: Deutsche Lehre hoch im Kurs
GAST-AZUBIS In Spanien herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit besonders unter Jugendlichen, in Deutschland haben Betriebe Schwierigkeiten, Lehrstellen zu besetzen. In Hannover versucht man, beide Probleme zu lösen
VON BIRK GRÜLING
Mit einem Filzstift schreibt Alberto Martínez seinen Namen auf die neuen, noch ganz hellen Arbeitshandschuhe, streift sie über und greift zum Schweißgerät. Konzentriert gleitet die fast weiße Flamme über das Werkstück, die Handgriffe wirken routiniert. Langsam wird aus den einzelnen Metallstücken ein kurzes Rohr. Seit knapp vier Monaten steht der 27-Jährige Spanier tagtäglich in der Lehrwerkstatt der Daume GmbH in Hannover. In dem Betrieb auf einem schmucklosen Industriehof am Rande der Innenstadt werden Rohrleitungen für die Lebensmittelindustrie und Energieversorger hergestellt.
Im April kam Martínez das erste Mal für ein Praktikum nach Hannover, gemeinsam mit zwölf anderen jungen Spaniern. Ins Land geholt hat sie die Industrie- und Handelskammer Hannover im Rahmen eines Projekts mit dem Namen „Adelante!“, was auf Spanisch so viel wie „Vorwärts!“ heißt. Die Spanier bekommen dabei in der Region Hannover eine neue berufliche Perspektive, vorzugsweise in Betrieben, die den Fachkräftemangel besonders spüren. Drei Monate bleiben sie für ein Praktikum, danach wird über eine Weiterbeschäftigung entschieden. Von 13 Spaniern aus dem ersten Austausch lernen inzwischen elf in Hannover.
Nach seinem Praktikum flog Alberto Martínez für ein paar Wochen zurück zu seiner Familie in Sevilla, den Ausbildungsvertrag zum Anlagenmechaniker hatte er schon in der Tasche. In seiner Heimat gibt es für den 27-Jährigen kaum Chancen auf einen sicheren Job, trotz guten Abiturs und abgeschlossener Ausbildung zum Heizungsinstallateur. Ein paar Stunden pro Woche jobbte er zuletzt als Kellner, mehr Perspektive gab es nicht.
Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Spanien bei über 50 Prozent, in Europa ist sie nur in Griechenland noch höher. „Bei uns in Andalusien sind viele Betriebe pleitegegangen“, sagt Martínez. „Die letzten Aufträge, die es noch gibt, werden mit so wenig Personal wie möglich erledigt.“ Die Ausbildung in Deutschland ist für ihn so etwas wie die letzte Chance, eine die er unbedingt nutzen will. „Er geht sehr engagiert zur Sache“, sagt Michael Gonzalez, Niederlassungsleiter bei Daume in Hannover. „Man spürt schon, dass er etwas erwachsener ist als seine Azubi-Kollegen.“
Ein selbstloses Projekt der IHK Hannover ist Adelante! selbstverständlich nicht. Hat die Jugend in Spanien kaum berufliche Perspektiven, beklagen deutsche Betriebe einen Mangel an Fachkräften. Die Zeiten der geburtenstarken Jahrgänge sind vorbei, die Schülerzahlen sinken. Allein in der Region Hannover konnten in diesem Jahr 20 Prozent der Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Gerade in technischen Ausbildungsgängen spürt man den Mangel. Allein im Handwerk blieben niedersachsenweit fast 400 Lehrstellen unbesetzt, bundesweit waren es 33.275. Betroffen sind vor allem kleinere und mittelständische Betriebe in ländlichen Regionen.
Im Mai schloss Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) deshalb ein Abkommen mit Spanien, um mehr jungen Europäern berufliche Perspektiven in Deutschland zu bieten. In den nächsten vier Jahren sollen rund 5.000 junge Spanier einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle erhalten.
Doch was logisch klingt, ist nicht ohne Einsatz, Überwindung und Verzicht zu schaffen. Seine Familie und Heimat hat Martínez hinter sich gelassen, um in ein Land zu gehen, dessen Sprache und Kultur ihm völlig unbekannt waren. Neben seiner Ausbildung besucht er heute vier Mal in der Woche einen Deutschkurs beim Integrationsservice der Caritas – nach acht Stunden in der Lehrwerkstatt. „Deutsch ist eine schwere Sprache“, sagt er. „Die ganze Grammatik verwirrt mich immer wieder.“ Für gerade einmal acht Monate im Land ist sein Deutsch gut. Auch auf der Arbeit hat er sich integriert, trotz zehn Jahren Altersunterschieds zieht er mit seinen Azubi-Kollegen um die Häuser. Die Kommunikation in der Werkstatt klappt zur Not mit Händen und Füßen. „Die Jungs wissen, wie sie mit mir sprechen müssen“, sagt Martínez. „Besonders in der Berufsschule wäre ich ohne meine Kollegen aufgeschmissen.“ Neu sind die meisten Lehrinhalte für ihn nicht. Seine spanische Ausbildung zum Heizungsinstallateur schafft wichtige Grundlagen, auch wenn diese mit dem deutschen Dualen System nicht zu vergleichen ist. Die Ausbildung in Spanien ist nur schulisch, der betriebliche Anteil erschöpft sich in einem kurzen Praktikum.
„Alberto bringt gute Vorkenntnisse mit. Er hätte bei uns auch als Produktionshelfer einsteigen können“, sagt sein Chef Michael Gonzalez. „Aber er bestand auf die Ausbildung.“ Bei Daume ist man von dem deutsch-spanischen Austausch überzeugt und will im nächsten Jahr einen zweiten Bewerber aufnehmen. Auch die IHK Hannover sieht Adelante! als Erfolgsmodell. „Die Resonanz ist von allen Seiten außerordentlich positiv“, sagt Hauptgeschäftsführer Horst Schrage. „Die jungen Frauen und Männer haben in den Betrieben durch ihre Qualifikation und ihre hohe Motivation rundum überzeugt.“ 2014 wird man deshalb 31 weitere Spanier in die Regionen Göttingen und Hannover holen. Aus einem Fehler hat man dabei gelernt: Alle Bewerber besuchen schon heute einen Deutschkurs als Vorbereitung.
Den Gang nach Deutschland würde auch Alberto Martínez seinen Landsleuten uneingeschränkt empfehlen. Eine Rückkehr in seine Heimat schließt der 27-Jährige nach der Ausbildung erstmal aus. An eine Entspannung der wirtschaftlichen Lage vor Ort zu glauben, fällt ihm einfach zu schwer. „Die Arbeit macht hier Spaß. Deutschland gefällt mir gut, auch wenn ich die Wärme von Andalusien vermisse“, erklärt er. Zu Weihnachten wird Alberto das nächste Mal in die Heimat fliegen, zu der Familie und zu seinen besten Freunden. Auch sie haben Spanien längst verlassen, einer arbeitet in London, eine andere in Brüssel.