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■ Der Griff von Heide Pfarr in den SteuersäckelDer Skandal ist die Normalität

„Die Herren machen das selber, daß der gemeyne Mann ihnen Feynd wird.“ Mit diesen Worten rechtfertigten die Bauernkrieger von 1525 ihren gescheiterten Aufstand gegen die ausbeuterische herrschende Klasse der Reformationszeit.

Der herrschenden Klasse im Jahre 1993 wird zwar nicht der rote Hahn aufs Dach gesetzt. Doch die Regierten fühlen sich erneut bis aufs Blut gereizt – und strafen die Politikerkaste mit demonstrativem Verzicht auf den Urnengang oder einem Votum für die rechtsradikalen Parteien ab. Nicht nur bei jenen, die in den harten Zeiten der Rezession an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, sorgt die Abzockermentalität der Damen und Herren in den Volksvertretungen und Ministerien für wachsende Empörung: Diäten auf höchstem Niveau, sechsstellige Abfindungen für eine einzige Legislaturperiode, Honorare für Beraterverträge, Aufsichtsratstantiemen, Fahrgelder, Sitzungsgelder, Aufwandsentschädigungen, Zweitwohnungsentschädigungen, Freifahrten und Freiflüge, Sonderzuwendungen – und jetzt auch noch die 54.000 Mark bar auf die Hand für die Spitzenverdienerin Heide Pfarr (SPD) für die Renovierung ihrer neuen Wohnung in Wiesbaden nach dem Regierungseintritt 1991. Und seit mehr als zwei Jahren ließ sich Pfarr monatlich 1.300 Mark als „Amtswohnungsentschädigung“ aufs Konto überweisen. Wer will da noch von den läppischen 6.000 Mark Kostenerstattung für den Umzug reden?

Der Skandal ist die Normalität des Skandalösen. Die PolitikerInnen haben kein Unrechtsbewußtsein beim Griff in die öffentlichen Kassen zur Finanzierung der privaten Wohlfahrt: Wie selbstverständlich nahm Heide Pfarr die 54.000 Mark aus dem Steuergeldsäckel zur Ausgestaltung ihrer neuen Wohnung in Wiesbaden. Die Exministerin verschwendete dabei keinen Gedanken daran, daß (fast) alle anderen Menschen bei einem Ortswechsel ihre Umzugskosten selbst zu tragen haben – ganz zu schweigen von den Kosten für die Wohnungsrenovierung. Und daß es Entschädigungen für entgangene Dienstwohnungen gibt, hat bis zum „Fall Pfarr“ (kaum) ein Mensch auch nur gewußt.

Daß Heide Pfarr möglicherweise Opfer einer politischen Intrige geworden ist, mit der die unbequeme Verfechterin des hessischen Frauengleichstellungsgesetzes „abgeschossen“ werden sollte, entschuldigt nicht ihr Fehlverhalten. „Mehr Sensibilität“ hätte sie „entwickeln müssen“, sagte sie gestern nach ihrem Rücktritt. An Sensibilität, so scheint es, mangelt es offenbar der gesamten politischen Klasse. Klaus-Peter Klingelschmitt

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