Der taz FUTURZWEI-Kommentar: Corona vertieft die soziale Spaltung

Wer weniger hat, verliert durch die Pandemie mehr. Warum ein Corona-Lastenausgleichsgesetz helfen könnte.

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Von UDO KNAPP

„Macht Euch keine zu großen Sorgen wegen Corona, am Ende werden wir unser ganzes Leben wieder so leben, wie in den Zeiten vor der Pandemie“ – das ist der strategische Kern der staatlichen Kommunikation von Corona-Politik. Mit der Corona-Geldklatsche wurden auf dieser Basis bisher und im öffentlichen Bewusstsein durchaus erfolgreich die Kohärenz der Regierungspolitik und ein Gefühl der Sicherheit bei der überwiegenden Mehrheit in der Republik befestigt. Daran kann auch die populistische Rumschreierei der Corona-Leugner nichts ändern.

Dabei reißt Corona in vielen Bereichen, öffentlich kaum kommuniziert und vom Verteilungsstreit verdeckt,  brutal den Vorhang beiseite, hinter dem strukturelle Probleme des gesellschaftlichen Lebens der Republik versteckt werden. So verdeckt das Kurzarbeitergeld den klaren Blick auf die galoppierende, strukturelle Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit der digitalen und ökologischen Wende aller Industrien. So verschleiert der zeitlich befristete Insolvenzschutz nur den langfristig betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich nicht zukunftsfähigen Zustand vieler Unternehmen in vielen Sektoren der Wirtschaft.

So wird die Tatsache ignoriert, dass in diesem Jahr diejenigen Arbeitnehmer, die schon vor Corona niedrige Einkommen erzielten, wie Freiberufler, Erwerbstätige im Gastgewerbe, Teilzeitjobber und auch viele Studenten, jetzt entweder mit dem Kurzarbeitergeld oder ansonsten ohne ausreichende zusätzliche öffentliche Hilfe, mit noch weniger zurechtkommen müssen als vor der Pandemie. Die im öffentlichen Dienst Beschäftigten (hier gab es - wie übrigens im Finanzsektor auch - überhaupt keine Kurzarbeit), die höheren Einkommensgruppen, die Immobilienbesitzer und alle Vermögende dagegen kommen finanziell bisher fast völlig unbelastet durch die Corona-Krise.

In der letzten Woche hat die Hans-Böckler-Stiftung eine Studie veröffentlicht zu den Einkommenseinbußen durch Corona nach Höhe des monatlichen Nettoeinkommens. Danach verlieren die Bezieher von Einkommen zwischen 1500 und 2000 Euro 40 Prozent ihrer Bezüge, während alle darüber liegenden mit maximal 25 Prozent Einbußen kalkulieren müssen.

Die Ungleichheit der Vermögensverteilung nimmt dramatisch weiter zu

Vor diesem Hintergrund nimmt die Ungleichheit der Vermögensverteilung in der Republik auch in der Corona-Pandemie dramatisch weiter zu. „Das reichste Prozent der Bevölkerung in der Republik besitzt im Augenblick 35 Prozent des Gesamtvermögens“ stellen die Autoren der Studie fest. Durch Corona werden, mit anderen Worten und ein wenig polemisch, die Reichen noch reicher und alle anderen müssen lernen, auf längere Zeit mit substantiell weniger auszukommen. Die soziale Spaltung der Gesellschaft in der Republik wird in der Corona-Pandemie vertieft.

Die gesellschaftlichen Kosten der Pandemie, die aktuellen Zusatz-Kosten der Corona-Geldklatsche werden über sehr hohe Kreditaufnahmen der öffentlichen Hand finanziert. Sicher spielt bei diesen Kreditaufnahmen die Abwägung zwischen langfristig durchaus zu bewältigenden hohen Refinanzierungskosten dieser Kredite und der stabilisierenden Wirkung der Corona-Geldklatsche für das Überlebensvertrauen aller Bürger in die politische Gestalt und die politische Führung die handlungsleitende Rolle. Allerdings haben die politisch Verantwortlichen für diese Abwägung das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Bürgers bei der Finanzierung aller öffentlichen Angelegenheiten eben noch nicht beachtet.

Das größte Infrastrukturprogramm der westlichen Geschichte war der New Deal der Franklin D. Roosevelt-Administration in der großen Depression der 30er Jahre. Damit wurde die US-Wirtschaft und -Gesellschaft tief reguliert. Das Geld wurde eben nicht einfach unter die Notleidenden verteilt unter der Annahme, dass es danach wieder so werde wie vorher, sondern auch in eine andere Infrastruktur gesteckt, durch die die Wirtschaft sich modern aufstellen konnte.

Wenn die Pandemie-Kosten in der Bundesrepublik gesellschaftlich gerecht und fair verteilt werden sollen, braucht es andere gesetzliche Instrumente zu deren Finanzierung. Ein solches Instrument könnte der über Jahrzehnte erfolgreich durchgeführte Lastenausgleich für die Kriegsfolgen nach dem Zweiten Weltkrieg sein. Mit dem Lastenausgleichsgesetz sind damals die Vermögenden und Immobilienbesitzer, die im II. Weltkrieg keine Vermögensverluste erlitten hatten, zur Finanzierung von staatlichen Ausgleichsmaßnahmen herangezogen worden, die besonders den Flüchtlingen und Bombenopfern zu Gute kamen.

Die finanziellen Lasten zur Bewältigung der Krise gerecht und fair verteilen

Eine Neuauflage dieses historisch einmaligen Modells in einem Corona-Lastenausgleichsgesetz (CoLaGe) ist vorstellbar und machbar. Kerngedanke eines solchen CoLaGe wäre das Bündeln aller aufgenommenen Corona-Schulden in einem Sondervermögen. Diese Corona-Schulden könnten dann mittels einer Vermögensabgabe über einen langen Zeitraum refinanziert werden.

Eine solche Vermögensabgabe hat gegenüber einer Erhöhung der Vermögensteuer den Vorteil, dass sie nur dem Zweck der Refinanzierung des Corona-Sondervermögens dienen würde. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in seiner Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit einer Vermögensabgabe zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie (WD 4 – 3000 -041/20 vom 9. April 2020) auf die gegebene Verfassungsmäßigkeit einer solchen spezifischen Corona-Vermögensabgabe hingewiesen.

Sicher würde mit einer solchen Corona-Sonderabgabe die sich vertiefende Vermögenskonzentration in der Republik nicht grundsätzlich aufgehoben. Aber die Idee einer alle Teile der ganzen Gesellschaft übergreifenden Solidarität in der Corona-Krise würde mit einem CoLaGe konkret zur Geltung gebracht.

Noch wichtiger aber diese Botschaft: Das institutionelle und politische System der Bundesrepublik ist in unvorhersehbaren Krisen in der Lage, die finanziellen Lasten zur Bewältigung einer historisch einmaligen Notsituation gerecht und fair zu verteilen.

UDO KNAPP ist Politologe. Er lebt in Berlin.

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