 2003 für die von Rupert Neudeck gegründete Organisation Grünhelme nach Afghanistan und half für eineinhalb Jahre im Dorf Toteschi nahe der turkmenischen Grenze, 110 Kilometer nordwestlich der Stadt Herat, beim Aufbau einer Tischlerwerkstatt. Nach Abschluss seines Vertrags blieb er vor Ort und versuchte, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Die Grünhelme beschäftigen heute in Afghanistan außer einem Deutschafghanen, der die Hilfsarbeiten vor Ort koordiniert, nur noch einheimische Mitarbeiter. Hauptgrund ist die Angst vor Entführungen.

Laut Vertretern der Bündnisgrünen in Amberg wollte Harald. K. für die Partei 2003 in den bayerischen Landtag gewählt werden. Er sei damals als Kandidat in seiner Heimatstadt Amberg vorgesehen, habe die Kandidatur aber kurz vor der Wahl zurückgezogen, sagten Parteivertreter der dpa. Grund für den Rückzug sei ein laufendes Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Konkurs eines Internet-Cafés gewesen, an dem er beteiligt gewesen sei. Kurz darauf sei er nach Afghanistan gegangen.

Der Tischler ist der fünfte Deutsche, der in diesem Jahr in Afghanistan verschleppt wurde. Am 10. Oktober kam der Ingenieur Rudolf Blechschmidt nach fast dreimonatiger Geiselhaft frei. Er war zusammen mit seinem Kollegen Rüdiger D. in Wardak entführt worden, der nach einem Kollaps erschossen worden war. (Mit dpa, afp, ap)