■ Der Paß ist wichtig, nicht der Mensch: Die doppelte Bürgerin
Der Paß ist wichtig, nicht der Mensch
Die doppelte Bürgerin
Vor dreißig Jahren heiratete ich, eine Französin, einen Deutschen. Vor dem deutschen Standesbeamten unterschrieb ich eine Erklärung: „Aufgeklärt über die daraus sich ergebenden Konsequenzen, erkläre ich hiermit, daß ich als Ausländerin von meinem Recht, die Staatsbürgerschaft meines Mannes anzunehmen, Gebrauch machen möchte.“ Das war's. Schon war ich Doppelstaatsbürgerin. Damals war von „dürfen“ noch keine Rede. Allerdings bot man diese Möglichkeit nur den Frauen. Ob der Gesetzgeber die problemlose Erweiterung der deutschen Familie ermöglichen wollte?
Hätte ich mich entscheiden müssen für eine Staatsbürgerschaft, ich wäre wohl bei meiner französischen geblieben, einfach um zu verhindern, eine Fremde im eigenen Land zu werden. Es schien mir aber kein Privileg zu sein, zwei Staatsbürgerschaften zu haben, ich fand das nur gerecht, schließlich zahlte ich hier Steuern, warum sollte ich dann nicht wählen dürfen? Außerdem war es praktisch, besonders auf den Ämtern. Die Beamten waren zu mir als Inländerin viel freundlicher, als sie es zu mir als Ausländerin gewesen waren. Außerdem merkte ich sehr schnell, wie mein Studentenalltag einfacher wurde: Die Arbeitsvermittlung bot plötzlich andere, zum Teil besser bezahlte Jobs an, Vermieter entschieden sich schneller für eine deutsche Familie ... So wurde mir das Ausmaß der Vorurteile gegenüber Ausländern erst bewußt.
Nach der Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes wunderte sich manch einer, der wohl in Gemeinschaftskunde nicht aufgepaßt hatte, daß ich immer noch zwei Pässe besaß. Deutsche Grenzbeamte monierten trotz meines deutschen Passes, daß ich in meinem französischen Paß keine Daueraufenthaltsgenehmigung habe. Französische Bürokraten sind da nicht besser: Meine Scheidung in Deutschland mußte erst von einem französischen Gericht bestätigt werden, was ein ganzes Jahr dauerte bis zur Rechtskräftigkeit.
Dreißig Jahre doppelte Staatsbürgerschaft bedeuteten für mich keine Identitätskrise. Nach außen habe ich mich selbst weitgehend eingedeutscht, kein französischer Akzent verrät mich, aber in meinem Innern bin ich Französin geblieben. Das wird mir immer wieder deutlich bei historischen Jahrestagen: Als Kohl und Mitterrand über die Felder von Verdun marschierten, fand ich es zwar gut, daß Mitterrand den deutschen Kanzler eingeladen hatte. Aber als ich das im Fernsehen beobachtete, wurde mir klar, daß mein Staatschef Kohl eingeladen hatte und nicht mein Kanzler vom französischen Staatsoberhaupt eingeladen worden war. Als die beiden über die Schlachtfelder marschierten, war ich emotional auf der Seite Mitterrands: Wir Franzosen waren die Angegriffenen, wir bieten den Deutschen die Versöhnung an. Deutsche Soldaten auf den Champs-Élysées? Kein Problem für mich, im Gegensatz zu vielen meiner französischen Landsleute. Aber es muß klar sein, daß wir den Deutschen vergeben und nicht umgekehrt.
Als Frau blieb mir der Militärdienst erspart, statt dessen wähle ich in beiden Ländern. Meine doppelte Staatsbürgerschaft erwähne ich selten, es genügt, wenn ich mich in Frankreich als Französin und in Deutschland als Deutsche ausweise. Aber es gibt Länder, in die ich lieber als Französin reise, nach Polen, weil ich davon ausgehe, daß man dort Deutschen gegenüber mehr Vorbehalte als gegenüber Franzosen hat, und nach Spanien und Italien, weil da manchmal die Preise plötzlich in die Höhe schießen, wenn man für einen Besitzer harter D-Mark gehalten wird. Man kann das Opportunismus nennen, aber in Frankreich bestelle ich manchmal auch für deutsche Gäste, damit sie nicht übers Ohr gehauen werden.
Heute würde ich keine doppelte Staatsbürgerschaft mehr bekommen; ich müßte mich für eine entscheiden. Die deutsche erhält man ohnehin erst nach fünf Jahren, die französische müßte ich dann abgeben. Da ich meine zwei Staatsbürgerschaften allerdings in die neuen Zeiten mitgebracht habe, kann man sie mir auch nicht mehr nehmen. Wer sie erst einmal hat, die doppelte Staatsbürgerschaft, der wird sie so schnell auch nicht mehr los... Bei meinem letzten Wohnungswechsel konnte ich mich nicht abmelden, obwohl ich mich beim gleichen Einwohnermeldeamt angemeldet hatte. Ich stand nicht in der Datei. Erst nach genauer Prüfung meines Personalausweises meinte der Sachbearbeiter, ich sei an der falschen Stelle — ich solle in das Zimmer für die Franzosen gehen. Es gibt offenbar Deutsche zweiter Klasse.
Nach meinen Erfahrungen als Inhaberin zweier Pässe bin ich zu dem Schluß gekommen, daß die doppelte Staatsbürgerschaft im Alltag eine feine Sache ist. Die meisten Dinge werden einfach, wenn man sich als deutscher Staatsbürger zu erkennen geben kann. Von daher würde die Integration anderer Ausländer dadurch sicher erleichtert. Anders ist es im Umgang mit Behörden, die sich oft einfach nicht damit abfinden können, daß ich beide Pässe ganz legal habe. Mancher Beamte gab mir zu verstehen, er finde es nicht richtig, daß ich meinen französischen Paß behalten habe. Das mag damit zusammenhängen, daß es diese Möglichkeit inzwischen nicht mehr gibt.
Ein weiterer Grund ist allerdings auch, daß viele Staatsdiener Ausländer mit deutschem Paß einfach nicht als „richtige Deutsche“ akzeptieren, und das — wie mein Beispiel zeigt — ganz unabhängig von Aussehen, Verhalten und Sprachfertigkeit. Vor der Prüfung zum Staatsexamen fürs Lehramt erklärte mir eine Dame vom Oberschulamt ganz offen: „Wissen Sie, Ausländer sehen wir nicht so gern im öffentlichen Dienst.“ Da hatte ich meinen deutschen Paß schon lange. Auch für meine deutschen Kollegen im Lehrerzimmer war ich immer „die Französin“, und mancher Schüler hatte Schwierigkeiten zu begreifen, daß ihm eine Ausländerin Deutsch beibringen sollte. Deshalb sollte man der doppelten Staatsbürgerschaft, wenn man sie denn einführt, gleich noch etwas mit auf den Weg geben: doppelte Toleranz der deutschen Beamten. Cathérine Dumas
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen