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■ Der olympische Friede in Atlanta wurde heftig gestört. Aber nur kurz. Denn nach dem ersten Schreck über den Bombenanschlag, bei dem zwei Menschen starben, ging Olympia zur Tagesordnung über.Fahnen auf Halbmast, Schweigeminute, Startschuß

Der olympische Friede in Atlanta wurde heftig gestört. Aber nur kurz. Denn nach dem ersten Schreck über den Bombenanschlag, bei dem zwei Menschen starben, ging Olympia zur Tagesordnung über.

Fahnen auf Halbmast, Schweigeminute, Startschuß

Wäre die Bombe im Centennial Olympic Park von Atlanta nur einige Minuten später entdeckt worden, dann hätte es am Samstag im Olympiastadion wohl keine 80.000 Leute und keinen 100-Meter-Lauf gegeben. So aber ist Olympia noch einmal mit dem Schrecken davongekommen. Fast, denn zwei Tote und 110 Verletzte sind keine Kleinigkeit. Die Entscheidung war dennoch schnell getroffen. Eine kurze Konferenzschaltung zwischen Organisator Billy Payne, IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch und Bill Clinton, und schon verkündete der US-Präsident: „The Games will go on.“

„The Games must go on“, hatte auch Samaranchs Vorgänger Avery Brundage 1972 nach dem Anschlag auf die israelischen Sportler im Olympischen Dorf von München gerufen. Doch damals machte man immerhin einen Tag Pause, bevor die Wettkämpfe wiederaufgenommen wurden. Ein solches Trauermoratorium kommt für die heutigen Herren der Spiele nicht mehr in Frage. Zu viele Zeitpläne würden durcheinandergeraten, zu viele Fernsehsendezeiten in Mitleidenschaft gezogen, Geld würde verlorengehen. Also: Fahnen auf Halbmast, Schweigeminute, Startschuß.

Die Frage war nur, wie das Publikum reagieren würde. Würden die Leute in die Stadt kommen, würden sie zu den Wettkämpfen gehen, würden sie jubeln und klatschen wie zuvor? Die Besorgnis war unbegründet. Der Wunsch nach Verdrängung war auch bei den Hunderttausenden von Olympiatouristen, die nach Atlanta gekommen sind, riesengroß. Wir beugen uns nicht dem Terrorismus, wir lassen uns nicht den Spaß verderben, war der Tenor.

Es wäre ja auch absurd, wenn es ein armer Irrer, oder mehrere, oder wer auch immer schaffen würde, ein Ereignis, das Millionen Menschen in den Bann zieht, schnöde zu beenden. „Dies ist mit die einzige Gelegenheit, wo Leute von überall friedlich miteinander wettstreiten und relaxen können“, sagte 100 m-Olympiasieger Donovan Bailey aus Kanada stellvertretend für die meisten Sportlerinnen und Sportler. „Das können wir uns von ein paar Idioten nicht kaputtmachen lassen.“

Keine Zeit für ein Trauer-Moratorium

Die Bruchlosigkeit, mit der zur Tagesordnung übergegangen wurde, war dennoch ein wenig befremdlich. Kurz nach der Schweigeminute, die die meisten gar nicht mitbekommen hatten, weil sie noch in den Sicherheitskontrollen feststeckten, brandete schon die erste Ola durchs Olympiastadion. Dreisprungsieger Kenny Harrison und Sprinterin Gail Devers ernteten die üblichen „USA, USA“-Chöre, und auch bei Gewichtheben, Boxen, Basketball oder Tischtennis war von gedämpfter Stimmung nichts zu spüren. Die Leute waren froh, daß sie Sport statt CNN schauen konnten.

