Der ungeklärte Tod des Soldaten Feldmann

■ Ein 20jähriger Rekrut starb im westfälischen Ahaus nach CS-Gas-Übungen bei der Bundeswehr / Eltern bei der Aufklärung der Todesursache jahrelang getäuscht / Strafanzeige gegen Vorgesetzten / Bundeswehr schränkt CS-Gas-Verwendung ein

Aus Essen Bettina Markmeyer

„Er kam hier rein, zog die Schuhe aus, legte sich auf das Sofa und deckte sich zu“, erzählt Inge Feldmann. An jenem Freitag war ihr Sohn Frank-Josef später als angekündigt nach Hause gekommen. „Ich redete noch mit ihm, aber nach einer Stunde legte er plötzlich den Kopf zurück und war nicht mehr ansprechbar.“ Wie sie Angst bekamen, erinnert sich Vater Heinrich Feldmann, wie sie ihn zu beatmen versuchten, wie sie die Notärztin riefen, wie Frank dann auf der Intensivstation starb. Er war 20 Jahre alt und im vierten Monat bei der Bundeswehr, beim Instandsetzungsbataillon 110 in Coesfeld, er starb am 31. Januar 1986. Frank Feldmanns Eltern, die in Ahaus leben, haben vor wenigen Wochen bei der Staatsanwaltschaft Münster Strafanzeige wegen Körperverletzung mit Todesfolge gegen den ehemaligen Vorgesetzten ihres Sohnes erstattet.

Am Todestag ihres Sohnes wußten sie nicht, was sie heute wissen: Frank hatte wenige Stunden vor seinem Tod im ABC -Übungsraum der Kaserne in CS-Gas-Nebeln das Kämpfen mit einer Gasmaske vor dem Gesicht üben und den korrekten Sitz der Maske prüfen müssen. CS-Gas läßt Augen und Nase tränen und schmerzen, verursacht Atemnot und Erstickungsgefühle, verbrennt die Haut, kann bei Asthmatikern zu Anfällen führen, in hoher Konzentration zum toxischen Lungenödem und Atemschock mit akuter Lebensgefahr. Für Max Daunderer, Münchner Toxikologe und bekannter CS-Experte, ist der von Vietnam bis Wackersdorf verwendete, Kampfstoff „eine große Gemeinheit“. In der Bundesrepublik machen alle Rekruten Bekanntschaft mit CS, wenn sie zur „Dichtigkeitsprüfung“ ihrer ABC-Maske in den imitierten Gaskrieg geschickt werden.

Frank Feldmanns Vorgesetzter, der Oberfeldwebel Jörg S., wußte von der Übung in der „Gaskammer“ (Inge Feldmann). Sehr wahrscheinlich hat er sie sogar selbst angeordnet. Dies jedoch verschwieg er. Seine Vorgesetzten und auch die Borkener Kripo, die wegen ungeklärter Todesursache ermittelte, wußte von nichts. Sie gab sich mit einer kurzen, telefonischen Befragung des Kompaniechefs zufrieden. Die obligatorische Obduktion, der die Familie Feldmann ausdrücklich zugestimmt hatte, unterblieb, weil die Staatsanwaltschaft „keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden“ sah und bereits am nächsten Tag den Leichnam zur Beerdigung freigab. Daß nicht obduziert worden war, erfuhren Feldmanns erst zwei Monate später.

Sie blieben mißtrauisch. In detektivischer Kleinarbeit versuchte das Rentnerehepaar, den Ablauf des Todestages ihres Sohnes zu rekonstruieren. Sie suchten Zeugen, wandten sich an den Wehrbeauftragten und sammelten Unterschriften zur Aufklärung von Franks Tod. Nach über drei Jahren erfuhren sie schließlich im April 1989, daß Oberfeldwebel Jörg S. schon im März 1986 in seiner dienstlichen Vernehmung ausgesagt hatte, daß „Schütze Feldmann am 31.1.86 zur Dichtigkeitsüberprüfung im ABC-Übungsraum war“. Im Gegensatz zu seiner Aussage am Todestag gab S. bei seiner Vernehmung im März außerdem an, Frank habe keine Gesundheitsprobleme gehabt. Einen kränkelnden Soldaten hätte er als Vorgesetzter niemals in den ABC-Übungsraum schicken dürfen.

Empört machten Feldmanns weiter Druck. Allein, im Bundeswehr-Untersuchungsbericht zum Tod ihres Sohnes, der ihnen im April dieses Jahres zugestellt wurde, hieß es, „daß die dreimalige Teilnahme an der ABC-Schutzmasken -Dichtigkeitsprüfung keine Auswirkungen auf Frank Feldmann gehabt habe(n)“. Weder die Bundeswehr noch ihr angehörende Personen hätten „vorsätzlich oder fahrlässig den Tod des Soldaten verursacht“. Mit diesem Berichtsergebnis mochte sich aber nicht einmal der neue Wehrdienstbeauftragte des Bundestages, Alfred Biehle, zufriedengeben: „Letzte Zweifel daran, daß die Todesursache nicht im Bereich der Bundeswehr zu finden sei, konnten leider noch nicht ganz ausgeräumt werden,“ schrieb er an das Verteidigungsministerium. Mehr Informationen verlangte auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Dieter Heistermann. Er verweist auf weitere Fälle, in denen Soldaten durch CS-Gas geschädigt oder getötet wurden.

