: Der Schöne und das Biest
Eine Partei wie eine Rockband: Eduard Limonow, russischer Schriftsteller, kämpft im Gefängnis weiter für eine national-bolschewistische Revolution. Sein neues Werk „Das Buch des Wassers“ liest sich wie seine Memoiren
von WLADIMIR KAMINER
Der Andrej-Bely-Preis kommt aus dem Untergrund und wird seit 1978 in Russland vergeben – für radikale Innovationen in der Literatur. Er ist mit einem Rubel dotiert und gilt als eine Art Alternative zu anderen Preisen wie dem „Nationalen Bestseller“ etwa oder dem russischen Bookerpreis. Der Andrej-Bely-Preis bedeutet: wenig Geld, aber viel Ehre.
Im Jahr 2002 wurde damit der Schriftsteller Eduard Limonow für sein Werk „Das Buch des Wassers“ ausgezeichnet. Die Kollegen empörten sich laut. Wie tief ist die russische Literatur gesungen, wenn ein Faschist, dazu noch ein schlechter Schriftsteller, einen solchen Literaturpreis bekommt? Viele waren sich einig, dass Limonow nur von der Jury ausgewählt wurde, weil er im Knast sitzt. Die offizielle Presse hat diesem Ereignis so wenig Aufmerksamkeit wie möglich geschenkt, seit geraumer Zeit will sie den Namen Limonow am liebsten vergessen. Man munkelt, der Mann bringe Unglück – und dass der „blasse Wowa“ (so wird Putin in diesen Kreisen genannt) höchstpersönlich etwas gegen ihn habe.
Limonow selbst sitzt seit beinahe zwei Jahren in Untersuchungshaft und schreibt etwa vier Bücher pro Jahr. Ihm werden vier Verbrechen vorgeworfen: unerlaubter Erwerb und Besitz von Waffen, die Gründung einer bewaffneten Vereinigung, Terrorismus und Aufruf zum bewaffneten Widerstand gegen die Regierung. Limonow streitet alles ab. Die vermeintlichen Waffen wurden nicht gefunden. Alle fünfzehn Zeugen haben inzwischen ihre Aussagen zurückgezogen.
Hier ist noch einmal in aller Kürze seine Biografie: Eduard Sawenko alias Limonow, geboren 1943 in Dscherschinsk, aufgewachsen in Charkow. Mit 18 überfiel er dort einen Lebensmittelladen und fing an, radikale Gedichte zu schreiben. Ende der Sechzigerjahre fuhr er nach Moskau, um die Hauptstadt als Dichter zu erobern. Dort lernte er die damalige Moskauer Künstlerszene kennen.
Er wurde zunächst nur misstrauisch aufgenommen. Er veröffentlichte im Selbstverlag fünf Hefte mit seinen Gedichten, bekam vom KGB die Einladung, als Spitzel zu arbeiten, lehnte ab und wurde nach eigener Aussage zur Ausreise gezwungen. 1974 flog er nach Wien, dann weiter nach Rom, dann weiter nach New York. Die meisten Emigranten aus der Sowjetunion mochten Amerika. Limonow fand die USA scheiße. 1976 schrieb er seinen ersten Roman: „Fuck off, Amerika“. Seine Wut auf den Kapitalismus war sehr groß. Im gleichen Jahr demonstrierte er vor dem Gebäude der New York Times und forderte die Veröffentlichung seines Romans.
Anfang der Achtzigerjahre emigrierte Limonow nach Paris, bekam 1987 die französische Staatsangehörigkeit und liebäugelte mit den dortigen Ultrarechten. In Russland wird sein Roman währenddessen zu einem Bestseller: Der unendliche Liebeskummer des Autors in der amerikanischen Hölle machte besonders auf die jungen Leser in Russland großen Eindruck.
Limonow merkte, dass Frankreich ihm nichts mehr zu bieten hatte. Er gehörte einem Kreis französischer Intellektueller an, die allesamt mit der Rechten kokettierten und Le Pen unterstützten, um das liberale Bürgertum zu provozieren: ähnlich wie manche Kinder, die sich im Puppentheater auf die Seite des Wolfes stellen und Rotkäppchen verraten, um die besorgte Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu gewinnen.
Limonow kehrte 1992 endgültig nach Russland zurück. Zu diesem Zeitpunkt war Russland ein Land, in dem wieder Wunder möglich waren. Der neue Staat war nach der Auflösung der Sowjetunion schwach und alle Wege waren offen. Zudem waren die Menschen nach Jahrzehnten der Isolation unsäglich naiv. Sie glaubten jedem. Limonow fühlte sich in diesem politischen Mittelalter pudelwohl, er wollte aber kein Schriftsteller mehr werden. Er wollte – Russland. Alles oder nichts war sein Programm.
Limonow plante eine Revolution. Dabei orientierte er sich am Vorbild Lenin. Als dieser 1917 aus der Schweiz nach Russland kam, hatte die große Februar-Revolution bereits stattgefunden. Im neuen russischen Parlament saßen hundert Delegierte verschiedener Parteien, die Bolschewiken besaßen nur zwei Mandate. „Wir müssen zusammen das Land regieren, denn es gibt zur Zeit keine Partei in Russland, die imstande wäre, die Macht zu übernehmen“, begann der Parlamentssprecher seine Ansprache. Lenin, der in der letzten Reihe saß, nach dem letzten Schrei der Schweizer Mode gekleidet und mit seinen 1,66 Metern kaum zu sehen war, sprang auf und rief mit piepsiger Stimme. „Es gibt eine solche Partei!“ Die Parlamentarier krümmten sich vor Lachen, sogar seine Parteigenossen nahmen ihn nicht ernst. Siebzig Jahre später mussten wir als Schüler diesen Satz von Lenin auswendig lernen.
Lenin schaffte es, in einem Land, das er kaum kannte, zusammen mit Leuten, die ihn kaum verstanden, an die Macht zu kommen – indem er alle Debatten über die politische Zukunft des Landes blockierte, Liberale, Demokraten und Rechte beschimpfte und mit einem Dutzend Soldaten das Telegrafenamt besetzte. Das kann ich auch, dachte sich Limonow 1992. Nur ein Haken war dabei. Lenin hatte zwar nur eine kleine Partei, aber immerhin hatte er eine. Limonow hatte gar nichts. Also gab er eine Annonce auf: „Wilder Schriftsteller sucht eine Bande, um mitzumachen.“
Daraufhin landete der Schriftsteller bei der LDPR, den Liberaldemokraten von Schirinowski. Er war der erste populistische Politiker Russlands, der allen alles versprach: Arbeit für die Arbeiter, Studium für die Studenten, Männer für die Frauen, Frauen für die Männer, Rente für die Rentner und Eis für die Kinder. Außerdem hatte er immer unkonventionelle Ideen zu Lösung von Konflikten auf Lager. Zum Beispiel schlug Schirinowski vor, rund um Tschetschenien alles zu verminen, um den Krieg dort zu beenden. Mit seinem Programm bekam er auf Anhieb mehr Sitze im Parlament, als er Leute zur Verfügung hatte, und so mussten sein Türsteher, sein Buchhalter und sein Fahrer Abgeordnete werden. Limonow rechnete ebenfalls mit einem Sitz in der Duma.
Doch Schirinowski wollte keine Revolution, sondern eine Berufsperspektive. Limonows Ideen machten ihm Angst. Also saß Limonow nur als Beobachter auf dem Balkon des russischen Parlaments und schaute nach unten. Einige hundert übergewichtige Männer in grauen Anzügen füllten den Saal, mit Bärten und Glatzen – es waren die typischen Funktionäre aus der Sowjetzeit.
Limonow trat enttäuscht aus der Liberaldemokratischen Partei aus und ging zu den radikalen Kommunisten. Er fand dort sympathische alte Frauen, die unter roten Transparenten Akkordeon spielten und Jelzin beschimpften. Eine Revolution war auch mit ihnen nicht zu machen. Daraufhin ging er zu den russischen Faschisten, einer makabren Bewegung – die immer eine größere Presse als die Linke bekam, weil man sie mehr fürchtete. „Die Unmut wächst. Die Faschisten sind unterwegs, wo gehen sie nur hin?“, schrieben die Zeitungen. Die Faschisten gingen oft in einen Lebensmittelladen, kauften dort Unmengen Bier und verdrückten sich wieder nach Hause. Sie waren mit ihrer Rolle als Bürgerschreck mehr als zufrieden.
Limonow begriff, dass mit dem vorhandenen Menschenmaterial keine Revolution zu machen war. Die Rechten waren zu debil, die Linken nicht ernst zu nehmen. Außerdem waren die meisten Außenseiter alte Männer oder alte Frauen. Der Schriftsteller wollte keine Zeit mehr vergeuden. Eine neue Partei musste her, und zwar schnell: eine moderne – smart, laut und auffallend. Für alle, die jung und radikal waren.
Also gründete Limonow 1993 die National-Bolschewistische Front, die er wenig später schon in National-Bolschewistische Partei (NBP) umtaufte. Diese Partei sah am Anfang aus wie eine große Rockband: Szenekünstler, sich langweilende Söhne aus guten Familien, die für eine lustige politische Provokation immer zu haben waren, und Töchter, die Limonow attraktiv fanden. Zu den ersten Mitmachern gehörten der Mode-Philosoph Dugin, der Sänger der sibirisch-kommunistischen Band Zivile Verteidigung Jegor Letow, Spinne, der Chef der Heavy Metall Band Rostiges Metall, und Limonows Exfrau, die Nachtclubsängerin Natalia Medwedewa. Dazu kamen noch etliche Dichter, Maler, Musiker und Journalisten.
