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Archiv-Artikel

Der Stadtentwicklungsplan Verkehr (Teil 14) Seit 80 Jahren wird über integrierte Verkehrspolitik diskutiert – durchsetzen konnte sie sich nie

Zur ewigen Wiederkehr des immer Gleichen

Mit dem Stadtentwicklungsplan Verkehr (StEP) beginne ein „neues Verkehrszeitalter“, kündigte der Senat vollmundig vor einem Jahr an. Auf das Jahrzehnt der Restauration der Verkehrsinfrastruktur soll jetzt ein Jahrzehnt der „intelligenten Nutzung“ folgen. Experten, Planer und Kritiker diskutierten freitags an dieser Stelle die Zukunft der Landesverkehrspolitik. Heute lesen Sie die letze Folge:

Stellen Sie sich vor, alle verfügen über ein Auto, nutzen aber den öffentlichen Verkehr. Verkehrte Welt? Immerhin, der Berliner Stadtentwicklungsplan Verkehr (SteP) erlaubt es sich, Unmögliches zu denken, um das Mögliche zu erreichen. Durch die Koordination der jeweiligen Vor- und Nachteile des öffentlichen und des privaten Verkehrs soll eine effizientere Nutzung des Verkehrssystems im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung erreicht werden. Auto, Bus und Bahn, das Fahrrad und per pedes sollen auf eine Weise miteinander verbunden werden, dass es eine Lust ist, sie wechselseitig zu nutzen. Mit dieser verkehrspolitischen Strategie einer „integrierten Verkehrspolitik“ steht Berlin nicht allein. Vielmehr verfolgt es damit ein in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft allgemein akzeptiertes Leitbild.

Selbst die Verkehrspolitik der Europäischen Union und der meisten ihrer Mitgliedsländer hat sich der Integrationsphilosophie verschrieben. Umso erstaunlicher ist es auf den ersten Blick, dass aktuell weder auf EU-Ebene noch in den einzelnen Nationalstaaten überzeugende Ansätze einer integrierten Verkehrspolitik zu verzeichnen sind. Und auch die Umsetzung des Berliner Stadtentwicklungsplan Verkehr scheint alles andere als gewiss.

Ist das alles wirklich so neu? Das Leitbild einer integrierten Verkehrspolitik lässt sich bis in die 1920er-Jahre zurückverfolgen. Seitdem erlebte es schon mehrfach eine Renaissance – ohne dass es jemals realisiert wurde. Immer ging es darum, die Konkurrenz des öffentlichen mit dem privaten Verkehr in eine für alle Beteiligten harmonische Kooperation zu verwandeln.

Damals wie heute handelte es sich um ein internationales Problem, das alle Länder betraf, in denen sich der private Verkehr zu entwickeln begann. Interessanterweise schaffte es ausgerechnet der einst in vieler Hinsicht fortschrittliche Irak, wo sich das Automobil dank billiger Wüstenstraßen als kostengünstiges Verkehrsmittel schnell verbreitete. Die Konkurrenz zur Eisenbahn führte dort immerhin zu ersten Ansätzen einer praktizierten integrierten Verkehrspolitik. Um ihre Attraktivität zu steigern, vereinbarte die dortige Eisenbahngesellschaft mit Kraftwagengesellschaften ein Bahn-Auto-Kombiticket von Bagdad nach Mosul. Aber weder im Irak noch in Deutschland konnte sich die integrierte Verkehrspolitik durchsetzen. Vielmehr scheiterte eine systematische Vereinheitlichung des Verkehrssystems regelmäßig an der Konkurrenz der verschiedenen Träger untereinander.

Das gilt auch für die Wiederentdeckung des Leitbilds zu Beginn der 1960er-Jahre. Angeregt durch die negativen Folgen der Massenmotorisierung dachten Experten erneut über ganzheitliche verkehrspolitische Strategien nach, die Stadt- und Verkehrsentwicklung gleichermaßen berücksichtigen sollten. In dem Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen mit dem Titel „Auto und Umwelt“ kulminierte Anfang der 70er-Jahre die dritte Renaissance integrierter Verkehrspolitik. Dort wurde betont, dass Verkehrsentwicklung nicht losgelöst von anderen gesellschaftlichen Teilbereichen betrachtet werden könne. „Ausbaupläne für den Straßen-, Eisenbahn, Luft-, Binnenwasserstraßen- und öffentlichen Personennahverkehr dürfen nicht länger isoliert voneinander angefertigt werden.“

Diese Zitat aus den 70er-Jahren könnte auch im Berliner Stadtentwicklungsplan Verkehr des Jahres 2003 stehen. Aber vor dem Hintergrund der hier grob skizzierten historischen Genealogie des Scheiterns erscheint die momentan zu beobachtende vierte Renaissance des Leitbilds einer integrierten Verkehrspolitik in einem anderen Licht. Es wäre wohl fahrlässig, ein weiteres Mal unreflektiert einem Leitbild zu folgen, das in der Vergangenheit schon mehrmals die Chance erhalten hat sich zu bewähren, aber sich dabei nie durchsetzen konnte. Wer heute noch von dem Gedanken einer integrierten Verkehrspolitik überzeugt ist, muss daher zunächst klären, woran die Umsetzung des Leitbilds in der Vergangenheit regelmäßig gescheitert ist. Er wird dabei wahrscheinlich auf gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen stoßen, die zu thematisieren wären. Der Glanz des Leitbilds hat davon in der Vergangenheit immer wieder abgelenkt. Daher gilt umgekehrt: Wer sich in Zukunft nicht in der Lage sieht, jene Widerstände zu benennen, die die Realisierung einer integrierten Verkehrspolitik auch heute vereiteln, sollte sich zugleich verbieten, weiter das Leitbild im Mund zu führen, so als wüsste er es nicht besser. OLIVER SCHÖLLER

Der Autor ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin