■ Daß Hans Martin Sass, Deutschlands bekanntester Bioethiker, im Vorstand eines Vereins saß, der der Mun-Bewegung nahesteht, mußte er bereits einräumen. Der taz liegen Dokumente vor, die...: Der Professor weiß von nichts
Daß Hans Martin Sass, Deutschlands bekanntester Bioethiker, im Vorstand eines Vereins saß, der der Mun-Bewegung nahesteht, mußte er bereits einräumen. Der taz liegen Dokumente vor, die eine noch weitergehende Verstrickung nachweisen.
Der Professor weiß von nichts
„Das war ein Schlag unter die Gürtellinie.“ So kommentiert der Bochumer Professor Hans Martin Sass den Vorwurf, er sei Mitglied in einer Organisation der Mun-Bewegung. Sass fühlt sich von einem Beitrag des ZDF-Magazins „Frontal“ diffamiert, der nachwies, daß Sass fast sieben Jahre lang im Vorstand des Vereins „Professors World Peace Academy“ (PWPA) saß, der der Mun-Sekte nahesteht.
Der Vorwurf trifft einen der renommiertesten deutschen Bioethiker. Sass bekleidet neben seiner Professur seit 1981 einen Direktorenposten am Kennedy Institute of Ethics der Georgetown Universität in Washington. Außerdem ist er der einzige deutsche Vertreter im Internationalen Bioethik-Komitee der Unesco, das einen „allgemein verbindlichen ethischen Grundkodex“ für die Anwendung gentechnischer Methoden am Menschen erarbeiten soll.
„Nein, der gehört nicht in ein internationales Gremium der Bundesrepublik und schon gar nicht in eine Ethik-Kommission“, protestiert der SPD-Bundestagsabgeordnete Robert Antretter, der sich intensiv mit Fragen der Bioethik auseinandersetzt. Antretter fordert „unverzüglich“ die Abberufung des Bochumer Professors aus dem Unesco-Gremium.
Nach der Fernsehsendung trat Sass die Flucht nach vorn an. In einer Presserklärung gab er zu, dem Vorstand der PWPA seit 1988 anzugehören. Schon 1981 sei er dem Verein als Mitglied beigetreten. Aber er will erst vor kurzem erfahren haben, daß die PWPA „mit der Mun-Sekte in Verbindung gebracht wird“. Er habe jetzt, so Sass gestern zur taz, seine Mitgliedschaft in der PWPA gekündigt. Weitergehende Erklärungen wollte Sass nicht abgeben.
Sass verschweigt, daß er gleich zweimal im Vorstand der PWPA vertreten war. In seiner Erklärung bezieht er sich nur auf den europäischen Ableger der Mun-„Friedensakademie“, die als PWPA-E – das E steht für Europa – beim Amtsgericht des nordrhein-westfälischen Städtchens Mettmann registriert ist. Einen dort ausgestellten Vereinsregisterauszug präsentierte das ZDF in seiner Sendung.
Der taz liegt ein weiteres Dokument vor, diesmal angefertigt beim Amtsgericht in Frankfurt am Main, aus dem eindeutig hervorgeht, daß Sass nicht erst 1988, sondern schon 1981 Vorstandsfunktionen in der PWPA übernommen hat – und zwar als Mitglied des deutschen Zweigs der PWPA (Vereinsregister Frankfurt am Main, Aktenzeichen VR 7640).
Schon damals befand sich Sass in bester Gesellschaft – der Vorstand war ausschließlich mit Professoren und Wissenschaftlern besetzt: Gerard Radnitzky, Philosoph aus Trier, Georg Süßmann, Physiker an der Münchener Universität, die Philosophen Leo Gabriel aus Wien und Adriaan Peperzak von der katholischen Universität Nijmwegen, der Kernphysiker Erwin Schopper aus Frankfurt und der inzwischen verstorbene Sozialwissenschaftler Karl-Georg Graf von Stackelberg. Später hinzugekommen sind der Mediziner Wilfried von Studnitz aus München und Professor Klaus Schleicher, derzeit Direktor am Institut für vergleichende Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg.
Von Anfang an dabei war auch der Koreaner Hae Kwan Kim, der erst im April 1993 aus dem PWPA- Vorstand ausschied.
Besonders Kim macht es zweifelhaft, daß Sass von nichts gewußt haben will: Kim hatte in Deutschland eine Art Statthalter-Funktion für den selbsternannten „Messias“ und Gründer der Vereinigungskirche, San Myung Mun. Kim begann seine Laufbahn an Sass' Heimatuni Bochum. Dort wurde er erstmals mit der Mun-Sekte in Verbindung gebracht. Die Medien wurden auf ihn aufmerksam, als er im Oktober 1981 die Maschinenfabrik Wanderer in Haar in einer spektakulären Aktion für den Mun-Konzern Tong Il übernahm.
Wenige Monate später kaufte er im Auftrag der PWPA und der Studentenorganisation CARP bei Mettmann ein ehemaliges Gestapoquartier für 2,5 Millionen Mark. Daß die Medien auch hier von der Mun-Bewegung sprachen, kann Sass kaum entgangen sein.
Die Vereinigungskirche gibt auf Nachfrage ganz offen zu: „Die Gründer der PWPA und der Vereinigungskirche sind identisch.“ Gemeint ist damit Mun persönlich. Nach eigener Darstellung wurde die PWPA 1974 in Japan mit dem Ziel ins Leben gerufen, die „Universitäten neu auf die Suche nach Wahrheit und die Praxis echter Erziehung auszurichten“.
Bei Mun selbst hört sich das ganz anders an. Für ihn sind die Wissenschaftler im Hintergrund die eigentlichen politischen Entscheidungsträger. Sie sollen wichtige Personen beeinflussen, „einschließlich der Staatsführer in ihren eigenen Ländern“.
Nach den Unterlagen des Berliner Sektenbeauftragten Thomas Gandow hat der Bochumer Bioethiker die Reisemöglichkeiten zu Kongressen der Mun-Bewegung ausgiebig genutzt. So hat er in dem Zeitraum von 1978 bis 1983 insgesamt viermal an den International Conferences for the Unity of the Sciences (ICUS) teilgenommen. Diese Konferenzen werden seit 1972 durchgeführt; in den ersten Jahren konnten noch international renommierte Wissenschaftler als Teilnehmer für die ICUS gewonnen werden. Nachdem sich aber herumgesprochen hatte, daß diese Konferenzen von Geldern aus der Mun-Bewegung finanziert werden und selbst das Wissenschaftsmagazin Nature fragte, ob „Wissenschaftler an den ICUS teilnehmen dürfen“, blieben die Spitzenforscher aus. Das war 1978.
Jetzt steht die Deutsche Unesco-Kommission vor der Frage: Darf ein – inzwischen ausgetretenes – PWPA-Vorstandsmitglied einem Ethik-Komitee der Unesco angehören? „Selbstverständlich“ sei er, so schreibt Wolfgang Reuther von der Kommission in einem Fax, „an einer Aufklärung aller Einzelheiten interessiert, die eine eventuelle Mitgliedschaft von Professor Sass in einer Organisation mit möglichen Verbindungen zu Mun-Sekte betreffen“. Der Bochumer Bioethiker ist nun aufgefordert, zu „dieser Frage umfassend und klar Stellung zu nehmen“. Wolfgang Löhr
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