Der drohende Abstieg: Glaubenskrise am Millerntor
Die Fußballer des FC St. Pauli müssen nach der 1:3-Heimniederlage gegen Werder Bremen für die zweite Bundesliga planen. Ungeklärt ist allerdings, wer den scheidenden Trainer Holger Stanislawski beerbt.
HAMBURG taz | Holger Stanislawski fehlten die erklärenden Worte. Stumpf beschrieb der sonst nie um eine griffige Analyse verlegene Coach des FC St. Pauli nach dem Spiel, was alle im Stadion und an den Bildschirmen hatten sehen können.
Kein Zweikampfverhalten, kein entlastender Pass, kein Mut, kein Glaube mehr an die eigenen Stärken: So hatte sich sein Team gegen Werden Bremen in der zweiten Halbzeit präsentiert, drei Tore gefangen und damit die Weichen für den Abstieg gestellt.
Der Glaube an den Klassenerhalt, er ist auch Stanislawski abhanden gekommen. Hatte der nach Hoffenheim wechselnde Trainer eine Woche zuvor noch erklärt, er glaube "sicher" an den Klassenerhalt, so sprach er nach dem 1:3 gegen Werder Bremen nur noch von einer "minimalen Chance" auf den Verbleib in der Bundesliga.
Zu diesem Zeitpunkt wusste Stanislawski noch nicht einmal, dass die anderen beiden Kellerkinder - Gladbach und Wolfsburg - ihre Heimspiele gewinnen und die Hamburger erstmals in dieser Saison auf den letzten Tabellenplatz fallen würden. Sein Kontrahent Thomas Schaaf rang sich hingegen ein Lächeln ab - seine Bremer sind nach dem Auswärtserfolg am Millerntor so gut wie gerettet.
Zum Finale geht dem FC St. Pauli die Puste aus - der Aufsteiger hat sich zum Teilzeit-Team entwickelt. Blenden wir zurück: Am 16. Februar gewinnt der FC St.Pauli überraschend das Stadtderby beim HSV, scheint mit neun Punkten Abstand auf einen direkten Abstiegsplatz und nach fünf Spielen ohne Niederlage in Folge schon fast gerettet.
Doch dann folgt - begünstigt von vielen Verletzungen - der Absturz: Neun Spiele hintereinander bleibt der Aufsteiger ohne Sieg, holt nur ein einziges Pünktchen gegen Wolfsburg.
In den einzelnen Spielen bleibt den Hamburgern zum Schluss immer wieder die Luft weg: Immer wieder klauen die Gegner mit Last-Minute-Toren überlebenswichtige Punkte. Hatten die Hamburger in Wolfsburg immerhin noch bis zur 88. Minute geführt, stellten sie am Ostersamstag schon zur Halbzeit den Spielbetrieb quasi ein und gaben eine verdiente 1:0-Führung ohne jede Gegenwehr aus der Hand. Dem Teilzeit-Team droht nun eine Zukunft als Vollzeit-Zweitligist.
Der Abstieg scheint besiegelt, die Auflösungserscheinungen sind unübersehbar. Mitte April verkündete Holger Stanislawski seinen persönlichen Klassenerhalt in Hoffenheim und Leistungsträger wie Thomas Kessler oder Max Kruse haben angekündigt, ebenfalls nicht in die Niederungen der zweiten Liga mitzugehen.
Leihspieler wie Gerald Asamoah, Carlos Zambrano oder Bastian Oczipka werden zu ihren früheren Vereinen zurückkehren, Mathias Lehmann wird trotz Vertrag kaum zu halten sein und die Riege um Marius Ebbers, Fabio Morena und Fabian Boll ist in die Jahre gekommen. Nach dem Abstieg stünde dem Team ein radikaler Umbruch bevor.
Doch der kann bis auf weiteres nicht eingeleitet werden: Erst wenn die Trainerfrage beantwortet ist, kann der Hamburger Stadtteilklub die kommende Saison planen, entscheiden, welche auslaufenden Verträge verlängert, welche neuen Spieler geholt werden.
Claus-Dieter Wollitz, André Schumann, Marcel Koller und viele andere sind derzeit als Stanislawskis Erbe im Gespräch. Kommt es nicht schnell zu einer Entscheidung, müssen die Hamburger auf dem Transfermarkt nehmen, was übrig bleibt. Die begehrtesten Talente aber werden dann schon in anderen Vereinen untergekommen sein.
Erinnerungen werden wach an den Bundesliga-Abstieg von 2002, dem nur ein Jahr später der Sturz in die Regionalliga folgte. Doch anders als damals ginge der FC St. Pauli 2011 nicht hochverschuldet, sondern - auch Dank neuem Stadion - finanziell und strukturell gut aufgestellt in Liga zwei. Zudem gilt der Verein als Sprungbrett für Talente. Eine Prognose für die kommende Saison fällt trotzdem schwer: Erst die Personalentscheidungen der kommenden Monate werden den Weg weisen.
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