Frank Feldmann mußte innerhalb von vier Monaten dreimal wegen „Dichtigkeitsüberprüfungen“ seiner Gasmaske in die CS -Nebel des Übungsraums eintauchen. Üblich ist die CS-Übung nur einmal für jeden Wehrpflichtigen, nämlich dann, wenn er in der Grundausbildung seine Gasmaske bekommt. Frank hatte keine neue Maske bekommen, seine alte paßte ihm nach wie vor, die letzte Übung lag kaum vier Wochen zurück. Was jedoch genau an jenem Freitag geschah, ist schwierig zu klären. Ausgerechnet die Kontrollpapiere für den 31.1.1986, in denen der Vorgesetzte jeden Soldaten einträgt, der in den ABC-Übungsraum muß, sind, so erfuhren Feldmanns, spurlos verschwunden. Bei Feldmanns meldete sich außerdem in dieser Woche ein ehemaliger Kamerad ihres Sohnes, der erklärte, daß ihm und anderen damals verboten worden sei, mit Franks Eltern Kontakt aufzunehmen.

Heute kaum noch nachweisen läßt sich auch, ob der bei Frank Feldmann festgestellte erhöhte Blutdruck, der die Wirkung von CS-Gas unkontrollierbar macht und zu ernsten Komplikationen führen kann, und sein insgesamt labiler Gesundheitszustand bei seinem Tod nach der Gasübung eine Rolle spielten. „Wir können nicht sagen“, so Inge Feldmann, „war's das CS oder nicht - wegen der vermasselten Obduktion. Doch wenn der Junge nicht gesund war, hätte er auf jeden Fall von den ABC-Übungen befreit werden müssen.“ Stattdessen wurde Frank ein zusätzliches Mal in den Gasbunker geschickt.

Warum, fragen Franks Eltern immer wieder, hat man uns drei Jahre lang verheimlicht, daß Frank vor seinem Tod im ABC -Übungsraum war? Regina Kumpmann, Referentin bei Hürland -Büning im Verteidigungsministerium, erklärt dagegen auf Anfrage, niemand habe im Fall Feldmann etwas verheimlicht. Vielmehr sei die Teilnahme an einer normalen Übung im ABC -Schutzraum „nicht bedeutungsvoll“, sodaß sie zunächst für die Todesursache „überhaupt keine Rolle gespielt“ habe.

Diesem behördlichen Zynismus setzt der Münchener Toxikologe Max Daunderer besseres Wissen entgegen. Innerhalb der Bundeswehr seien die Gefahren des CS-Gases, einschließlich seiner langfristig krebserzeugenden Wirkung, lange bekannt. Er selbst, einer der profiliertesten Gegner des Kampfstoffs, halte seit 15 Jahren vor Bundeswehrärzten Vorträge über CS und seine verheerenden Wirkungen. „Die Ärzte“, so Daunderer, „sehen die ABC-Übungen außerordentlich ungern.“ Aber auch mancher Vorgesetzte denkt um. „Wenn ich an die bisherige Dienstvorschrift denke“, gesteht Oberstleutnant Heinz Schillings, der Frank Feldmanns Bataillon in der Coesfelder Kaserne befehligte, „dann stehen mir die Haare zu Berge.“ Sooft ein Vorgesetzter es für nötig hielt, konnte er seine Soldaten ins CS schicken. „Und wir selbst“, so Schillings, „als gute Vorbilder immer voran“.

Der internen Kritik an den CS-Gas-Übungen entspricht auch der Beschluß vom 14. Februar dieses Jahres, den der Hauptpersonalrat der Bundeswehr durchsetzen konnte, nachdem, so der Personalrat, in der Vergangenheit immer wieder Bundeswehrangehörige den Maskentest aus Angst vor Schädigungen durch das Reizgas verweigert hatten. Ab sofort wird bei ABC-Übungen kein CS-Gas mehr eingesetzt. Dies gilt für die 150.000 zivilen ArbeiterInnen und Angestellten der Bundeswehr und die knapp 500.000 Soldaten aller Teilstreitkräfte, jedoch nicht für die Wehrpflichtigen. Daß ein Zusammenhang zwischen diesem Beschluß und Frank Feldmanns Tod oder ähnlichen Fällen bestehen könnte, bestritt der Sprecher der Streitkräfte, Salis, aufs Heftigste.

Daß die Münsteraner Staatsanwaltschaft jetzt wegen des Todes von Frank Feldmann neu ermitteln muß, ist allein der Ausdauer seiner Eltern zu verdanken, die einen Stein ins Rollen brachten. Aus der ganzen BRD melden sich jetzt weitere Betroffene. „Unserem Frank nützt das nicht mehr“, sagt Inge Feldmann, „aber wir mußten das machen, wenigstens für die anderen.“ Denn noch geht der imitierte Gaskrieg für die Wehrpflichtigen weiter. „Warum“, fragt Inge Feldmann, „können die nicht einfach irgendwas nehmen, was duftet? Dann merken die auch, wenn die Masken undicht sind.“