Der Christopher-Street-Day mag uns wie der Schlagermove vorkommen. Solange aber die nicht aussterben, für die das Anderssein nicht selbstverständlich ist, bleibt er nötig: An jeder Lampe ein Regenbogenfähnchen
Fremd und befremdlich
von
KATRIN SEDDIG
Am Samstag ist in Hamburg der Christopher-Street-Day gefeiert worden. Die Tage davor schon war die Stadt beflaggt, es war Pride-Week. Eine ganze Woche Aufmerksamkeit für Toleranz. An der Wandsbeker Chaussee vor dem Quarree hing an jeder Lampe ein Regenbogenfähnchen, wo im Herbst auch schon mal blau-weiße Oktoberfestfähnchen hingen.
„Was ist das?“, fragte mein Besuch. Das ist wegen der Pride-Week, sagte ich. „Was?“, fragte mein Besuch. „Das ist so eine Woche der Toleranz, für sexuelle Vielfalt und diese Sachen. Das ist überall in der Stadt. Da hängen überall so Fahnen rum. Und dann gibt es am Ende ja den Umzug, den Christopher-Street-Day.“
Mein Besuch nickte. Ach so. Ich nahm das selber so hin. Ich empfinde den Christopher-Street-Day als ähnlich rummelig wie den Schlagermove. Ist mir zu laut, zu bunt, zu viel. Aber natürlich ist der Christopher-Street-Day doch was anderes, denn beim Schlagermove geht es um nichts als um Spaß. Beim Christopher-Street-Day geht es auch um Spaß, aber die Veranstaltung ist politisch.
Dass wir so wenig begeistert sind, dass wir ein wenig müde den Regenbogenfähnchen gegenüberstehen, dass wir ein wenig irritiert sind, dass so ein Widerstand gegen das heterosexuelle Establishment so organisiert, so fast offiziell verordnet, daherkommt, das hat einen Grund. Das hängt mit der Welt zusammen, in der wir uns bewegen. Die Welt, in der ich mich privat bewege, hat kein Problem mit dem Anderssein. Diese Welt ist schon tolerant.
Es interessiert niemanden mehr, wer mit wem wie sexuell verkehrt. Es interessiert mehr, welche Musik sie hört, welches Buch ihm gefällt, wo er politisch steht, welchen Standpunkt er einnimmt, ob man überhaupt mit ihr darüber reden kann, weil sie die Argumente und die Bildung hat, das sind die Kriterien. Sexuelle Orientierung ist in diesem Kontext ein persönliches Detail wie die Augenfarbe.
Deshalb könnte es sich an diesem privaten Ort, in dieser Blase, fast wie überflüssig anfühlen, dafür speziell einzutreten. Aber es wäre natürlich ein Irrtum und ein Fehler. Ich muss nur ein paar Kommentare unter Berichten zum Christopher-Street-Day lesen, um zu wissen, dass es ein Draußen gibt, wo die nicht aussterben, die Argumenten gegenüber schon deshalb nicht aufgeschlossen sind, weil sie weder hinhören, noch antworten, sondern nur monologartig Sätze wiederholen, wie ein Mantra:
„Aber müssen die das unbedingt so öffentlich tun?“ – Will man was dazu sagen? Will man sagen: „Nein, du, das müssen die nicht, aber die wollen das vielleicht. Und meinst du, die sollen das nicht dürfen?“ Man kriegt aber von solchen Leuten nie eine Antwort auf die Frage, die man gestellt hat. Deshalb ergibt es keinen Sinn. Man kann nur hoffen, dass diese Leute irgendwann alle an Altersschwäche sterben.
Man kann nur hoffen, dass die Nachgewachsenen, die neue Generation, von den bunten Fähnchen an der Wandsbeker Chaussee, die so selbstverständlich da hängen, genauso gelangweilt sind, wie ich, weil sie längst dieses Problem nicht mehr haben. Weil sie in die Christopher-Street-Days und Pride-Weeks hineingeboren worden sind. Weil sie alle irgendwann sagen: „Nein, das schon wieder, ist doch öde. Interessiert doch keinen mehr.“
Weil niemand mehr am Anderssein Anstoß nimmt. Weil Anderssein gar kein Anderssein mehr ist. Wenn das irgendwann so sein sollte, in der Zukunft, wenn wir alle nur noch gähnen, weil das alles so normal und akzeptiert ist, dass ein Protest und eine Aufmerksamkeit unnötig geworden sind, dann hätte das alles vielleicht wirklich den Charakter eines Schlagermoves. Bis dahin aber ist das gut und politisch und wichtig, bis dahin ermuntert das jeden Heranwachsenden und jeden Ängstlichen, stolz zu sein, auf sich als Mensch, so wie er geboren ist.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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