piwik no script img

Deutscher Alleingang gefordertEU flüchtet vor Flüchtlingsproblem

Die EU beschließt keine Aufnahme irakischer Flüchtlinge. Nun fordern Politiker, Kirchen und Verbände einen deutschen Alleingang und die Ansiedlung von 30.000 Flüchtlingen.

ProAsyl und die Kirchen fordern, dass Deutschland irakischen Flüchtlingen Asyl gewährt. Bild: dpa

Die Entführer warteten vor der Schule. Als der achtjährige Junge die Straße der irakischen Hauptstadt Bagdad entlangkam, rissen die Milizionäre ihn in ihr Auto. Die christliche Familie sah ihren Sohn erst wieder, nachdem sie den Entführern 10.000 US-Dollar bezahlt hatte - dann übergossen sie den Jungen mit Säure und ließen ihn frei. Nach weiteren Drohungen floh die fünfköpfige Familie in die syrische Hauptstadt Damaskus. "Der Entführungsfall ist ein Normalfall", sagt Otmar Oehring vom Hilfswerk missio, der die Familie besucht hat.

In Syrien und Jordanien leben mehr als zwei Millionen irakische Flüchtlinge. Viele von ihnen sind schwer traumatisiert oder verletzt. Viele sind Christen oder gehören anderen religiösen Minderheiten an. Ihre Hoffnungen auf einen Neuanfang in Europa haben nun einen schweren Dämpfer erhalten. Denn die EU-Innen- und Justizminister werden nach Ansicht von Beobachtern bei ihrem Treffen am Donnerstag erneut keine Aufnahmeregelung beschließen. "Es wird nicht entschieden werden", sagte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Flüchtlingsorganisationen sehen die Vertagung als schweren Schlag für die Flüchtlinge. Die EU-Minister hatten das Thema bereits im Mai und im Juli vor sich hergeschoben. "Das ist keine Vertagung auf den November, das ist eine Vertagung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag", sagte eine Sprecherin von Pro Asyl. "Die Bundesregierung darf sich im Falle eines Aufschubs nicht hinter der EU verstecken, sondern muss handeln."

Politiker, Kirchen und Verbände fordern nun einen Alleingang. Wie von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) angekündigt, solle Deutschland besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen eine neue Heimat bieten. "Ich erwarte von der Regierung, dass sie Schäubles Ankündigung wahrmacht und eine Zahl X aufnimmt", sagte Körting. Pro Asyl und Amnesty International sprechen sich dafür aus, 30.000 Menschen Zuflucht zu gewähren.

Damit das passieren kann, müssen sich Schäuble und die Innenminister der 16 Bundesländer einigen. Im Grunde taten sie das schon im April, aber seitdem schießen insbesondere die unionsregierten Länder Niedersachsen und Bayern gegen das Vorhaben. Die damalige "grundsätzliche Zustimmung" aller Länder sei "unter der Voraussetzung einer EU-weiten Einigung besprochen worden", sagte eine Sprecherin von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der Vorsitzender der Innenministerkonferenz ist. Ein Sprecher von Schäuble sagte, man wolle "nur im Rahmen einer europäischen Lösung" Flüchtlinge aufnehmen. Gegenwind kommt von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Besonders die Kirchen appellieren an die Politik, zu handeln. Unter den Flüchtlingen sind zahlreiche Christen. Schäuble hatte bei seinem ersten EU-Vorstoß im Mai mit der Forderung für Irritation gesorgt, ausschließlich Christen aufzunehmen. Kirchen und Organisationen wollen die Flüchtlinge nicht nach ihrer Religion auswählen, sondern danach, wie schutzbedürftig sie sind.

Wenn eine Ansiedlung der Iraker gelingt, könnte sie der Einstieg in eine neue Flüchtlingspolitik sein. Die Organisationen fordern, dass die EU dauerhaft Flüchtlinge aufnimmt. Laut Pro Asyl wäre die Aufnahme der Iraker "dabei erst mal ein Anfang".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • K
    Kramski

    Die Staaten der sogen. "Koalition der Willigen" ( USA, GB, Polen...)wären als Erste an der Reihe zu helfen. Wegen deren völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen den Irak ist diese Lage entstanden. Erstaunlicherweise ist in den Artikeln keine Aufforderung in diese Richtung. Und außerdem, woher wissen 'Politiker, Kirchen und Verbände' denn, daß die Flüchtlinge so scharf darauf sind, nach Europa gebracht zu werden? Ganz aktuell sollen doch die christlichen Iraker nach Europa "gerettet" werden. Haben diese Leute da schon mit einem gesprochen? Am 24. 7. abds. war im Deutschlandfunk darüber eine Reportage mit entsprechenden Interviews. Und siehe da, die Menschen (irakische Christen) möchten zurück in ihre Heimat. Oder dort bleiben können. Und die Hilfe, die sie sich wünschen: daß die EU mithilft, die Gewalt im Irak einzudämmen und ihnen ein Leben dort zu ermöglichen. Und sie nicht aus dem Lande entfernt. Was also mag der wirkliche Grund sein, dass 'Politiker, Kirchen und Verbände' sich so unreflektiert engagieren?

  • K
    Kramski

    Die Staaten der sogen. "Koalition der Willigen" ( USA, GB, Polen...)wären als Erste an der Reihe zu helfen. Wegen deren völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen den Irak ist diese Lage entstanden. Erstaunlicherweise ist in den Artikeln keine Aufforderung in diese Richtung. Und außerdem, woher wissen 'Politiker, Kirchen und Verbände' denn, daß die Flüchtlinge so scharf darauf sind, nach Europa gebracht zu werden? Ganz aktuell sollen doch die christlichen Iraker nach Europa "gerettet" werden. Haben diese Leute da schon mit einem gesprochen? Am 24. 7. abds. war im Deutschlandfunk darüber eine Reportage mit entsprechenden Interviews. Und siehe da, die Menschen (irakische Christen) möchten zurück in ihre Heimat. Oder dort bleiben können. Und die Hilfe, die sie sich wünschen: daß die EU mithilft, die Gewalt im Irak einzudämmen und ihnen ein Leben dort zu ermöglichen. Und sie nicht aus dem Lande entfernt. Was also mag der wirkliche Grund sein, dass 'Politiker, Kirchen und Verbände' sich so unreflektiert engagieren?

  • K
    Kramski

    Die Staaten der sogen. "Koalition der Willigen" ( USA, GB, Polen...)wären als Erste an der Reihe zu helfen. Wegen deren völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen den Irak ist diese Lage entstanden. Erstaunlicherweise ist in den Artikeln keine Aufforderung in diese Richtung. Und außerdem, woher wissen 'Politiker, Kirchen und Verbände' denn, daß die Flüchtlinge so scharf darauf sind, nach Europa gebracht zu werden? Ganz aktuell sollen doch die christlichen Iraker nach Europa "gerettet" werden. Haben diese Leute da schon mit einem gesprochen? Am 24. 7. abds. war im Deutschlandfunk darüber eine Reportage mit entsprechenden Interviews. Und siehe da, die Menschen (irakische Christen) möchten zurück in ihre Heimat. Oder dort bleiben können. Und die Hilfe, die sie sich wünschen: daß die EU mithilft, die Gewalt im Irak einzudämmen und ihnen ein Leben dort zu ermöglichen. Und sie nicht aus dem Lande entfernt. Was also mag der wirkliche Grund sein, dass 'Politiker, Kirchen und Verbände' sich so unreflektiert engagieren?