■ Der Mantafahrer-Mythos hat sich aufgelöst: Tempolimit jetzt!
Manchmal muß nur die Sonne scheinen, damit die Politikmüdigkeit verfliegt. Die mit den Temperaturen steigenden Ozonkonzentrationen setzen die Verkehrs- und Umweltpolitiker unter Druck, endlich etwas für die Luft zu tun. Das Mittel der Wahl ist denkbar einfach, sofort wirksam, ohne schädliche Nebenwirkungen und kostet nichts: das Tempolimit. Der Zeitpunkt, die atemraubende Geschwindigkeit nicht nur bei akuter Ozongefahr zu senken, ist jetzt. Schließlich mußte nur ein leicht überforderter Staatssekretär nach Dienstschluß der zuständigen Behörde ganz leise „Ozonalarm“ sagen, um den ehernen Mythos der Bundesrepublik zu Fall zu bringen. Freie Fahrt für freie Bürger – den Slogan verwechselt niemand mit einem Menschenrecht, nur haben bis zu diesem Sommer alle geglaubt, daß alle dies glaubten. Den Leuten jedoch ist der kratzende Hals viel näher als der Bleifuß und der Lärm bei sommers geöffneten Fenstern weitaus lästiger als verordnete Langsamkeit.
Immerhin vier SPD-geführte Landesregierungen haben den richtigen Zeitpunkt für Tempolimits erkannt und beraten über entsprechende Verordnungen. Nach Abwägung aller Sowohl-als-auchs sieht selbst Rudolf Scharping jetzt das naheliegende Wahlkampfthema. Gestern hat er seine von den Verhältnissen überholte private Geschwindigkeitsfixierung überwunden. Sollen sich doch die CDUler Wissmann und Töpfer mit ihrem „Ökobenzin“, der Entschuldigung „Europa“ und ihren halbherzigen Fünf-Liter- Auto-Vorschlägen für den St. Nimmerleinstag alleine lächerlich machen! Es hören ihnen ja nicht einmal mehr die Lobbyisten der Autoindustrie zu, die ihnen diesen Unsinn einst soufflierten.
Wie beim Atombrüter-Ausstieg von Wackersdorf werden jetzt die Manager der deutschen Schlüsselbranche schneller als die CDU-Politiker begreifen, wann die Akzeptanzgrenze der Bevölkerung überschritten ist. Natürlich in wohlverstandenem Eigeninteresse: Nach dem Ende des Mythos von der freien Fahrt wird niemand mehr das Auto eines Herstellers kaufen, der öffentlich für das Recht des Rasers auf Luftverschmutzung eintritt. Die Marketing-Abteilungen der Automobilbranche wissen sowieso, daß die Manta-Mentalität megaout ist. Seit Monaten plakatieren sie die Innenstädte mit schnuckeligen Kleinkindern vor Kleinwagen auf blühenden Wiesen.
Der „Airbag serienmäßig“ aber, jenes gesellschaftsfähig gewordene Symbol für die verdrängte Angst auf der Autobahn, wird bald verschwinden können. Wer, außer 14jährigen Car-Crashern, fährt schon mit Vollgas gegen eine Betonwand? Schließlich hat es auch noch nie einen volljährigen S-Bahn-Surfer gegeben. Wählen gehen mündige Bürger. Donata Riedel
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