Der ständige Patient

Vivantes-Chef Schäfer bangt um seinen Job – zu Recht. Seine Sanierungskonzepte für den hoch verschuldeten Klinikkonzern fruchteten kaum, heute entscheidet der Aufsichtsrat über das dritte. Nicht erst seit der Übernahmeofferte einer Krankenhauskette werden die Rufe nach Privatisierung lauter

von SABINE AM ORDE

Wolfgang Schäfer ist ein smarter Typ. Einer, der unter seinem hellgrauen Haar eine randlose Brille trägt. Der Besuch auf Ledersofas unter moderner Kunst empfängt. Der unerschütterlich, kontrolliert und ruhig wirkt. Und ausstrahlt, dass er knallhart sein kann. Wolfgang Schäfer ist Klinikmanager. Er ist der Chef des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes. Und als solcher kann er Selbstbewusstsein gut brauchen. Denn wie lange Schäfer noch auf diesem Posten sitzen wird, ist offen. „Dieses Jahr wird er nicht überleben“, sagt der grüne Vivantes-Experte Oliver Schruoffeneger. Heute könnte sich herausstellen, ob Schruoffeneger Recht behält.

Denn am heutigen Mittwoch entscheidet der Aufsichtsrat über ein Sanierungskonzept, mit dem Schäfer den hoch verschuldeten Klinikkonzern vor der Insolvenz bewahren will. Wieder einmal. Es ist bereits das dritte Konzept dieser Art, das Schäfer vorlegt, seitdem er 2001 sein Amt antrat. Damals holte die Große Koalition den Betriebswirt als Sanierer von Kassel nach Berlin. Seitdem hat sich an den beiden Problemen, an denen Vivantes vor allem krankt, nicht viel geändert: Das Kapital der GmbH, zu dem die ehemals zehn städtischen Kliniken zusammengeschlossen wurden, ist zu gering, die Personalkosten sind im bundesweiten Vergleich zu hoch.

Konzept Nummer eins hat Schäfer 2002 vorgelegt und schwarze Zahlen für 2004 prognostiziert. Bislang hat sich in diesem Jahr ein Verlust von 30 Millionen Euro angesammelt, bis zum Jahresende könnten es 45 Millionen sein. Bereits Anfang des Jahres drohte die Insolvenz; Schäfers zweites Konzept kam im März. „Nicht ausreichend“, urteilte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), der im Vivantes-Aufsichtsrat sitzt, knapp.

Der Wirtschaftsausschuss des Unternehmens stoppte das Konzept und stellte der Geschäftsführung die Beratungsfirma McKinsey an die Seite. Diese musste auch prüfen, ob Vivantes überhaupt sanierungsfähig ist. Nach dem Willen des Gremiums soll eine Beratungsfirma auch die Umsetzung von Konzept Nummer drei begleiten, das den Ausschuss vor zwei Wochen schließlich passiert hat.

Dieses entspricht in vielen Punkten Schäfers erstem Konzept. „Das Hauptdefizit ist, dass die Geschäftsführung ihre eigenen Überlegungen bisher nicht umgesetzt hat“, urteilt denn auch Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS), wie Sarrazin Mitglied im Aufsichtsrat. Auch der Chef des Wirtschaftsausschusses, Karl Kauermann, im Hauptberuf Vorstandsvorsitzender der Berliner Bank, spricht von „Umsetzungsdefiziten“, die es gegeben habe. „Wenn wir jetzt nicht gegengesteuert hätten, dann hätte das Unternehmen 2008 ein Defizit von 150 Millionen erwirtschaftet.“

So erwiesen sich neu gegründete Tochtergesellschaften, die Geld einspielen sollten, als Verlustbringer, der zentrale Arzneimitteleinkauf ging schief, Einsparungen beim Personal wurden falsch kalkuliert. Dafür ist Schäfer, der auf Wunsch der SPD zu Vivantes kam, nicht allein verantwortlich – aber er ist der Chef und Klinikmanagement ist sein Bereich. Zum Vorstand gehören auch der für Finanzen zuständige und CDU-nahe Geschäftsführer Jörg-Olaf Liebetrau und Arbeitsdirektor Ernst-Otto Kock, der aus der ÖTV kommt. Das Problem: Die drei Herren können nicht miteinander. Häufig soll Schäfer gegen Liebetrau und Kock stehen. Dass der Vorstand jüngst um ein viertes Mitglied erweitert wurde, hat daran wenig geändert. „Die Geschäftsführung ist zerstritten und unkoordiniert“, sagt Mario Czaja, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU. „Man muss einen oder alle rausschmeißen.“ Dass Schäfer gehen muss, fordern die Grünen bereits seit Monaten. Das Vertrauen der Beschäftigten haben die drei Herren längst verspielt. „Das Misstrauen ist ganz erheblich“, sagt Heike Spies, Vivantes-Fachfrau bei Ver.di.

Muss also schlicht ein neuer Sanierer her? So einfach ist es nicht. Denn die Grundprobleme von Vivantes sind struktureller Natur. Und die Politik trägt einen großen Teil der Schuld daran. Vivantes hat einen Konstruktionsfehler. Als die GmbH 2001 gegründet wurde, hat das Land das Unternehmen nicht mit ausreichend Kapital ausgestattet. Kapital, um Personal sozialverträglich abzubauen, um die Arbeit neu zu organisieren, um Altschulden zu tilgen.

