Der Ex von Sahra Wagenknecht: Der rote Ralph
Er ist der Exmann von Deutschlands Kommunistin Nr. 1. Und ein verurteilter Finanzberater. Ralph Niemeyer will jetzt in den Bundestag.
Vielleicht muss man sich Ralph T. Niemeyer als mehrere Personen vorstellen. So wie er an diesem Juninachmittag im Bundestag steht – dunkles Jackett, rote Krawatte, drei Presseausweise um den Hals –, ist er ein Journalist. Und so wie er am selben Abend in einem Bürgerzentrum eine Veranstaltung moderiert – Khakihose und helles Hemd –, ist er ein Aktivist.
Nach allem, was man über ihn weiß – Ehemann der Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht, vorbestrafter Finanzberater, Journalist, neuerdings Bundestagskandidat der Linkspartei –, verläuft das Leben dieses freundlich schauenden Mittvierzigers in mehreren Bahnen.
Ralph Niemeyer lacht, als er auf seinen goldenen Ehering angesprochen wird. Sahra Wagenknecht lebt doch bekanntlich längst mit Oskar Lafontaine zusammen? Ein Gardinenring, flachst er. Aber mal im Ernst, Wagenknecht und er seien seit Mitte März geschieden, ganz freundschaftlich und mit der gebotenen Diskretion. Man habe einen Richter gefunden, der die Öffentlichkeit rausgehalten hat. Sahra Wagenknecht bestätigt der taz das Ende dieser Ehe.
Ehe ohne Lügen
1997 hatten Wagenknecht und Niemeyer geheiratet. Sie waren beide Ende zwanzig; er, der Wessi, hatte die PDS-Politikerin als Journalist kennengelernt. „Ich habe Sahra interviewt, und das Interview hat bis heute kein Ende genommen“, formuliert es Niemeyer. Wie groß in fünfzehn Jahren Ehe der gegenseitige Einfluss gewesen sei, erkenne man schon daran, dass die geborene Thüringerin heute im Westen wohne – während er mittlerweile „vielleicht antikapitalistischer auftritt, als sie es mal war“.
Später wird Niemeyer erzählen, dass er in diesen fünfzehn Jahren auch Vater von drei Kindern geworden ist. Auch dass in ihrer Ehe nie gelogen wurde.
Wenige Stunden nach diesem Gespräch sitzt Ralph Niemeyer auf einem Podium in Ostberlin und moderiert eine Diskussion. Er ist jetzt Aktivist. In welcher Gesellschaft wollen wir leben, lautet die Frage des Abends, es geht ums Grundeinkommen. Links von ihm sitzt der Hartz-IV-Aktivist Ralph Boes, der schildert, wie er mit einem Hungerstreik die Behörden „sanktioniert“.
Rechts von Niemeyer sitzt Sahra Wagenknecht. Der Laden ist rappelvoll, Biskuits und Aldi-Wasser gegen Spende. Wagenknecht thront wie immer kerzengerade und hält eines ihrer Eurokrise-Kurzreferate. Sie wundert sich, warum es „noch so verdammt ruhig ist in Deutschland“ und lächelt ins Publikum. Niemeyer hört zu, fragt nach. Das hier, hat er vorhin beim Interview gesagt, dieses Stichwortgeben für zwei Überzeugte, sei ein Freundschaftsdienst. Er ist ja Antikapitalist. Und seit 2011 Mitglied der Linkspartei.
Der Antikapitalist
Als Antikapitalist kandidiert er in Niedersachsen für den Bundestag. Die Genossen in Wilhelmshaven haben ihn gefragt, erzählt er, „und offensichtlich hat niemand damit gerechnet, dass ich das mache“. Er weiß, dass es schwer wird. „Ich bin auf Platz 12 der Landesliste, da müsste einiges passieren, um in den Bundestag zu kommen. Oder ich müsste dieses Direktmandat gewinnen.“ Aber er macht das jetzt. Beim letzten Mal, 2009, hat eine SPD-Frau den Wahlkreis Friesland-Wilhelmshaven-Wittmund geholt, die Kandidatin der Linkspartei landete bei 9,3 Prozent.
Um Parteifreunde und Wähler ins Bild zu setzen, hat der Kandidat eine Art Lebenslauf verfasst. „Ralph Niemeyer für ein rotes Land“ hat er das Papier überschrieben und stichpunktartig notiert, wer er ist. Wofür er politisch steht, nicht. Man soll ihn an seinen Taten messen.
In Bonn-Bad Godesberg ist er als Sohn eines Ministerialbeamten aufgewachsen. Unter „Berufslaufbahn“ vermerkt Ralph Niemeyer: „1986 bis 1989 jüngster Interviewpartner von Bundeskanzler Helmut Schmidt & Kohl“. Mit 17 Jahren Kanzlerinterviews? Plural? Ja, es stimmt. Er war halt eifrig und furchtlos, erklärt er. Liest man das Porträt über Niemeyer im Bonner General-Anzeiger aus dem Jahr 1988, scheint der damals 19-Jährige ein hyperintelligenter Multitasker gewesen zu sein. Der Schüler arbeitet als Korrespondent eines US-Fernsehsenders. Er ist Chef von vier Mitarbeitern und steht jeden Morgen um vier Uhr auf, um die Nachrichten zu sichten. Einen Tag in der Woche hält ihm seine Sekretärin frei. Denn eine Freundin hat er. Freunde eher nicht.
