Der Vatikan war schon immer gut im Marketing. Ein Besuch mit Friedrich August, dem Geist des Kapitalismus, in Rom: Wie die Katholiken das Brandory erfanden
Kapitalozän
Ingo Arzt
Hiermit möchte ich mich bei Domenico Ghirlandaio entschuldigen, dessen Meisterwerk ich leider verkannte. Er war ein großer Renaissancemaler, starb an der Pest, inspirierte so viele. Leonardo da Vinci, Michelangelo, die Turtels, Friedrich August (der Geist des Kapitalismus, der bei mir wohnt) und das deutsche Exportwunder.
Friedrich August und ich waren dieser Tage in Rom, besuchten den Vatikan und dort die Sixtinische Kapelle. Dort stehen wir also, zusammengepfercht mit hunderten Pilgern.Wir bestaunen die Malereien der Sixtinischen Kapelle. Wände und Decken sind verziert mit pornografischen Jesus-Comics. Selbst der Heiland ist fast nackend. Sein Gemächt hatte Michelangelo zunächst schlaff, aber entblößt ausgeführt, später wurde es mit einem gezeichneten Tuch verhüllt. Wie viel Leid wäre der Menschheit erspart geblieben, hätten die Katholiken ihre Homosexualität offen ausgelebt?
„Diese Christen sind zwar raffgierige Beidln, haben aber ein geniales Geschäftsmodell“, flüstert mir Friedrich August zu. Ich ärgere mich gerade über Domenico Ghirlandaios Gemälde „Berufung der ersten Apostel“. Jene waren Simon und Andreas, zwei junge Fischer am Ufer des Sees von Galiläa. Als Fischer stank man wie die Kloakenarbeiter zu Jerusalem, hatte schwielige Hände, sonnenversengte, dunkle Haut. Und was malt Ghirlandaio? Zwei königweiße Heilige mit grauen Rauschebärten in edlen Gewändern, die vor einem blondgelockten, depressiven Heiland knien.
Wir verlassen die Kapelle und setzen uns unter frühlingsblauem Firmament auf eine Bank in den Gärten des Vatikan. „Dieses Geschäftsmodell ist wirklich leiwand“, schwärmt er immer noch und fährt fort: „Auf den ersten Blick ist das hier ökonomischer gesehen a Schaß: Gold, Silber und Reichtümer sammeln und in nicht produktive Assets wie Kathedralen und Renaissancegemälde anlegen, nicht gut“, doziert der kleine Geist. „Aber on the long run ist das geniales Brandory.“ Brandory?
„Beim Brandory geht es darum, die Geschichte selbst zu erschaffen, zur Wahrheit zu erheben und unwiderruflich mit der eigenen Marke zu verbinden. Branding plus History gleich Brandory“, erklärt Friedrich August. „Die Katholiken haben bei 1,2 Milliarden Menschen das Monopol auf Erlösung samt der zugehörigen, 2000-jährigen Heilsgeschichte. Das ist ökonomisch gesehen genial. So ähnlich funktioniert auch das deutsche Exportwunder.“
„Hä?“ Ich döse in der Sonne. Friedrich August fährt fort.
„Der Mensch braucht Seelenheil und Status. Milliarden Menschen glauben an den Papst, Milliarden Menschen glauben daran, dass deutsche Autos sie zu was Besserem macht. Habt ihr nicht dank eurer Technik zwei Kriege gegen den Rest der Welt fast gewonnen? Das ist Quatsch, aber der gleiche Quatsch, wie die Apostel Simon und Andreas als edle Denker zu malen. Made in Germany ist auch Brandory“, schließt Friedrich August. „Hm. Ich weiß nicht“, sag ich. „Michelangelo hat Jesus mit Pimmel gemalt. Der Vatikan lässt drüberpinseln. Das Geschäftsmodell kann auf Dauer nicht gut gehen.“
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