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Der gedisste Kolonisator

In Lübeck kommt Kurt Tucholskys Kolumbus-Satire auf die Bühne – genau da, wo einst eine „Völkerschau“ indigene Menschen aus Nordamerika vorführte

Idealist mit Geschäftssinn: Kolumbus (Michael Fuchs) mit Königin Isabella (Sonja Cariaso) Foto: Isabel Machado Rios

Von Friederike Grabitz

Majestätisch ragt der Lübecker Dom mit seinen zwei Türmen in die Stadtkulisse, perfekt ausgeleuchtet vom Abendlicht. Hier im Domhof inszenierte das Theater Lübeck zum dritten Mal eine Open-Air-Produktion. Ziel des Formats sei es, ein möglichst breites Publikum zu erreichen, so Schauspieldirektor Malte Lachmann.

Gemessen am überregionalen Presseecho nach der jüngsten Premiere, scheint das gelungen zu sein. Das dürfte nicht nur an der besonderen­ ­Location liegen, sondern auch am Stück: Gespielt wird dieses Jahr „Christoph Kolumbus oder Die Entdeckung Amerikas“ von Kurt Tucholsky und dem in den 1930er-Jahren renommierten Theatermacher Walter ­Hasenclever.

Kolumbus, der ambivalente Kapitän, kommt derzeit nicht nur im Schatten der Kirche auf die temporäre Bühne. Sondern auch neben dem Museum für Natur und Umwelt, wo die Lübecker Sammlung der Kulturen der Welt eine Nordamerika-­Ausstellung zeigt. Als Teil davon – zugleich ein stummer Kommentar zum Kolumbus-­Thema – arbeitet tagsüber der indigene Künstler David Seven Deers neben der Bühne an der Granitskulptur eines „Seelenkanus“.

Stolze Männer mit ihrem Stolz

Natürlich ist das Stück keine Huldigung, Tucholsky hat es 1932 als Satire geschrieben. Nachdem „Kolumbus“ bei Uraufführung in Leipzig gefloppt war, machte der österreichisch-jüdische Kommunist Jura Soyfer 1937 ein Singspiel daraus. 1969 verfilmte der Hessische Rundfunk den Stoff sogar fürs ARD-Fernsehprogramm. Die Lübecker Thea­ter­ma­che­r*in­nen haben dem Ganzen offenbar nicht getraut: Sie ließen Willy Daum die Musik modernisierten, zugeschnitten auf die fünfköpfige Ensembleband, in der er selbst mitspielt. Die Inuk-dänische Künstlerin Kuluk Helms fügte mit zwei Mo­de­ra­to­r*in­nen einen postkolonialen Subtext ein, der das Ganze ironisch aus der Zukunft kommentiert: „Ohne die Kolonien hätten wir nichts gehabt, also nichts zu tun gehabt. Wo sollten denn all diese stolzen Männer hin mit ihrem Stolz?“

Herausgekommen ist ein leicht zugänglicher Cocktail mit kritischer Grundierung für laue Sommerabende: Slapstick und ein Hauch ­Musical, antikoloniale Pointen und mehrstimmige Erzählstrukturen, ­maritime Motive in einem Bühnenbild aus Übersee-­Containern und barock gepuderten Gallionsfiguren. Den Kolumbus spielt Michael Fuchs als tumben, aber auch geschäftstüchtigen Idealisten, der die Granden des finanziell klammen spanischen Hofs nicht davon überzeugen kann, dass die Erde rund ist – steht ja nicht in der Bibel. Der König interessiert sich ausschließlich für seinen Magen. Die Königin stattet ihn dann aus primär feministischen Motiven aus: mit drei Schiffen und einem ­Admiralstitel.

„Kolumbus oder Die ­‚Entdeckung‘ Amerikas“. Weitere Vorstellungen 4. bis 6. und 8. -13. 7., jeweils 20 Uhr (sonntags 18.30 Uhr); Lübeck, Domhof

Als Agent der spanischen Krone organisiert Finanzsekretär Vendrino (Heiner Kock) die Fahrt und spart schonungslos an Material, Essen und Besatzung. Weil sich nicht genug Freiwillige finden, kommen 400 begnadigte Schwerverbrecher an Bord. Das ganze Unternehmen ist schwer unter­finanziert, ein Gelingen unwahrscheinlich. Diesen Spannungsbogen schlachtet die Inszenierung genüsslich komödiantisch aus. Das Personal wird mit modernen Charaktertypen besetzt – Vendrino ist ein gewissenloser Goldkettchen-Geschäftemacher, die Besatzung kommandiert ein als Edelprostituierte kostümierter Unterweltboss, und um das Marketing kümmert sich ein zum Yellow-Press-Magnaten beförderter Barde.

Apfelsinen und Eier

Als kleines Zitat aus dem (ziemlich unkritischen) 1992er-Kolumbus-Spielfilm von Ridley Scott tauchen überall in der Inszenierung Apfelsinen auf. Ein Höhepunkt ist der Auftritt von ­Luisa Böse als Eierfrau, die in schnoddrigstem Plattdeutsch, ja: das Ei des ­Kolumbus verkauft – hartgekocht und natürlich mit Maggi.

Maritimes Dekor und Meta-Kommentar Foto: Isabel Machado Rios

Anders als das Original von Tucholsky endet die Lübecker Inszenierung sofort nach der Überfahrt mit einer Begegnung mit Be­woh­ne­r*in­nen der Karibik. Christoph Kolumbus hält eine gesalbte Rede: „Wir kommen in friedlicher Absicht. Wir wollen nur von diesem Land Besitz ergreifen, das heißt: Wir bringen euch die Segnungen der Zivilisation. Und ihr habt jetzt sogar eine Königin.“ Die schaut zu und schält dabei fröhlich eine Apfelsine.

Ob die Thea­ter­ma­che­r*in­nen wussten, dass genau hier, auf dem Domhof, vor etwas mehr als 100 Jahren, bei einer „Völkerschau“ des Zirkus Sarrasani, Indigene aus Nordamerika ­tanzten? Kolumbus’Frage, was die „Entdeckten“ von ihrer „Entdeckung“ halten, sie wäre an jene damaligen Dar­stel­le­r*in­nen zu richten.

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