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■ Der neue hessische Justizminister Rupert von Plottnitz„Zuständig für die Schattenseiten“

taz: Warum sitze ich hier in Wiesbaden dem grünen Justiz- und Europaminister Rupert von Plottnitz gegenüber und nicht dem Innenminister Rupert von Plottnitz? Joschka Fischer, Fritz Hertle und auch Sie hatten doch vor den Koalitionsverhandlungen erklärt, das „Schlüsselressort Innenministerium“ besetzen zu wollen.

Rupert von Plottnitz: Das ist so nicht richtig. Was es gab, war die Vorstellung bei Teilen des Landesverbandes und auch bei mir, daß wir uns angesichts des guten Landtagswahlergebnisses nicht darauf beschränken sollten und dürften, lediglich das zu fordern, was wir an Ministerien bereits hatten. Aber eine Festlegung auf das Innenministerium nach dem Motto „Das oder gar nix“ gab es nie.

Glaubt man Ministerpräsident Hans Eichel (SPD), hat er Ihnen das Justizministerium gern hinterhergeworfen. Es gebe da keinerlei Gestaltungsspielraum. Wörtlich meinte er, daß die Grünen ein Schlüsselressort gewollt hätten. Und weil damit wohl der Schlüssel für die Knäste gemeint gewesen sei, habe er diesen Schlüssel gern weitergegeben.

Also die Vorstellung, daß in einem Justizressort nicht mehr geschieht als das Ab- oder Aufhängen von Schlüsseln, kann ich so nicht teilen. Das Justizministerium ist zum Beispiel auch zuständig, wenn es um die Stimme von Hessen im Bundesgesetzgebungsprozeß geht. Die Frage ist doch nicht ohne Bedeutung, ob Hessen in den Chor derer einstimmt, die da glauben, je schärfer das Strafrecht, je knapper die Rechte von Beschuldigten und Verteidigern, desto besser für das Ganze. Oder ob sich Hessen – und dafür stehe ich – auf allen Ebenen für den Erhalt und den Ausbau von Bürgerrechten einsetzen wird.

Welche Gestaltungsspielräume haben Sie tatsächlich?

Es geht um Akzentsetzungen: Ob man einem Law-and-order- Denken frönt oder ob man etwa das Strafvollzugsgesetz ernst nimmt und in den Justizvollzugsanstalten tatsächlich Verhältnisse schafft, die die dort Einsitzenden darauf vorbereiten, nach der Entlassung ein straffreies Leben führen zu können. Es geht um einen anderen Umgang etwa mit straffällig gewordenen Drogenkranken. Und es geht – auch wenn ich mich da gebetsmühlenartig wiederholen muß – um die Stärkung von Bürgerrechten.

Welcher Resozialisierungsgedanke steckt denn hinter der Idee, Abschiebeknäste zu bauen und zu füllen? Während Ihre Parteikollegen etwa aus dem Landtag von Rheinland-Pfalz noch im Dezember 1994 vor dem Abschiebeknast in Worms demonstrierten und dessen Schleifung forderten, dürfen Sie als Justizminister demnächst einen neuen Abschiebeknast in Offenbach einweihen.

Die Frage ist doch nicht: „Was ist an einem Abschiebeknast falsch oder richtig?“ Die Frage muß doch lauten: „Was ist an Abschiebung falsch oder richtig?“! Abschiebungen und Abschiebehaft sind nach dem Recht der Bundesrepublik ausschließlich dort vorgesehen, wo konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sich jemand einer rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung entziehen will, sich also illegal in der Bundesrepublik aufhalten will. Dort, wo solch ein Nachweis geführt werden kann, wird es schwierig sein, sich gegen den Gedanken an Abschiebehaft zu wenden, immer vorausgesetzt, daß eine solche Haft nicht länger dauert, als zur Realisierung der Abschiebung unbedingt notwendig ist, und den Betroffenen keine menschenrechtswidrige Verfolgung im Heimatstaat droht. Insofern gehören Abschiebungen zu den traurigen Seiten einer Welt, die noch nicht soweit ist, daß jeder dort leben kann, wo er möchte...

Aber die Menschen werden doch in Spezialgefängnissen in Haft genommen, obgleich sie keinerlei Verbrechen begangen haben. Vielfach sitzen Abschiebehäftlinge monatelang ein.

Das Problem ist tatsächlich, daß Abschiebehaft zuweilen auch dann angeordnet wird, wenn kein konkreter Nachweis dafür vorliegt, daß sich jemand der Abschiebung entziehen will; und daß die Abschiebehaft auch dann noch fortdauert, wenn feststeht, daß die Gründe, an denen die Abschiebung scheitert, nichts mit der Person des Abzuschiebenden zu tun haben, sondern im Verhalten der Heimatbehörden zu suchen sind.

Welche konkreten Änderungs- und Eingriffsmöglichkeiten hat da der hessische Justizminister?

