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■ Der Untergang des Abendlandes beginnt in Hessen„Entweichung“ nervt „Plotte“

Frankfurt/Main (taz) – Ein schlechtes Gewissen schleppte der hessische Justizminister Rupert von Plottnitz (Bündnisgrüne) ohnehin schon seit Wochen mit sich heraum, weil er einen Frankreichurlaub gebucht hatte – vor der Ankündigung der Atombombentestserie durch Jacques Chirac, wie „Plotte“ vor Urlaubsantritt in einem Gespräch mit der taz betonte. Jetzt muß der Minister seine Ferien in der Bretagne abbrechen, weil „ihm“ in Hessen einer ausgebrochen ist: Ausgerechent der als skrupellos geltende Todesschütze Safed Azemaj aus dem Kosovo und der Unterwelt, der am 24. Juni 1994 auf der Zeil in Frankfurt/ Main einen Landsmann erschoß und anschließend – um der Festnahme durch die Polizei zu entgehen – losballerte und dabei zwei Passanten verletzte.

Was im schönsten Behördendeutsch eine „Entweichung“ genannt wird, hat die Hardliner von der oppositionellen CDU im hessischen Landtag zum Rundumschlag gegen den Minister und sein Ministerium animiert. „Hier liegt keine Verkettung unglücklicher Umstände vor, sondern hier reihen sich Schlampereien, Fehlverhalten und chaotische Kommunikationsstränge im hessischen Justizressort aneinander“, schloß etwa der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union und Ex-Kultusminister Christean Wagner messerscharf. Und die CDU schoß gleich noch über das (angebliche) Ziel hinaus und den grünen Minister mit einem Querschläger an: „Ein Justizminister, der seine Hauptaufgabe darin sieht, sich um eine möglichst humane Behandlung von Dealern zu kümmern, den optimalen Ort für den Vertrieb von Drogen ausfindig zu machen und die lebenslange Freiheitsstrafe abzuschaffen, verkennt seine Aufgaben fundamental.“

Ihre Aufgaben „fundamental verkannt“ haben tatsächlich die beiden Justizvollzugsbeamten, die Azemaj am vergangenen Dienstag mit einem Gefangenentransporter von der U-Haft-Anstalt in Preungesheim zur Urteilsverkündung in das Gerichtgebäude im Gerichtsviertel fahren sollten. Die inzwischen von Rupert von Plottnitz beurlaubten Beamten, hielten auf dem Hof des benachbarten Freigängerhauses an, um dort das Mittagessen für die U-Häftlinge zu holen, die an diesem Tag vor Gericht anzutanzen hatten. Der in Straßenkleidung in der „Wanne“ sitzende Azemaj nutzte die Gunst der Minute, sprang aus dem Fahrzeug, rannte über den Hof und kletterte über einen Zaun – und weg war Azemaj, der nach richterlicher Anordnung eigentlich in einer Zelle des Gefangenetransporters angekettet hätte werden sollen. In Abwesenheit wurde Azemaj danach zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Stocksauer reagierte auch die Polizei in Frankfurt/Main auf die schlamperten Kollegen. Die Kugeln seien ihnen vor einem Jahr „um die Ohren geflogen“, erzählen beteiligte Beamte verbittert: „Und die Schwachköpfe vom U-Knast lassen dem Revolverhelden einfach die Tür vom Bulli aufstehen.“

Ob die Mitglieder des Rechtsausschusses des hessischen Landtags, die am Montag auf Antrag der CDU zusammenkommen, nach dem Auftritt von „Kapitän“ Rupert von Plottnitz, der „an Deck“ gehöre, „schlauer“ sein werden, ist eine noch offene Frage. Schließlich lag „Plotte“ am Tag der Flucht von Azemaj am Strand von La Boule – und nicht als „Kettenhund“ vor dem Freigängerhaus in Preungesheim. Recht allerdings hatte der Justizminister schon vor Monaten: „Mit meiner Vereidigung“, so „Plotte“ im Interview mit der taz (11. 4. 95), „hat für bestimmte konservative Kreise der Untergang des Abendlandes bekonnen.“ Klaus-Peter Klingelschmitt

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