■ Der Westen wird seine Versprechen in Bosnien nicht einhalten können. Den Verhandlungen droht ein Mißerfolg: Friedensvertrag ohne Frieden?
Keine Anerkennung gewaltsamer Grenzveränderungen, keine Legitimation für ethnische Säuberungen und Erhalt des Staates Bosnien-Herzegowina – glaubt man den offiziellen Verlautbarungen, sind dies die Prinzipien, an denen sich die UNO, vor allem aber die USA und die westeuropäischen Mitglieder der Bosnien-Kontaktgruppe bei den Friedensverhandlungen orientieren werden. Seit sich gestern die Tore in Dayton schlossen, hat das Finale in einem Krieg begonnen, den der Westen über Jahre mit hehren Versprechungen begleitet hat, wohl wissend, daß diese Versprechen nicht eingelöst werden würden. Falls sich nicht hinter den geschlossenen Türen eine dramatische Veränderung ergibt, droht auch im letzten Akt die Fiktion über die Wirklichkeit zu siegen.
Was mit der internationalen Anerkennung Bosniens begann, wird nun zu einem makaberen Schluß geführt. Da wird tagelang um eine Verfassung gestritten werden, bei der bereits jetzt fast jeder davon ausgeht, daß die Verfassungswirklichkeit ihr nie entsprechen wird. Da wird feierlich ein Rückkehrrecht für die Millionen von Vertriebenen proklamiert, obgleich schon jetzt klar ist, daß sich niemand finden wird, dieses Recht auch durchzusetzen. Geht es so weiter, könnte ein Erfolg in Dayton zum schlimmsten Mißerfolg führen: ein Friedensvertrag, der die Chance auf Frieden verspielt, weil er unrealistisch ist.
Seit bekannt wurde – nicht zuletzt durch die taz –, wie die westlichen Führungsmächte, die USA, Frankreich, Großbritannien, aber auch die Bundesrepublik Deutschland, die UNO-Schutzzone Srebrenica fallen ließen, wird niemand mehr glauben, daß die zukünftige Nato-Friedenstruppe bereit und der Lage sein wird, die Rückkehr der Flüchtlinge in eben dieses Srebrenica durchzusetzen. Das gilt nicht nur für Srebrenica, sondern genauso für die anderen von Serben eroberten muslimischen Siedlungen – und umgekehrt auch für die Krajina. Gerade die Eroberungen Srebrenicas und der Krajina waren ja sogenannte Frontbegradigungen, die zwar offiziell angeprangert, hinter den Kulissen aber stillschweigend geduldet oder sogar befördert wurden, um die Verteilung des Landes zu vereinfachen. Weitab von den Verhandlungstischen in Genf, Washington oder Moskau gilt und galt in Bosnien immer nur eine Regel: Wer hat, der hat. Nur da, wo das eigene Militär steht, werden Versprechen der internationalen Staatengemeinschaft auch umgesetzt.
Diese De-facto-Teilung des Landes kann weder durch eine Verfassung noch durch schöne Absichtserklärungen aufgehoben werden, auch nicht, wenn diese sich auf einem Papier befinden, das dann Friedensvertrag heißt. Die Realität dieses Vertrages spielt sich beispielsweise im US-Kongreß ab, wo die Mehrheit gegen eine Beteiligung von US-Truppen an der multinationalen Friedenstruppe votiert und damit mindestens durchsetzt hat, daß Clinton sich an eine enge zeitliche Befristung der Stationierung halten wird. In zehn Monaten oder auch einem Jahr wird aber die Wiederherstellung des Staates Bosnien- Herzegowina – tatsächlich handelt es sich ja um eine Konstituierung – nicht zu haben sein. Was wahrscheinlich dabei herauskommt, ist jetzt schon absehbar. Im Verständnis der drei Kriegsparteien ist der kommende Friedensvertrag nichts anderes als eine Atempause, ein von der Nato garantierter Waffenstillstand für ein Jahr, den jede Seite dazu nutzen wird, die eigenen Arsenale aufzufüllen und aufzurüsten, so weit die Kassen tragen. Holt die Nato ihre Boys dann heim, geht der Krieg auf dem Balkan umso heftiger weiter. Nur, daß dann die Chance auf einen erneuten internationalen Friedensvertrag weitaus geringer ist als jetzt.
Es gibt aus diesem Szenario simple Schlüsse zu ziehen. Der erste ist: Es wird nichts bringen, die brutale Wirklichkeit schönzureden. Der Westen sollte nur versprechen, was er auch einlösen will. Entweder man garantiert Flüchtlingen, die zurückkehren wollen, ihre Sicherheit in jedem Dorf Bosniens, oder man hört auf, auf dem Papier das Rückkehrrecht durchzusetzen. Dasselbe gilt für die territoriale Integrität des Staates Bosnien-Herzegowina. Entweder die UNO, die USA oder die Staaten der Kontaktgruppe garantieren eben diese Integrität, oder sie hören auf, sie lediglich am Verhandlungstisch einzuklagen.
Umgekehrt wäre es viel spannender zu fragen, wofür die USA und Westeuropa maximal bereit wären, auch den Kopf hinzuhalten. Letztlich kann es uns in Westeuropa genauso wie in den USA gleichgültig sein, wie genau sich die politische Landkarte des ehemaligen Jugoslawien in den nächsten Jahren darstellt. Letztlich kann es uns auch egal sein, ob auf dieser Landkarte Bosnien-Herzegowina auftaucht. Der Nationalstaat Bosnien-Herzegowina ist ja kein Wert an sich, kein Mensch sollte dafür mit dem Leben bezahlen. Was uns nicht egal sein darf, ist die Existenz der Muslime im ehemaligen Jugoslawien. Egal, ob nun als ethnische oder religiöse Community – es geht um die körperliche und kulturelle Unversehrheit dieser Menschen, die in diesem Krieg bedroht sind. Es geht nicht um die Durchsetzung einer Staatsidee.
Sowohl die Serben als auch die Kroaten in Bosnien-Herzegowina haben ihre jeweilige Schutzmacht im Rücken und eine mögliche Vereinigung mit dem Mutterland vor Augen. Für Kroaten und Serben ist es ebenso schlimm vertrieben zu werden – aber sie haben wenigstens noch einen Platz, an den sie flüchten können. Die Muslime haben das nicht. Deshalb ist die internationale Gemeinschaft ihnen gegenüber in der Pflicht. Die Frage ist also, wie genau das Recht der Muslime auf körperliche und kulturelle Unversehrheit durchgesetzt werden kann, und zwar nicht nur auf dem Papier.
Nach vier Jahren erbittertem, teilweise bestialisch geführtem Krieg ist ein Status quo ante, wenn überhaupt, dann nur zu einem Preis durchzusetzen, den niemand im Westen bereit ist zu zahlen. In einem Land, in dem gut die Hälfte der Einwohner nicht mitmachen will, ist schlecht Staat zu machen. Auch das ginge nur, wenn der materielle Anreiz so hoch wäre, daß es sich richtig bezahlt machte, im Staate Bosnien zu leben. Dafür müßte die EU dann statt zwei Milliarden vielleicht 200 Milliarden Mark locker machen, eine Summe, die völlig illusorisch ist. Was dagegen durchgesetzt werden muß, ist zu allererst ein Ende des Mordens und dann eine befriedigende Perspektive für die Muslime im ehemaligen Jugoslawien. Zur Not auch mittels eines robusten Blauhelmeinsatzes über zehn oder mehr Jahre. Jürgen Gottschlich
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