Der Präsidentengattin ihr drittes Album: Arme Carla, armes Kind
Nur dreißig Liebhaber in vierzig Jahren: Doch Carla Bruni, mittlerweile Frankreichs Première Dame, geht es nicht nur hier um Qualität statt Quantität.
Immerhin, auf der Platte steht nach wie vor Carla Bruni, nicht der andere Name. Verblüffender ist der Umstand, dass der Titel des Albums weder auf der Außenhülle noch der CD selbst erscheint. Er lautet "Comme si de rien nétait", als wäre nichts geschehen. Augenzwinkernder und zugleich wahrhaftiger lässt sich die verrückte Situation dieses Albums nicht auf den Punkt bringen. Doch womöglich könnte der kecke Slogan eine Menge Menschen - Käufer! Wähler! - aufregen, und so hat ihn die Plattenfirma nur auf einen Aufkleber drucken lassen, der mit der Schutzfolie weggeworfen wird.
Lustigerweise hat Bruni selbst den Schlüsselbegriff für die Rezeption ihres dritten Albums, ihres ersten als Frankreichs Première Dame, vorgegeben. Im berühmt gewordenen Libération-Interview gab sie vor drei Wochen etwas sphinxhaft zu Protokoll: "Mes reflexes épidermiques sont de gauche", meine Hautreflexe funktionieren links. Reflexhaft waren auch die ersten Reaktionen auf ihre CD. Die Sozialisten schimpfen: Bruni ist brandgefährlich, ein trojanisches Pferd. Die alten Fans sagen: Diese Platte ist toll.
Selten in der Geschichte der Populärkultur gab es ein bereits im Vorfeld dermaßen überdeterminiertes Werk. Damit wird das Hören zum Prüfstein der eigenen Hautreflexe. Denn zu den sanften Bruni-Klängen einfach nur zu entspannen oder zu träumen - pardon, Madame -, das ging gestern. Gleich der Opener ist ein Meisterwerk … der Diplomatie. "Ma jeunesse" behandelt sehr klassisch den Abschied von der Jugend. Sicheres Terrain, pure Nostalgie, verpackt in einen langsamen Walzer. Ein hübsches Chanson, kein Grund für einen erhöhten Pulsschlag.
Der nächste Song ist noch melancholischer, nach einem Gedicht von Michel Houellebecq: "Ich musste erst das Beste im Leben kennenlernen, wenn zwei Körper ihr Glück durchspielen, sich endlos vereinen und wiedergeboren werden." Der frustrierte Erotomane, am Ende ist er offenbar doch noch erlöst worden. Allerdings endet das Poem auf die Zeilen "Mitten im Lauf der Zeit scheint die Möglichkeit einer Insel auf", und das klingt, begleitet von einer müden Mundharmonika, leider nicht nach Leidenschaft, sondern nach Kaffeereklame.
Ein erster Höhepunkt ist "Tu es ma came", der Song, der jenseits des Atlantiks bereits Irritationen auslöste. "Du bist mein Stoff", hat Bruni hier ganz in der Tradition von "I get a kick out of you" zu einer swingenden Blues-Melodie getextet, "tödlicher als afghanisches Heroin, gefährlicher als kolumbianischer Schnee." In Bogotá war man mehr als verschnupft, während man hier eher die Überdosis befürchte. Denn halt, was singt Bruni da? "Ich liebe deine Augen, deine Haare, dein Aroma." Plötzlich sieht man nur noch ein Paar sehr konkreter Schlafzimmeraugen und nach hinten gepappte Locken vor sich. Puh! Auch wenn Bruni betont, viele der Lieder seien schon entstanden, bevor sie ihren Mann kennenlernte: Diese Zeile hätten ihr die präsidentiellen Berater ausreden müssen.
Minuten später erwischt man sich bei ganz anderen Gedanken: An wen nur erinnert dieser Gesang bisweilen, dieses angedeutete Zittern? Hatte sie das früher auch schon? Beim elften Titel endlich fällt der Groschen: Dies hier könnte auch von Ingrid Caven sein. "Je suis une enfant" wäre ein Lied ganz nach dem Gusto von Fassbinders Spezialistin fürs Melodramatische. "Trotz meiner vierzig Jahre, trotz meiner dreißig Liebhaber bin ich ein Kind", singt Carla Bruni zu einer kinderliedhaften Melodie. "Mein Sohn stimmt mir zu, meine Mutter sagt: Du spinnst."
Die anderen Titel mögen musikalisch raffinierter sein, doch kurioserweise sind diese drei Minuten gehobener Künstlichkeit der Moment, an dem die Sängerin mehr wagt als nur Professionalität. Durch die Anspielung auf ihr Image gewinnt sie zurück, was dem Album sonst abgeht: Souveränität und Unbekümmertheit.
Gewiss, wer das Chanson als bürgerliche Auslotung diffuser Gefühlslagen schätzt, dem wird die Wertarbeit dieses Albums gefallen. Außerhalb der Francophonie jedoch dürften viele maulen: Da hatten wir uns mehr erhofft. Okay, als Reverenz an ihre Wurzeln gibt es einen Titel auf Italienisch und einen englischen für das internationale Publikum, der Rest musste Französisch sein - man will ja nicht den rechten Hautwiderstand des in Sachen Bruni bislang auffallend zurückhaltenden konservativen Milieus reizen.
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