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Archiv-Artikel

kuckensema: auf bremens leinwand Der urbane Blues von Jim Jarmusch

Ohne das ZDF hätte Jim Jarmusch vielleicht nie Karriere gemacht! Die Redaktion von „Das kleine Fernsehspiel“ finanzierte zum größten Teil seine ersten Filme. Und für „Stranger Than Paradise“ schenkte Wim Wenders ihm das Schwarz-Weiß-Filmmaterial, das bei den Dreharbeiten zu „Der Stand der Dinge“ übrig geblieben war. Jarmusch begann als armer Filmemacher. So war, wie bei den meisten Minimalisten, der karge Stil seiner Frühwerke sicher auch der Not gedankt.

In „Permanent Vacation“ folgt er in der Tradition der bewegten Kamera der Nouvelle Vague einem jugendlichen Müßiggänger bei seinen ziellosen Wanderungen durch Manhattan – wegen „Formfehlern“ wurde diese Abschlussarbeit von der NYU-Filmschule nicht anerkannt. Kein Wunder, ist er doch ein eher europäischer Filmemacher, der in New York lebt. Von Beginn an hatte er ein seltenes Gespür für die großstädtische Verlassenheit.

Seine Protagonisten sind Verlierer, seltsame Gestalten wie die drei Freunde in „Stranger Than Paradise“. Denen ist es in Cleveland zu kalt, und so fahren sie nach Florida. Dort verlieren sie ihr Geld beim Hunderennen. Jede Szene wurde in einer Einstellung gedreht und endet mit einem Blackout – je weniger passiert, desto besser. Das war seltsamerweise nicht langweilig, sondern komisch. Das merkte dann auch ein größeres Publikum bei „Down By Law“, der wie eine Collage aus Bluessongs, Knastgeschichten und alten Gangsterfilmen wirkt. John Lurie und Tom Waits sind cool und streiten sich, während ihnen Roberto Benigni die Show stiehlt. Dessen internationale Karriere begann mit seinem „It¥se a sadde and beautifulle worlde“ in diesem Film.

Jarmusch zeigt lieber, als dass er erzählt. Seine Lieblings-Einstellung, die man in fast jedem seiner Filme finden kann, ist ein Blick aus einem fahrenden Auto heraus auf die vorbeiziehenden Häuser einer Straßenfront. Statt einer zusammenhängenden Geschichte würde Jarmusch lieber kurz beleuchten, was in den verschiedenen Häusern passiert. Kurzfilme liegen ihm eindeutig mehr als Plot-bestimmte Spielfilme. So inszeniert er seit 1986 in unregelmäßiger Reihenfolge unter dem Titel „Coffee and Cigarettes“ kleine, höchstens zehn Minuten lange Filme, in denen sich immer zwei Protagonisten an einem Tisch in einem Cafe oder einer Bar unterhalten.

Bei seinen beiden ersten Farbfilmen „Mystery Train“ und „Night on Earth“ löste Jarmusch das Problem seines fehlenden epischen Atems elegant, indem er sie einfach als Episodenfilme inszenierte. Im ersten sind mit einer Nacht in Memphis noch Raum und Zeit vereinigt, der zweite ist eine filmische Weltreise, bei der in fünf Städten zur gleichen Zeit Begegnungen in Taxis stattfinden.

Danach bürstete Jarmusch dann Genres gegen den Strich: „Dead Man“ tut so, als sei er ein Western, entpuppt sich aber als ein morbider Totentanz. In „Ghost Dog“ ist der letzte Samurai ein melancholischer Afroamerikaner in der Bronx. In den nächsten Wochen zeigt das Kino 46 in chronologischer Reihenfolge alle Filme von Jarmusch. Im August kommen dann seine elf in fast zwanzig Jahren gedrehten „Coffee and Cigarettes“-Filme in die Kinos. Wilfried Hippen

Die Retrospektive beginnt mit „Permanent Vacation“, der heute, Freitag und von Sonntag bis Dienstag um 20 Uhr im Kino 46 in der Originalfassung mit Untertiteln gezeigt wird