■ Der politische Wechsel braucht eine modernere Geschlechterpolitik: Frauen und die Macht
Als am Wahlabend die Abgesänge der alten Regierungsmannschaft über den Bildschirm flimmerten, wurde deutlich: Die Zeit der alten Männer ist vorbei. Aber inzwischen dreht sich das Personenkarussell wieder in altvertrauter Manier. Wir können beobachten, wie Männer bei der Besetzung von Machtpositionen nach vorne preschen und beim Postenvergeben nicht „zu umgehen“ sind. Haben Frauen seit Jahren für die Grünen gestimmt, um lediglich den politischen Wechsel von Kohl, Waigel, Kinkel und Schäuble hin zu einer etwas verjüngten, aber weiterhin männlichen Mannschaft von Schröder, Lafontaine, Fischer und Trittin mitzuerleben?
Werfen wir einen kurzen Blick zurück. 1994 zogen Bündnis 90/Die Grünen mit einer je zur Hälfte von Frauen und Männern besetzten Fraktion in den Bundestag ein. Die Quote zeigte nicht nur in der zahlenmäßigen Repräsentanz positive Wirkung. Alle Konzepte der Grünen zur Sozial-, Arbeitszeit-, Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie zu ökologischen Fragen, die den Anforderungen an eine moderne sozialökologische Reformpolitik am ehesten gerecht werden, wurden von Frauen ausgearbeitet. Andrea Fischer, Marieluise Beck, Margarete Wolf, Christine Scheel und Michaele Hustedt stehen für sie.
Frauen haben sich über die Quote auf der Ebene inhaltlicher Gestaltungskompetenz in die Politik integriert, nicht aber auf der Ebene der Macht. Die Frauenforschung hat dieses Phänomen als „Teilintegration“ oder „politische Teilhabe ohne Zugehörigkeit“ beschrieben. Der Beitrag von Frauen für die politische Stärke einer Partei aber verschwindet, findet er nicht seine Entsprechung in der Institutionalisierung von Macht.
Es stellt sich die Frage, was kluge und durchsetzungsfähige Frauen dazu bewegt, sich immer wieder in die zweite oder dritte Reihe abschieben zu lassen. Offensichtlich ist es in den Jahren der Opposition nicht geglückt, ein weibliches Hinterland aufzubauen. In den Schwierigkeiten von Frauen, sich strategisch zu vernetzen, um tragfähige informelle Machtzentren zu bilden, zeigt sich Machtschwäche von Frauen im Öffentlichen. Auch der Forderung der Frauen der Grünen nach vier Ministerien haftet diese Schwäche an: Sie signalisiert Radikalität, während sie de facto die Konstellation des Männerduos schon akzeptiert. Der Mißerfolg ist programmiert.
Zu glauben, daß der politische Wechsel ohne eine moderne Geschlechterpolitik passieren kann, ist naiv und entbehrt jeder politischen Vision. Die jungen Frauen haben bei ihrem Wahlverhalten bereits gezeigt, daß ihre Solidarität mit den Grünen Grenzen hat. Die Qualität des politischen Wechsels wird sich an der Fähigkeit von Rot-Grün erweisen, den Umbau zur postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft nachhaltig zu gestalten. Die Frage, wie die Formen industrieller Arbeit verändert werden können, ohne die gesellschaftliche Spaltung in Kauf zu nehmen, ist dabei von großer Bedeutung. Frauen sind zentrale Modernisiererinnen bei einer sozialökologischen Gestaltung dieses Umbaus. Sie experimentieren schon heute bezüglich der Arbeitszeiten, Erwerbsunterbrechungen und der Übernahme von sozialer Verantwortung mit vielfältigen Formen.
Es werden ihre Lebens- und Arbeitsstile sein, die die Folie für Zukunftsmodelle abgeben, und nicht die männlichen Lebensentwürfe, die für die Arbeitsgesellschaft typisch waren. Eine sozialökologische Reformpolitik braucht einen neuen, komplexeren Arbeitsbegriff. Er muß die bislang gering bewertete Frauenarbeit aus ihrem gesellschaftlichen Schattendasein herauslösen und neue Qualitätsstandards zugrunde legen, die jenseits der Konsum- und Wachstumsoptionen des industriellen Systems liegen.
Die neuen Optionen für eine gerechtere Arbeitsverteilung und -bewertung sind im neoliberalen Politikmanagement der alten Regierung verpufft. Sozialökologische Politikkonzepte eröffnen hier größere Gestaltungsspielräume. Es ist zu hoffen, daß der politische Wechsel nicht schon beim Start ins Stolpern gerät. Dörthe Jung
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