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Der Schattenschriftschreiber

KÜNSTLERKNEIPIER Johann Manfred Kleber, in den siebziger Jahren Wirt der Westberliner Kneipe Galerie Natubs, wird nun mit zwei Ausstellungen geehrt

Johann Manfred Kleber war Erfinder und Wirt der Künstlerkneipe Galerie Natubs. Sie gehörte zu den Institutionen des alten Berliner Westens, genau wie der Zwiebelfisch und die Dicke Wirtin. Diese beiden Lokale gibt es noch, das Natubs ist seit 1989 Geschichte. 22 Jahre lang hatte Kleber die Kneipe geführt, zeitweise zusammen mit seiner Frau Andrea Kleber. Der Wirt ist bildender Künstler geworden.

Kleber wurde 1941 in Berlin-Pankow geboren. Mit acht Jahren ging er in den Knabenchor der St. Hedwigs-Kathedrale, Chorsänger ist er noch heute. Sein Musikwissenschafts- und Geigenstudium brach er 1967 ab, er wollte das Natubs. Viele gründeten Kneipen in den sechziger Jahren, Kneipen, die es so noch nicht gegeben hatte, für Studenten, Akademiker, Künstler, Lebenskünstler, für alle, die politisch eher links waren, linksliberal. Kneipen mit durchgesessenen Sofas, ausrangierten Tischen und Stühlen. Sie wurden zum zweiten Zuhause für eine ganze Generation.

Kleber machte es anders. Er täfelte den Gastraum mit Holz, unterbrochen von Spiegeln. In Gips gegossene Körperteile hängte er in schwarzen Kästen an die Wände. Von der Decke, am Tresen, hing ein nach unten weisender Zeigefinger aus Gips, zwei Meter lang; ein im Durchmesser drei Meter großer Tisch war das kommunikative Kneipenzentrum.

Starckdeutsche Gedichte

Der Maler Matthias Koeppel erfand an diesem Tisch das „Starckdeutsch“ und schrieb fortan starckdeutsche Gedichte, die Kleber im Eigenverlag publizierte. Im Natubs wurde die Berliner Hymnentafel gegründet. Kleber war einer der Mitsänger und Erfinder des Namens. Das Repertoire des Chors im strengen Outfit reichte von der Renaissance bis zu den Beatles.

Die Maler Matthias Koeppel, Johannes Grützke, Manfred Bluth und Karl-Heinz Ziegler begehrten auf gegen das Diktum dieser Zeit, man habe nur abstrakt zu malen, und gründeten die Schule der Neuen Prächtigkeit. Das Natubs war ihr Zentrum; Koeppel nannte es „unsere Schule von Athen“. Lesungen fanden etwa mit H. C. Artmann, Nicolas Born und Günter Herburger statt; ein Stück von John Cage wurde uraufgeführt. Filme von Andy Warhol liefen 24 Stunden nonstop. Als Tischdeckenlokale in Mode kamen, schloss Kleber das Natubs und seine Galerie in der Xantener Straße. Die Galerie in der Uhlandstraße, die er mit seiner Frau gegründet hatte, gab es da schon nicht mehr.

Gäste des Natubs wurden bisweilen auch Zeuge, wie Kleber die unbedruckte Seite von Bierdeckeln mit Hohlschrift überzog. Mit dieser seltsamen Schrift versah er auch Ankündigungen, Plakate und Klosprüche für seine Veranstaltungen. Nach dem Ende des Natubs wurde er zum Hohl- und Schattenschriftschreiber; er hatte diverse Ausstellungen in Berlin. Seit 2011 nennt sich Kleber „Skriptopath“. Für seine Schriftbilder verwendet er eigene, fremde, absurde und auch Nonsenstexte, die er bis zur Unlesbarkeit verfremdet.

GABRIELE SCHMELZ

■ Am 11. November, pünktlich zu seinem 70. Geburtstag, eröffnet eine Ausstellung mit Kleber-Objekten in den „Goerz-Höfen“, Rheinstraße 45–46. Am 2. Dezember beginnt eine Ausstellung seiner Schriftbilder in der Kunsthalle Brennabor, Brandenburg a. d. Havel

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