Die nämlich hat das Land Vivantes aufgebrummt. 190 Millionen Euro waren das 2001, inzwischen ist der Schuldenberg auf 230 Millionen Euro angewachsen. Im Gegenzug zu den Altschulden übertrug das Land der GmbH Grundstücke und Gebäude der ehemals städtischen Kliniken. Die Idee: Nicht genutztes könne verkauft werden, um Schulden zu tilgen. Das hat nicht funktioniert, der Immobilienmarkt liegt am Boden. „Das war vorher absehbar“, sagt der Grüne Schruoffeneger. Manche der alten Gebäude werden von Vivantes entgegen der Pläne heute noch genutzt. Der Grund: Das Land hat zugesagte Investitionen von 500 Millionen Euro fast vollständig auf Eis gelegt.

Dennoch geht Karl Kauermann, der Chef des Wirtschaftsausschusses, davon aus, das Vivantes bereits das laufende Jahr ohne Defizit beenden kann, 2008 soll ein Gewinn von bis zu 50 Millionen Euro drin sein – wenn diesmal das Sanierungskonzept konsequent umgesetzt wird. Das sieht neben zahlreichen strukturellen Maßnahmen (siehe Kasten) zwei wichtige Voraussetzungen vor: Das Land soll Vivantes von seinen Altschulden befreien – also auf die Rückzahlung eines Darlehens von 230 Millionen Euro verzichten und es stattdessen in Eigenkapital umwandeln. Das spart Vivantes jährlich 10 Millionen Euro Zinsen. Und die Beschäftigten sollen bis 2007 auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichten – und ihren Arbeitgeber damit um 34 Millionen Euro jährlich entlasten. Noch haben weder Finanzsenator Sarrazin noch Heike Spies, die für Ver.di die Verhandlungen um einen „Not-Tarifvertrag“ führt, zugestimmt. „Wenn das Konzept in allen Teilen trägt, dann wird auch das Land seinen Beitrag leisten“, sagt der Finanzsenator. Mehr nicht. „Wir sehen, dass auch ein Beitrag der Beschäftigten notwendig ist“, sagt Spies. „Aber zuerst muss ein nachvollziehbares Sanierungskonzept auf den Tisch.“ Das habe die Geschäftsführung bisher nicht vorgelegt. Außerdem fordert Ver.di den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2010 und eine Zusage des Landes, dass es Vivantes nicht verkaufen wird.

Die wird nicht leicht zu bekommen sein. Ausgerechnet am Montag hat die Rhön-Klinik AG, Deutschlands größter privater Klinikbetreiber, der Finanzverwaltung ein Angebot unterbreitet, Vivantes zu übernehmen (die taz berichtete). Der Senat will die Offerte nun inhaltlich ausloten. Es gebe aber keine aktuellen Verkaufsabsichten für das Unternehmen, sagte Finanzsenator Sarrazin gestern.

Auch andere Ketten, darunter Helios, haben ihr Interesse an Vivantes bekundet. Und Stimmen, die eine Privatisierung fordern, mehren sich. Die FDP will Vivantes allerdings aufgeteilt in drei Pakete zu je drei Krankenhäusern verkaufen . „Wenn man als Ganzes verkauft, bleiben nur ein oder zwei Bieter übrig“, sagt Martin Matz, gesundheitspolitischer Sprecher der Liberalen. Freie Träger wie der Paritätische Wohlfahrtsverband, der bereits einzelne Kliniken erwerben wollte, blieben außen vor.

Der CDU-Gesundheitsexperte Mario Czaja will ein Interessensbekundungsverfahren ausschreiben und damit eine sinnvolle Konzernstruktur ermitteln. „Es geht ja nicht nur um die Altschulden“, sagt Czaja. „Das Kapital, das Vivantes braucht, kann das Land nicht aufbringen.“ Damit hat er wohl Recht.

Hinzu kommt: Die Personalkosten bei Vivantes sind im bundesweiten Vergleich zu hoch. Die Verwaltung ist überbesetzt, wichtiger aber ist die Altersstruktur der Beschäftigten: Weil sie nicht mehr die Jüngsten sind und nach BAT bezahlt werden, sind die Gehälter hoch. „Es gibt eine bundesweite Diskussion darüber, ob der BAT für Krankenhäuser noch sinnvoll ist“, sagt der Grüne Schrouffeneger. „Wenn Vivantes und Ver.di hier innovativ wären, könnte Berlin modellhaft sein.“ Für die Grünen ist Privatisierung kein Tabu mehr. „Wir wollen Vivantes erhalten“, sagt Schrouffeneger. Aber ohne tragfähiges Sanierungskonzept bleibe nur der Verkauf.

Finanzsenator Sarrazin ist einer Privatisierung ohnehin nicht abgeneigt, Gesundheitssenatorin Knake-Werner dagegen will Vivantes sanieren: „Das Land ist in der Pflicht, Gründungsfehler zu korrigieren.“ Saniert habe Vivantes durchaus eine Chance.

Heute und in den kommenden Monaten steht also mehr auf der Tagesordnung als Wolfgang Schäfers Job. Es geht um die Frage, ob Berlin sich noch landeseigene Krankenhäuser leisten wird. Dabei wird Schäfer in jedem Fall zum Kostenfaktor. Die Verträge der Geschäftsführer laufen bis 2006. Bis dahin müssen sie bezahlt werden – auch im Falle eines Rausschmisses.