Von der Zuständigkeit her keine, weil hier ausschließlich das Innenressort gefragt ist. Unabhängig hiervon müssen die geltenden Gesetze und Bestimmungen konsequent angewandt werden. Denn auch heute schon darf rechtlich keine Abschiebehaft verhängt werden, wenn ein Abzuschiebender aus Gründen, die er nicht zu verantworten hat, nicht abgeschoben werden kann. Allerdings läßt sich nicht ernsthaft darüber streiten, daß jemand, der sich erklärtermaßen illegal in der Bundesrepublik aufhalten will, obwohl er von einer rechtskräftigen Ausweisung betroffen ist, in Abschiebehaft genommen wird.

Natürlich gilt, daß ein Justizminister in Hessen für die Schattenseiten zuständig ist, nicht nur im Bereich der Abschiebung, sondern vor allen Dingen auch im Bereich der Verhängung von Untersuchungs- und Strafhaft. Wir leben aber nun mal in einer Gesellschaft, die Freiheitsentzug in einer ganzen Reihe von Fällen als Sanktion vorsieht. Und ich kenne auch bei Bündnis 90/Die Grünen viele, die für bestimmte Fälle und für bestimmte Normverletzungen Freiheitsentzug nicht nur für ein sehr probates Mittel halten, sondern für bestimmte Delikte die Verhängung von Freiheitsstrafen oder gar eine Verschärfung von Freiheitsstrafen fordern. Wenn ich etwa an Delikte sexueller Gewalt oder an fremdenfeindliche Straftaten denke, dann ist es ja nicht so, daß die grüne Partei für eine Liberalisierung oder für soziale Prävention statt Strafe eintritt.

Sie haben in den siebziger Jahren in Stammheim Mitglieder der RAF verteidigt. Dürfen sich die zehn in Hessen einsitzenden und zu langen Freiheitsstrafen verurteilten Mitglieder oder Ex-Mitglieder der RAF jetzt auf ihre Zusammenlegung freuen?

Wenn Zusammenlegung aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden und der jeweils zuständigen Anklagebehörde ein sinnvoller Weg ist, um Strafvollzugsziele zu erreichen, dann wird sich Hessen dem sicherlich nicht entziehen. Aber Hessen kann und wird nicht das einzige Bundesland sein, in dem dann zusammengelegt wird, weil das alles mit großem Aufwand verbunden ist. Im übrigen ist Zusammenlegung nicht die beste Lösung. Die richtige Lösung kann nur die Schaffung möglichst regulärer Haftbedingungen sein. Es darf weder im Negativen noch im Positiven die Vorstellung geben, daß es sich bei einer bestimmten Gruppe von Gefangenen um Gefangene erster Klasse und bei einer anderen Gruppe um Gefangene zweiter Klasse handelt. Es darf also keinen Unterschied zwischen sogenannten politischen und anderen Gefangenen geben.

Es gab und gibt noch die Amnestiedebatte für sogenannte politische Gefangene. Und es gab und gibt die Möglichkeit, Langzeitgefangene über den Gnadenweg in die Freiheit zu entlassen. Welche Kompetenzen hat da ein Landesjustizminister?

In den Fällen, in denen die Verurteilung auf Anklage von der Generalbundesanwaltschaft hin erfolgte, ist der Bundespräsident zuständig. Aber auch dort, wo es lange oder gar lebenslange Freiheitsstrafen gegeben hat, kann die Forderung nach Amnestie oder Gnadenerweis nur der zweite Schritt sein. Der erste Schritt muß der normale Rechtsweg sein. Das Bundesverfassungsgericht hat klar festgelegt, daß auch ein Langzeitgefangener das Recht hat, nach Ablauf einer bestimmten Zeit – in der Regel sind das 15 Jahre – seinen Fall überprüfen zu lassen mit der Zielsetzung der Freilassung, weil der Gedanke an eine Wiederholung der Straftat absurd geworden ist. Das liegt auf meiner Linie: keine versteckten Sonderrechte. Wenn allerdings ein Gefangener, der zu dieser Gruppe der sogenannten RAF-Gefangenen gehört, in Schrift und Wort zu erkennen gibt, daß er den Weg des bewaffneten Kampfes auch im Jahre 1995 noch für den einzig politisch vertretbaren und notwenigen Weg hält, wird kaum entlassen werden können. Wer dagegen durch sein Verhalten und seine Einlassungen klargemacht hat, daß dies nicht mehr sein Ding ist, der kann auch aus der Strafhaft entlassen werden. Da brauch' ich keine Amnestie, da brauch' ich keine Gnade, sondern nur die intelligente Anwendung des geltenden Rechts.

Das klingt alles außerordentlich staatstragend. Haben Ihre jungen ParteifreundInnen recht, wenn sie sagen, daß Rupert von Plottnitz jetzt für die Grünen den „Mythos des Bürgerlichen und Etablierten“ durch alle Talk- Shows tragen wird?

Die Grünen waren ja selbst in ihren wildesten Zeiten nie eine Partei der Arbeiterklasse. Wir waren immer eine bürgerliche Partei, die zudem mehr als andere der Gewaltfreiheit verpflichtet ist. Aber ich akzeptiere, daß heute, wo so einer wie ich Justizminister werden konnte, sich allerlei Mystifikationen an diesen Vorgang knüpfen – aber auch Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Für bestimmte konservative Kreise hat ja mit meiner Vereidigung der Untergang des Abendlandes begonnen. Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt

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