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taz FUTURZWEI

Der taz-FUTURZWEI-Kommentar Brumm, brumm, Ende

Sollen die VW-Arbeiter mit Staatskrediten subventioniert Verbrenner-Autos bauen, die dann direkt auf Schrottplätzen landen oder verschenkt werden?

Die Ära des Verbrenners ist zu Ende: VWs Untergang läutet den Beginn eines neuen Zeitalters ein Foto: picture alliance/dpa

taz FUTURZWEI | Der Volkswagen-Konzern wurde 1937 gegründet, als Baustein in Hitlers Kriegswirtschaft. Nach 1945 avancierte er zum besonders erfolgreichen Teil des bundesdeutschen Wirtschaftswunders. Derzeit hat er weltweit um die 680.000 Mitarbeiter. VW war über all die Jahre auf der Basis von 20 Prozent Aktienanteilen das Herzstück der Politik niedersächsischer Ministerpräsidenten; von Schröder (SPD), Wulff (CDU), Gabriel (SPD) bis heute Weil (SPD). Über den Aufsichtsrat hat vor allem die regierende SPD die Geschäftspolitik von VW strategisch, aber auch direkt und nicht immer sauber gesteuert, meist gemeinsam mit der IG Metall und dem Betriebsrat. Auch wenn die Holdinggesellschaft Porsche SE der größte Aktionär ist, so ist es doch nicht falsch, den VW-Konzern einen Staatsbetrieb zu nennen.

Jetzt ist die schöne Geschichte vom ewigen Wachstum der Verbrennerbranche auch für VW zu Ende. Die Klimakrise, das Ende des fossilen Industriezeitalters, die Verkehrswende sind seit Jahrzehnten absehbare Entwicklungen, doch sie wurden in der Staatskanzlei in Hannover und beim VW-Vorstand in Wolfsburg weitgehend ignoriert. Die vorhersehbaren Folgen auch.

Seit 2020 ist der Automarkt um über 2 Millionen Einheiten pro Jahr geschrumpft. Auf den Bändern in den zehn VW-Werken in der Republik wird im Augenblick an etwa 500.000 nur noch schwer absetzbaren Neuwagen geschraubt. Das entspricht der Produktionskapazität von zwei VW-Werken. Der Absatz in China, der bisherige Gewinnbringer des Konzerns, ist eingebrochen. Der chinesische Konzern BYD, staatssubventioniert, hat ein technisch besseres und billigeres E-Auto entwickelt. Andere chinesische Autobauer produzieren starke Verbrenner. Alle gemeinsam teilen zwei Drittel des lokalen Automarktes unter sich auf. Die Produktivität in den deutschen Werken ist zu niedrig und die Kosten sind zu hoch, um erfolgreich mit den Chinesen zu konkurrieren.

Volkswagen hat die E-Mobillität verschlafen

Naheliegend für VW wäre die Entwicklung eines E-Volkswagens für den Weltmarkt gewesen, doch das haben die VW-Vorstände in Wolfsburg und die SPD in Hannover verschlafen.

Jetzt muss der Konzern Überkapazitäten abbauen, die Produktivität steigern und die Kosten senken. Das Restrukturierungsprogramm beinhaltet: wohl mehrere zehntausend Kündigungen, Standortschließungen, Lohnkürzungen. Die Drohungen der Gewerkschaften darauf sind gewohnt martialisch: „Wir werden die Kahlschlagpolitik des Vorstands ausbremsen.“

Ende November endet die Friedenspflicht, nach der erst nach Auslaufen des Tarifvertrages gestreikt werden darf und während einer Schlichtung gar nicht. In den laufenden Tarifverhandlungen verlangen die Gewerkschaften 7 Prozent Lohnerhöhungen. Wo die Millionen dafür herkommen sollen, sagen sie nicht. Die Politik gibt sich empört. „Mögliche falsche Managemententscheidungen aus der Vergangenheit dürfen nicht zu Lasten der Arbeitnehmer gehen“, ließ der Bundeskanzler Scholz (SPD) mitteilen. Wie er das verhindern will, sagt er nicht.

