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■ Der Tschetschenienfeldzug und Rußlands DemokratieErinnerung an die alte Perfidie

Drei Jahre lang verteufelte der Kreml Dschochar Dudajew, den tschetschenischen Präsidenten, als die übelste Ausgeburt kriminellen Geistes. Um ihn zu schmähen, waren alle Mittel recht. Notdürftig verschleiert stand er pars pro toto: die Antipathien galten auch seinem Volk. Der kaukasische Duce ist in der Tat gerissen und beileibe kein Demokrat. Kriege bringen es mit sich, daß demokratische Prozeduren außer Kraft gesetzt werden. Im Kaukasus spielt das heute keine Rolle, dafür um so mehr in Rußland. Der Kreml hat unterdessen aus seinem Erzfeind einen Helden und Märtyrer gemacht. Eine grandiose Leistung, die gleich mehreres belegt. Die Sensibilität der russischen Führung gegenüber anderen Völkern ist mit dem Zerfall des Imperiums nicht gewachsen. Von Nationalitätenpolitik zu sprechen, wäre eine grobe Übertreibung. Die direkten Konsequenzen dieser Unfähigkeit manifestieren sich in einem blutigen Feldzug. Die ausstehenden Folgen reichen weiter: Sie könnten in Kürze die schwachen Fundamente des jungen russischen Demokratiebemühens einreißen.

Nationalitätenminister Schachrai soll die tschetschenische Opposition bewaffnet haben, sein Nachfolger Nikolai Jegorow trägt die Entscheidung der Strafexpedition mit. Worte der Mäßigung fand er bisher nicht. Im Gegenteil. Das erinnert an die alte Kremlperfidie, die sich dieser Tage variantenreich zeigt. Jelzin verschanzt sich hinter den Mauern eines Krankenhauses, Verantwortung will keiner übernehmen, die Öffentlichkeit wird belogen. So etwas fördert nicht den Glauben in den Rechtsstaat. Wer im Innern lügt, den plagen auch nach außen keine Zweifel.

Der Ausgang des Krieges ist schon jetzt gewiß. Natürlich wird Moskau irgendwann siegen. Ob er sich in die Länge zieht oder schnell entschieden wird, ist nebensächlich. In beiden Fällen drängt sich die Armee ins Zentrum des Geschehens. Als Sieger hat sie Aufwertung verdient, zeigt sie Schlappen, bedarf sie um so größerer Unterstützung. Ein weiteres Trauma der Erniedrigung muß ihr erspart bleiben. Sie bleibt auf jeden Fall präsent und drückt der Politik ihren Stempel auf. Kaum vorzustellen, daß die Kremlianer die Auswirkungen vorher nicht bedacht haben sollten. Dennoch will es beinahe so scheinen. Die andere Erklärung, Jelzin baue bewußt auf Armee und Sicherheitsorgane, um an der Macht zu bleiben angesichts des schwindenden gesellschaftlichen Konsenses, wäre wohl – ungeachtet der Absichten – ein allmähliches Ende des demokratischen Experiments. In Moskau neigt man dazu, Probleme wieder mittels Gewalt zu eliminieren. Die Gesellschaft braucht aber dringend andere Vorbilder. Weder die Armee noch chauvinistische Desperados, die den Kaukasus „befrieden“, geschweige denn Banditen. Klaus-Helge Donath

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