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Der SPD sei s getrommelt Kein Platz für die Moderne - avantgardistische Performance zur SPD-Jubelfeier vom Vorstand gekippt

Der SPD sei's getrommelt

Kein Platz für die Moderne - avantgardistische Performance zur SPD-Jubelfeier vom Vorstand gekippt

„Das erinnert mich an Kulturstalinismus.“ Mirjam Sohar, Lehrkraft für Chorleitung an der Berliner Hochschule der Künste (HdK), ist sauer auf die SPD. Der Grund: wenige Tage vor der Aufführung des Avantgarde-Stückes „Stuhlgewitter“ beim offiziellen Festakt zum 125jährigen SPD-Geburtstag kippten die Genossen das „Stuhlgewitter“ wieder aus dem Programm.

„Die hatten Angst vor ihrer eigenen Courage. Das war denen zu modern“, meint Mirjam Sohar. Sie sollte das Stück mit der Gruppe „Zeitklänge“ vor Vogel, Brandt & Co im Reichstagsgebäude in Szene setzen. Proben und ein Fernsehtermin waren schon über die Bühne gegangen. Doch plötzlich kam dann das „Aus“ von ganz oben.

Die Avantgarde blieb am Samstag im Reichstag außen vor. Statt dessen trällerten die „Bots“ „Ein Lied für die SPD“. Daneben traten „Inti Illimani“ und der „Berliner Mozartchor“ auf. „Die Mischung aus Schalmeienkapelle und Chanson hat sich durchgesetzt“, kommentiert Mirjam Sohar.

Das „Stuhlgewitter“ wäre harter Stoff für die Genossen gewesen. Teile der „Marsaillaise“, der „Internationalen“ und von „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ sollten auf Stühlen getrommelt werden.

„Es ist ein sanft-avantgardistisches Stück. Für die SPD vielleicht eine zu provozierende Sache“, weiß der Komponist Dieter Schnabel. Das „Stuhlgewitter“ stammt aus seiner Feder. Er hat es 1987 geschrieben. „Es ist auch einem in 'Neuer Musik‘ unerfahrenen Publikum leicht verständlich“, meint Chorleiterin Mirjam Sohar.

Die abstrakten, aber zündenden Rhythmen waren für die SPD offensichtlich nicht verständlich genug. Zunächst forderten einige Sozialdemokraten Schnebel auf, das Stück von 20 auf 14 Minuten zu kürzen. Dann von 14 auf sieben Minuten. Am Schluß sollten es drei Minuten sein. „Schließlich sagte Anke Fuchs, es ginge nicht“, erinnert sich Dieter Schnebel.

Als offizieller Grund für die Absage werden bei der SPD Schwierigkeiten bei der Live-Übertagung im Fernsehen genannt. „Das 'Stuhlgewitter‘ wäre eher ein räumliches Erlebnis gewesen. Fürs Fernsehen war es letztlich nicht zu realisieren“, bestätigt Jutta Kremer-Heye, Mitarbeiterin des SPD-Vorstandes.

Mirjam Sohar mag die „technischen Gründe“ nicht unumschränkt gelten lassen. Sie sieht ihre Vorbehalte gegen die SPD bestätigt. „Die Partei ist konservativ, rückständig und wenig modern.“ Wieder einmal sei die Chance vertan worden, moderne Musik offen zu zeigen.

Als Trost boten die Sozis den „Zeitklängen“ an, das „Stuhlgewitter“ auf dem Parteitag im August aufzuführen, „weil es da um Kultur geht.“ Ein frommer Wunsch. Mirjam Sohar: „Mit dem Auftritt bei der 125-Jahr-Feier konnte ich mich noch identifizieren. Aber zu einem Alibi-Konzert moderner Musik beim Parteitag will ich der SPD dann doch nicht verhelfen.„Holger Brandenbusch

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