■ Der Streit um die Gesundheitsreform wird immer polemischer: Panikmache und unkluge Vorwürfe
„Umstürzlerische Planungen“, „infame Unterstellungen“, tönen die Ärzte in Richtung Andrea Fischer. „Panikmache“, „Mißbrauch der Patienten als Druckmittel“ keilt die Gesundheitsministerin zurück. Der Streit um die Gesundheitsreform geht in die nächste Runde. Er wird immer unappetitlicher und für Normalverbraucher immer schwerer zu verstehen. Ärzte- und Pharmavertreter auf der einen Seite, die Ministerin und die Krankenkassen auf der anderen Seite – sie hauen sich überzogene Vorwürfe um die Ohren, anstatt das Für und Wider einzelner Reformschritte sachlich zu diskutieren.
Die Ministerin hat mit zur Eskalation beigetragen. Es war nicht klug, den Ärzten vorzuwerfen, sie hätten im vergangene Quartal mehr Medikamente als nötig verschrieben, um die Reform auszuhebeln. Andrea Fischer liegt mit ihrem Verdacht sicher richtig. Da sie ihn jedoch nicht beweisen kann, hat sie der anderen Seite nur eine Steilvorlage geliefert.
Die Stimmung ist schon seit langem verpestet. Gleich nachdem die Ministerin ihren Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform vorgelegt hatte, tönten die Ärztevertreter von einem „Humanexperiment“, das zum „sozialverträglichen Frühableben“ führe. Die Kassenärztliche Vereinigung veröffentlicht seit Tagen auf der Fernsehseite von Bild eine Anzeigenserie mit dem Motto „Die heile Welt der Medizin wird es bald nur noch im Fernsehen geben“. Diese „heile Welt“ gibt es sowieso nur in der Glotze.
Natürlich ist es die Aufgabe der Ärzte, die Pläne der Regierung zu kritisieren und bessere Vorschläge zu machen. Statt dessen verwerfen sie die Reform in Bausch und Bogen. Ihre Forderung nach mehr Geld für das Gesundheitssystem würde zu einer Erhöhung der Kassenbeiträge führen. Das will niemand – außer der Ärztelobby und der Pharmaindustrie.
Ärztechef Frank Ulrich Montgomery droht nun mit einer Verfassungsklage „gegen die geplanten Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit“. Vor 25 Jahren praktizierten in Deutschland 36.000 Ärzte, heute sind es 112.000. Dies zeigt, daß die Kostenprobleme des Gesundheitswesens mit seinen Überkapazitäten zusammenhängen. Natürlich sind die meisten Wartezimmer voll. Aber die Ärzte produzieren die Nachfrage auch selbst. Jeder kennt den Satz: „Kommen Sie in drei Tagen wieder.“
Heute muß die Gesundheitsministerin bei den Ärzten vorbeischauen. Der Deutsche Ärztetag wird ihr sicher keinen freundlichen Empfang bereiten. Tina Stadlmayer
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