Als Ideologie wurde der in Russland wenig bekannte National-Bolschewismus propagiert – eine Mischung aus linkem Wirtschaftsprogramm (soziale Gerechtigkeit, gemeinsames Eigentum, kollektive Arbeit) und rechter Politik (Vorrang des Staates und der Nation, Expansion Russlands bis nach Gibraltar). Viele kleine rechte Gruppierungen schlossen sich der NBP an – wie die kleine Gruppe „Arbeiterkampf“ aus St. Petersburg, „Der neue Bund der kommunistischen Jugend“, die anarcho-syndikalistische „Violette International“, viele Skinheads, Fußball- und Heavymetalfans.
Auf der Linken fand man die Fahne nicht gut, weil sie aussah wie die Nazifahne. Außerdem konnten die Internationalisten mit dem Begriff „National“ nichts anfangen. Die russischen Faschisten dagegen fanden Limonow zu bunt, zu künstlerisch, nicht rechts genug. Außerdem konnten sie seine Begeisterung für Lenin nicht teilen.
Limonows Losungen hörten sich an wie Gedichte von Majakowski: „Friss die Reichen“, „Piss nicht in die Hosen – werde National-Bolschewik“, „Russland ist alles, der Rest – nichts“ … Die Ideologie erwies sich als extrem flexibel und konnte den unterschiedlichsten Gruppierungen in den Regionen dienen. In St. Petersburg schlugen die NBP-Männer, typische Skinheads, einige Koreaner zusammen. In Moskau boykottierten sie James-Bond-Filme und protestierten gegen die Verblödung des Landes durch westliche Kultureinflüsse. In der moldawischen Hauptstadt Kischinew rief die NBP-Zelle alle jüdische Bürger auf, in die Partei einzutreten, um gemeinsam gegen den Antisemitismus und Chauvinismus der moldawischen Regierung zu kämpfen. In Riga kämpft die NBP dagegen, dass die lettischen SS-Veteranen die gleichen Rechte und Renten wie sowjetische Kriegsveteranen bekommen. Auch in Israel gibt es eine regionale NBP-Organisation, bestehend aus Musikern. Sie plädiert für die gewaltsame Vertreibung aller Araber aus Israel nach Ägypten.
Trotz vieler Anstrengungen wurde nichts aus der Revolution. Russland ist hart. Ein Ei an den Kopf eines Filmregisseurs, der sich als überzeugter Monarchist inszenierte – zwei Jahre Knast. Eine symbolische Besetzung des Turmes in Sewastopol (unter dem Motto „Sewastopol bleibt russisch!“) – fünf Jahre für alle Beteiligten.
Zurzeit sitzen über zwei Dutzend junge Parteimitglieder in verschiedenen Knästen des Landes. Der Staat wollte Limonows Partei nicht registrieren, obwohl sie allen formalen Anforderungen entsprach. Limonow drohte mit Terrorismus, mit einer russischen RAF. Das Justizministerium ignorierte ihn weiter.
Die Heimat hatte Limonow zum zweiten Mal enttäuscht. Zusammen mit ein paar Jungs fuhr er ins sibirische Altai-Gebirge und arbeitete dort an seinem neuen Projekt „Das andere Russland“. Dahinter stand die Einschätzung, dass Russland noch nicht reif für die Revolution ist und dass die National-Bolschewisten dorthin ziehen müssen, wo die Sonne scheint und die Vögel zwitschern, um sich zu vermehren.
Im März 2001 wurde das NBP-Haus im Altai von der russischen Staatssicherheit gestürmt, sie suchten nach Waffen, fanden jedoch nicht einmal ein Klappmesser. Seitdem sitzt Limonow aber im Knast. Er ist dort wieder zum Schreiben zurückgekehrt und hat sich einen langen Bart wachsen lassen.
In seinem Roman „Buch des Wassers“ schildert er alle Wasserbecken der Welt, die er kennen gelernt hat: Flüsse, Meere, Ozeane und Springbrunnen – in denen er badete und aus denen er trank. Er erinnert sich an sein turbulentes Leben, an all seine Kriegs- und Liebesgeschichten. „Aus der ganzem Vielfalt des Lebens ist nur ein Thema geblieben, das mich nach wie vor reizt“, schreibt er. „Der Soldat und die Fotze, die Schöne und das Biest.“
Limonow hat es geschafft, beides zu sein.
Als ganz normaler Rechter oder Linker hätte er keine Probleme mit dem Staat bekommen. Limonow ging darüber hinaus und wurde verschluckt. Der Staat hat einen starken Magen – ob Schöne oder Biest, alles schmeckt ihm. Unausweichlich löst sich in seinem Inneren alles auf. Die Faschisten, die Kommunisten, die Che Guevaras, Hitlers und Lenins der neuen Zeit. Der Staat ist aber alt, blind und hinfällig. Er bewegt sich seinem Untergang entgegen. Der Romantiker springt ihn an. Der Pragmatiker geht ihm aus dem Weg und wartet ab.