Auch in Downtown Atlanta wimmelten die Straßen nur so vor Menschen – wie jeden Tag. Nur das bisherige Herzstück der Spiele in jenem Teil der Stadt, der kaum Erholungsräume bietet, aber die meisten Wettkampfstätten birgt, lag verlassen da: der Centennial Olympic Park, in dem sich die Explosion ereignete, knapp 200 Meter entfernt vom CNN-Gebäude und vom Omni-Hotel. Dort logiert unter anderem das US-Dreamteam. Die Basketballer setzten sich noch in der Nacht zusammen, um über eine eventuelle Abreise zu beraten, da sie sich als prädestinierte Ziele für Anschläge betrachten. Sie entschieden dann aber, doch in Atlanta zu bleiben.

Seit das Gelände, das mit einem Park nur marginal etwas zu tun hat, zügig geräumt wurde, ist es samt Zufahrtsstraßen abgesperrt. Schon zehn Minuten nach der Detonation war auch der Zugang zum benachbarten Hauptpressezentrum der Spiele gesperrt. Gegen Journalisten, die diese Order nicht akzeptieren wollten, setzte die Polizei sogar Tränengas ein.

Tags darauf war das Pressezentrum wieder zugänglich, der Park bleibt jedoch vorläufig geschlossen. Statt den Menschenmengen, die das Areal bislang bevölkerten, um an den vier Bühnen Musik zu hören oder sich der geballten Werbeoffensive in den Pavillons der Sponsoren auszusetzen, gehörte der Centennial Olympic Park am Samstag den Spezialisten vom FBI und den Agenten der Alkohol-, Tabak- und Waffen-Abteilung des Department of Treasure. Zentimeter für Zentimeter wurde die Umgebung des Turmes abgesucht, auf dem sich Scheinwerfer und Mischpulte befanden und an dessen Fuß die Bombe plaziert war.

Wenn die Überprüfung des Geländes abgeschlossen ist, soll der Park wieder geöffnet werden. Für die kommende Woche stehen unter anderem Auftritte von Santana, Buckwheat Zydeco, Cirque de Soleil, Joan Osborne und Little Feet auf dem Programm jener Bühne am AT&T-Pavillon, wo zur Zeit des Anschlags die Band mit dem sinnigen Namen Jack Mack and the Heart Attack spielte.

Nur nicht den Spaß verderben lassen

Beschädigungen an den Gebäuden gibt es wegen der relativ schwachen Explosivkraft der Bombe kaum. So blieben beim 50 Meter entfernten Pressezentrum sämtliche Scheiben intakt. Selbst beim verglasten AT&T-Pavillon, der auch als Treffpunkt von Athleten mit ihren Familien diente, gab es kaum Scherben.

Noch offen ist, welche Auswirkungen der Anschlag auf die Sicherheitsvorkehrungen haben wird. Zunächst war bei den Organisatoren die Einschätzung vorherrschend, daß keine Notwendigkeit besteht, die bestehenden Kontrollen an Wettkampfstätten und Olympiagebäuden zu verschärfen, da die Bombe nicht in einer gesicherten Zone plaziert wurde, sondern in einem frei zugänglichen Areal. Tatsächlich verliefen die Kontrollen im wesentlichen genauso wie vorher. Auch der offene Charakter des Centennial Olympic Park soll vermutlich beibehalten werden, denn selbst wenn die vier Eingänge mit Detektoren und Durchsuchungspersonal gesichert würden, könnte jemand, dem es auf wahllose Zerstörung ankommt, jederzeit einen Anschlag verüben: in einem der anderen Sponsorenareale etwa, in einem belebten Einkaufszentrum wie Underground Atlanta, wo am Samstag bereits eine der vielen Bombendrohungen am Tag danach einging, oder auch an einer belebten Kreuzung. „Atlanta ist nun mal eine offene Stadt“, erklärte A. D. Frazier vom Organisationskomitee.

Einen Personenenkreis gibt es zumindest, der zwar nicht froh über die Bombe, aber doch nicht unglücklich über die Schließung des Centennial Park ist: die umliegenden Straßenhändler, deren Geschäft einen deutlichen Aufschwung genommen hat. The games must go on. Matti Lieske, Atlanta

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