■ Der Kanzler freut sich schon drauf: Wash and go fürs Brandenburger Tor!
Berlin (taz) – Die deutsche Frage scheint seit einiger Zeit nicht mehr offen zu sein. Trotzdem ist das Brandenburger Tor noch immer zu. Wer sich mit der Vereinigung freie Fahrt vom Alex bis zum Ernst-Reuter-Platz erhoffte, hat sich getäuscht. Denn auf halber Höhe steht es da unter den Linden – wie bestellt und nicht abgeholt. Und die kurzzeitige Öffnung für Privatautos während der Reichstagsverhüllung (samt Durchfahrt von Formel 1-Schrumpfkopf Schumi) macht nur noch mehr Appetit auf Stau. Den wertkonservativen Machthabenden dieser Stadt (ADACDU), die einerseits nationale Symbolik lieben, aber andererseits den Bedürfnissen ihrer motorisierten Wählerschaft Rechnung tragen wollen, ist das Tor ein klassizistischer Klotz am Bein. Weil nur Fahrräder, Busse und Taxis durch dürfen, blockiert das Ding die fachgerechte Errichtung einer autofreundlichen Welthauptstadt.
Was ist zu tun mit diesem Hoffnungsträger der Einheit, auf das ein Rollen der Räder gewährleistet werde? Untertunneln – zu teuer! Überbrücken – zu respektlos! Sprungschanze – zu gefährlich! Aber wie wäre es mit einer liebevollen Demontage, einem zarten Wash-and-go-Verfahren? Es gäbe doch zahlreiche angemessenere Plätze, wo man dieses Straßenmöbel wiederaufstellen könnte, etwa im Garten des neuen Kanzleramtes. Dies würde nicht nur bei Helmut K. einen Zustand der Dauerekstase verursachen – auch der obligatorische Gang durchs Tor mit den ausländischen Oberhäuptern könnte endlich unter Ausschluß der Bevölkerung stattfinden. Ganz ohne Zwischenrufe vorlauter Bürger beim Besuch der Diktatoren und ihrer fetten Arschgesichter, äh, Auftragsbücher. Und dem nächsten fackelzügigen Zapfenstreich der Bundeswehr an den heiligen Säulen könnte der Kanzler sogar vom eigenen Balkon aus zusehen.
Die eingesparten Steuergelder durch entfallene Polizeieinsätze könnten auf einem Sonderkonto für das Entfernen von überflüssigen und lästig gewordenen Baudenkmälern eingezahlt werden. Sollte der historische Verlust von der Bevölkerung dennoch beklagt werden, könnte man zu den entsprechenden Gedenktagen am 3. Oktober oder am 9. November eine Torattrappe aufstellen. Und würde die Friedensgöttin samt Kleppergespann nicht herrlich zu den anderen Gartenaccessoires der Kanzlerfamilie passen? Etwa zur Hollywoodschaukel „Ramona“ oder zu den Gartenzwergen von BASF?
Im Zuge der Umsetzmaßnahme könnte weiter darüber nachgedacht werden, ob die Siegessäule samt Roon und Moltke wieder an ihrem historischen Platz vor dem Reichstag aufgestellt wird. Und falls die Abgeordnetentunnelpläne dadurch beeinträchtigt werden sollten, könnte gleich die ganze lästige Gartengrillandschaft des Tiergartens auf das Gelände der Bundesgartenschau im brandenburgischen Cottbus umgepflanzt werden.
Dadurch entstünde nicht nur die optimale Strecke für das kleine Autorennen zwischendurch, nein, eine schier unbegrenzte Anzahl von ABM-Kräften könnte durch die Bau(m)arbeiten beschäftigt werden. Berlin wäre um eine Attraktion reicher – eine innerstädtische Autorennstrecke mit barocker Kulisse und ohne störendes Grün. Selbstverständlich könnte Berlin damit Formel 1-Arenen wie Le Mans und Silverstone locker den Rang ablaufen. Die Avus wäre eine Carrerabahn dagegen! Sämtliche 24-Stunden-Rennen würden ohne Wenn und Aber in die deutsche Abgasmetropole verlegt. Und endlich wäre die ganze Innenstadt eine Tempo-300-Zone! Nellie Schpenker
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