Der taz FUTURZWEI-Kommentar: Alte allein zu Haus?

Sollen die über 65-Jährigen zu Hause bleiben und die Jüngeren wieder raus dürfen? Ein Kommentar von Udo Knapp.

Bild: dpa

Von UDO KNAPP

Die Corona-Strategie „Flatten the curve“ zeigt Wirkung. Die Sterberate steigt weiter steil an, aber die Ansteckungszeiten sind gestreckt, die Intensivversorgung wird weiter ausgebaut, die Tests für den einfachen Nachweis der Infektion und die Antikörper sind unterwegs, aber noch lange nicht flächendeckend einsetzbar, mit einem breit einsetzbaren Impfstoff ist frühestens in einem Jahr zu rechnen.

Das Krisenmanagement der Regierenden funktioniert, aber die Rezession ist auch unterwegs, der unvermeidbare ökonomische Schaden und seine strukturellen und sozialen Folgen werden trotz der vielen staatlichen Hilfen gewaltig sein. Ein ganzes Jahr mindestens wird es brauchen, bis dieses Virus so eingedämmt werden kann, dass das Alltagsleben in allen seinen Facetten neu aufgebaut und zukunftsfähig gemacht werden kann.

Das nächste Jahr müssen wir daher mit dem Virus leben und zugleich den Kollateralschaden, den es verursacht, gering halten, das ist die Aufgabe für die Regierenden. Bis jetzt erstaunt, dass sich fast alle Bürger, mit vielen Einschränkungen und staatlicher Autorität abgesichert, ins Unvermeidliche fügen, mehr oder weniger Disziplin zeigen und sogar füreinander einstehen.

Tödliches Risiko für die Alten und Kranken

Das Perfide dieses Virus ist es, dass er die Mehrheit der jungen Infizierten nur eingeschränkt oder gar nicht belastet, die Älteren, die chronisch Kranken und die Schwachen aber einem hohen tödlichen Risiko aussetzt. Die Jungen überstehen die Infektion, verbreiten das Virus munter exponentiell weiter und die Alten und die Schwachen sterben daran.

Damit nicht alle, die Wirtschaft und der Alltag weiter leiden müssen, soll es ein einfaches Mittel geben: Lasst die Jungen wieder raus und sperrt die Alten ein. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hält als Chef der Polizei in seiner Kommune einen solchen Zwangsarrest für plausibel und leicht umsetzbar. Ex-Außenminister Joschka Fischer kennzeichnet dieses Wegsperren als realpolitische Notwendigkeit zum Selbstschutz: “Wenn wir Alte uns mehr selber schützen müssen und sei es nur durch einen längeren, temporären Rückzug aus der Öffentlichkeit, dann ist es so “, sagte er im taz-Gespräch. Schließlich könne man ja schlecht den Jungen „dauerhaft“ die Party verbieten.

Sprechen die beiden für die Grünen? Entsolidarisierung der Generationen, Wegsperren der Alten, damit schnell wieder SUVs gebaut werden können? Was hier als fürsorglicher Schutz der Alten und Kranken verkauft wird, ist in Wahrheit Selbstschutz der Jungen und Gesunden, der Erfolgreichen, die im Saft ihres Lebens stehen, die sich mit dem Wegsperren der Alten unser aller alltägliche Sterblichkeit vom Leib halten wollen. Ihr unausgesprochenes Argument: Die Alten sind ja ohnehin schon fertig mit ihrem Leben, warum sollen wir Jungen ihretwegen das Weitermachen as usual, unsere Zukunft aufhalten?

Überwachungszwang oder Polizeieinsätze gegen störrische Alte?

Es erstaunt schon, wie leicht sich auch Grüne entgegen ihrer eigenen Wurzeln in der Anti-Notstandsbewegung 1968 von der totalitären Logik eines hier fürsorglich verbrämten Ausnahmezustandes mitreißen lassen – und im Falle Palmers die Einschränkung der Grundrechte für die Alten – fast ein Drittel der Bevölkerung – sogar aktiv sicherstellen wollen. Nur nebenbei gefragt, wie sollte dieses Wegsperren denn administrativ durchgesetzt werden, mit chinesischem digitalem Überwachungszwang oder Polizeieinsätzen gegen störrische Alte?

Der langjährige Grüne Bundestagsabgeordnete und 68er Christian Ströbele, der selbst zu den Weggesperrten gehören würde, reagiert hier ganz anders als von ihm zu erwarten: Er setzt auf den Staat und droht im Fall einer Ausgangssperre nur für Alte und Risikogruppen mit dem Gang vors Bundesverfassungsgericht. Gut zu wissen, dass er sich sicher wähnt, hinsichtlich der ungeteilten Geltung der Menschenrechte in unserem Grundgesetz.

Nein, für eine Lockerung des Shutdowns nach Ostern gibt es angesichts der Realität des Seuchenverlaufes keine validen Argumente. Das ist keine Krise wie viele andere. Das ist ein epochales Ereignis. Es wird schwer, alle werden von vorn anfangen müssen, wie nach allen gewaltigen Menschheitskrisen. Für uns alle und gerade für die Grünen gilt die Ansage des Jesuitenpaters Klaus Mertes „Wir Starken müssen Rücksicht nehmen auf die Schwachen, die Alten, auch wenn es uns selber schwächt.“ Da müssen jetzt alle durch.

UDO KNAPP, 75, ist Politologe und war der letzte Vorsitzende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). In der aktuellen Ausgabe von taz FUTURZWEI analysiert er, wie linke „Verteilungsgerechtigkeit“ von populistischen und autoritären Regierungen wie Polen, Ungarn, Russland, China instrumentalisiert wird.

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