ALTER MEISTER : Der Lebkuchenmann
ALTES MEXIKO Eine unscheinbare Tonfigur begründet europäisches Sport- und Kulturerbe
Welch ein Fund! Die Kunsthistoriker schütteln seit zwei Tagen nun vor Entzücken unentwegt die halbergrauten Köpfe. Sie verstummen angesichts der Bandbreite an Antworten, die diese unscheinbare Skulptur gibt. Auf unsere Kultur, auf unsere Gesellschaft, auf die Kunst. In einem mysteriösen Tunnel im mexikanischen Teotihuacán wurde das Objekt am Dienstag entdeckt. Es datiert auf um 100 vor Christus. Dieser Bart, das gütige Lächeln, der lange Rock – ohne Übertreibung kann dies als vorchristliche Fassung des Nikolaus erachtet werden. Lange bevor Coca-Cola den Bischof von Myra für sich entdeckte, sah der mexikanische Tonkünstler in dieser Figur alles, was ein sympathisch-kompetenter alter Mann zu sein hat. Die Kopfbedeckung diente venezianischen Kaufleuten des späten 16. Jahrhunderts als Modevorbild – der englische Dichter William Shakespeare setzte mit seiner Komödie „Der Kaufmann von Venedig“ also auch diesem kleinen mexikanischen Mann ein Denkmal. Und der Einfluss der Tonfigur reicht noch weiter. Seit der Neuzeit ließen sich die ansonsten recht ideenlosen Erfinder der Maskottchen zahlreicher Sportgroßveranstaltungen wie der Olympischen Spiele und der Fußball-Weltmeisterschaft von dieser Kleinskulptur inspirieren. In einer abstrakt-reduzierten Variante war es erst kürzlich als Barni, das Maskottchen der Leichtatlethik-Europameisterschaft in Barcelona, im Dauereinsatz. Leider, und das ist die traurige Erkenntnis aus diesem spektakulären Fund, muss nun auch das Werk des expressionistisch-konstruktivistischen Surrealismus-Kubisten Paul Klee neu bewertet werden. Klee, so muss man heute wohl sagen, hat einfach nur von den alten Mexikanern abgemalt. DAZ