Er hatte einfach Besseres zu tun
Man liest das und denkt, was für ein Tropf dieser Ralph Niemeyer gewesen sein mag, dessen Geltungsbewusstsein ihn der Journalistin vom General-Anzeiger erzählen ließ, er gehe hin und wieder, „wenn im Bundestag oder sonst nichts weiter anliegt, in die Schule“. Hausaufgaben mache er schon seit der zehnten Klasse nicht mehr; er verberge das halt „unheimlich geschickt“.
In dem Text scheint die Weltsicht eines jungen Mannes auf, der Interessanteres zu tun hat. Interessanteres als jene, die sich abstrampeln in Lehrerzimmern, Büros und Fabrikhallen. Zum Beispiel Helmut Kohl zu interviewen. Oder seinem Lateinlehrer einen vom Bundespräsidenten unterschriebenen Entschuldigungszettel vorzulegen. „Den hatte ich schon vorformuliert dabei und habe ihn Richard von Weizsäcker vorgehalten“, erzählt Niemeyer stolz. „Er hat den abgezeichnet, und dann habe ich ihn meinem Lateinlehrer mitgebracht und gesagt: Ich musste zum Staatsbesuch.“
Derlei mag Ralph Niemeyer das Gefühl gegeben haben, immer ein bisschen gewitzter als die anderen zu sein. Und möglicherweise erklärt das, wie aus ihm nicht viel später, Mitte der Neunziger, ein verurteilter Finanzberater werden konnte. Und warum er heute, weitere zwanzig Jahre später, bei Blockupy in Frankfurt mitmarschiert, als scharfer Kritiker des Kapitalismus. Weil er im Grunde meint, es besser zu wissen. Und das geht dann auch schon mal schief.
Quasi Günter Walraff
1996 wird Niemeyer vom Landgericht Köln wegen Betruges in 46 Fällen zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Berichten, wonach er als Finanzberater Luftgeschäfte gemacht habe, widerspricht er heute vehement: Er habe als Undercoverjournalist im High-Trading-Business ermittelt. In dem Prozess sei er als schizophren hingestellt worden, ihm seien Dinge vorgehalten worden, „die ich meines Erachtens nicht getan habe“. Deshalb habe es am Ende auch Bewährung gegeben. Bewährung und fünf Jahre Berufsverbot als Finanzberater. Darauf pfeift er. „Ich war nie Finanzberater! Sie sagen ja auch nicht zu Günter Wallraff, er hätte bei der Bild-Zeitung als Journalist gearbeitet.“
Ein Jahr nach dem Urteil heiratet er Sahra Wagenknecht. Er kauft ein Haus in Irland, „weil ich keinen Vertrag mehr mit Deutschland hatte, ich fühlte mich drangsaliert“. Wenn seine Frau ihn im Cottage besucht, schreibt er auch schon mal in seinem Blog über die „üagF“, die über alles geliebte Frau. Er schildert, wie beide sich über den Mauerbau streiten und die Systemfrage diskutieren. Sie, die medial umschwirrte Sprecherin der Kommunistischen Plattform – er, der Journalist und Filmproduzent mit West-Vita. Wagenknechts Partei, die damals noch PDS heißt, nennt er „Partei der Schlaraffen“.
Madonna und Millionen
Für einen Mann wie Ralph Niemeyer muss es sich folgerichtig angefühlt haben, diese prominente Ostfrau, die „Madonna des Neokommunismus“, gekriegt zu haben. Er, der Kohl-Interviewer und Quasi-Wallraff. Anfang 2001 jedoch gerät die Ehe der beiden in die Schlagzeilen. Gegen Ralph Niemeyer ergeht Haftbefehl, Wagenknechts Berliner Wohnung wird durchsucht. Niemeyer soll einem angeblichen Interessenten gefälschte Gemälde im Wert von 71 Millionen Dollar zum Kauf angeboten haben. Die Sache war von einem Stern-Redakteur eingefädelt worden. Zum Übergabetermin erschien dann die Polizei.
Fraglich, wem mit der Story geschadet werden sollte – Niemeyer oder nicht doch eher seiner Frau. „Der reiche Kapitalistengatte von der Wagenknecht – das war offenbar sexy zu schreiben“, sagt Niemeyer heute. Er räumte die Tat ein und blieb gegen eine hohe Kaution auf freiem Fuß. „Es ist nicht verboten, Bilder anzubieten“, sagt er. Und dass das Verfahren ein halbes Jahr später eingestellt wurde.
Linke Gummispiele
Danach wird es still um Ralph Niemeyer. Er wohnt in Irland und meldet sich hin und wieder per Blogeintrag. Er produziert Filme über die sozialen Bewegungen Südamerikas. Er berichtet aus Brüssel über Europapolitik. Er bäckt jetzt kleinere Brötchen. Millionendeals sind abgehakt. Seit zwei Jahren lebt er wieder in Deutschland. Er hat wieder einen Vertrag mit diesem Staat.
Beim Treffen zum Interview steht er allein auf der Fraktionsebene des Bundestags. Er hat als Filmberichterstatter für die Sitzungswoche eine Akkreditierung. Was er filmen will, weiß er noch nicht. Mal sehen, wer ihm so über den Weg läuft, sagt er. Über den Weg laufen ihm dann Gregor Gysi, Katja Kipping und Christian Ströbele. Mit allen dreien wird Niemeyer 2-Minuten-Interviews führen und sie auf YouTube einstellen. Auf Facebook wird er Fotos posten, auf denen er Fraktionsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann eine gelbe Gummiente überreicht und mit Kipping Gummibärchen nascht.
Nun gut, Katja Kipping ist nicht Helmut Kohl. Aber Ralph Niemeyer ist schon wieder nah dran an der Bedeutsamkeit.
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