Das Zeitalter der Verbrenner ist zu Ende, das Zeitalter des motorisierten Individualverkehrs geht auch zu Ende; zunächst wohl in den Industrieländern und dann auch global. Daran ändern auch die E-Autos nicht mehr viel, obwohl sie für den Übergang zu einer öffentlichen gesicherten Mobilität für alle und überall in den nächsten Jahrzehnten noch gebraucht werden. Die strukturellen, ökologischen und ökonomischen Verluste, die mit der Fortsetzung der Produktion und des Massengebrauchs von Verbrennern verbunden sind, können über die Preise oder weitere öffentliche Subventionen, etwa Kaufprämien, nicht mehr ausgeglichen werden.

Der Beginn der Transformation

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Der Vorstandsplan für die Restrukturierung von VW kann als Auftakt der ökologisch-ökonomischen Transformation im Sektor der Mobilität in ein Leben ohne motorisierten Individualverkehr verstanden werden. Die großen Autokonzerne werden auf diesem Weg schrumpfen, sich zu umfassenden Mobilitätskonzernen wandeln oder verschwinden.

Aus einer solchen, langfristig gedachten Rationalität heraus betrachtet, könnten die Pläne des VW-Vorstands sogar Sinn machen. Sollen denn die VW-Arbeiter etwa in Zukunft mit Staatskrediten subventioniert Autos bauen, die dann direkt auf Schrottplätzen landen oder verschenkt werden? Nur damit ihnen weiter üppige Löhne gezahlt werden können?

Bis 2035 werden nach einer aktuellen Studie von Prognos allein in der Autobranche 300.000 Arbeitsplätze wegfallen, mit fast genau so viel ist in der Zulieferindustrie zu rechnen. Statt den Beschäftigten falsche Versprechungen zu machen, als sie in jetzt schon verlorene Arbeitskämpfe zu treiben, sollte man dafür sorgen, dass die sozialen Folgen für die Entlassenen dauerhaft abgefedert werden. Dafür gibt es Konzepte, die vor Jahren bereits in NRW beim Abwickeln des Steinkohlebergbaus umgesetzt worden sind. Frühe Verrentung, bezahlte Weiterbildung, Neuansiedlung ökologischer Industrien und die große Bildungsreform fürs digitale Zeitalter sind nur Beispiele für eine Politik jenseits dieser stumpfsinnigen „Immer-weiter-so-wie-immer“-Formel.

Im Gestern die Zukunft verbrennen

Der Kanzler hat wohl nicht ohne Grund den Wirtschafts- und den Finanzminister von seinen Beratungen mit der Wirtschaft ausgeschlossen. Er hat, nehme ich mal an, seinen strategischen Plan mit den Wirtschaftsführern besprochen, der in etwa so aussehen könnte: Die staatlichen Vorgaben für die grüne Transformation könnten gelockert, ausgesetzt oder gleich ganz gestrichen werden. Es könnte zum Beispiel weniger ökologische Auflagen, weiter gestreckte Umbau-Zeiträume und Steuermäßigungen ohne ökologische Verpflichtungen für die Industrie geben. Viele Klimaziele könnten revidiert werden.

Das deutsche Ziel, 2045 CO2-neutral zu werden, fünf Jahre vor der EU und der G7, könnte ersatzlos gestrichen werden. Das EU-Verbrenner-Verbot ab 2035 könnte für Deutschland um 10 bis 15 Jahre nach hinten verschoben, die Energiepreise für die Industrie könnten dauerhaft gedeckelt werden. Finanziert werden könnte ein solches Programm der SPD über eine Lockerung der Schuldenbremse in einer Koalition mit CDU/CSU nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr.

Eine solche, hier nur grob skizzierte SPD-Politik zu Lasten ökologischer und ökonomischer Rationalität wäre der demonstrativ aufgemotzte Verzicht auf den ökologischen Umbau der Gesellschaft. „Grün ist out“, das wäre dann die SPD-Parole fürs nächste Jahr. Eine solche Politik würde sogar zu einem möglichen Wiedereinzug Trumps ins Weiße Haus passen. Eine gewisse Anzahl von Arbeitsplätzen könnte so vorübergehend gesichert werden, der VW-Vorstand könnte, gedeckt von der SPD, noch eine Weile im Gestern Milliarden verbrennen.

■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.