Der Bullshit-Wort-Check Folge 13 : Traditionsverein
Was taugt dieser Begriff für das Verständnis der Gegenwart? Peter Unfried testet für taz FUTURZWEI Standards des politischen Sprechens. Heute: Traditionsverein.
taz FUTURZWEI | Mit Traditionsverein ist in der Regel nicht die Sudetendeutsche Landsmannschaft oder der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gemeint, sondern Schalke 04. Hamburger SV, 1. FC Köln, Hertha BSC Berlin, 1. FC Kaiserslautern.
Das sind erfolglose Fußballclubs, die über eine große und treue Anhängerschaft verfügen, volle Stadien haben und Fernsehsendern viele Abos liefern.
Zunächst mal: Ja, diese Clubs und ihre Fans sind stabile und dauerhafte Gemeinschaften in einer eher fraktionierten Welt. Der Traditionsgehalt besteht etwa in einer Familienfankultur, die von Großeltern und Eltern auf Kinder und dann sogar deren arme Kinder übertragen wird. Ist ja okay.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°31: GEMEINSINN
Gemeinsinn gilt manchen als gut gemeint, salonlinks oder nazimissbraucht. Kann und wie kann Gemeinsinn zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen?
Mit Aleida Assmann, Armin Nassehi, Barbara Bleisch, Florian Schroeder, Jagoda Marinić, Wolf Lotter, Heike-Melba Fendel, Florence Gaub, Paulina Unfried, Tim Wiegelmann und Harald Welzer.
Der erste Irrtum besteht indes darin, diese Beziehung als „natürlich“ zu verstehen und nicht habituell-kulturell. Es ist voraufklärerisches Denken in sonst relativ aufgeklärten Milieus, man werde qua Gen, Blut oder Boden als Fan von Schalke 04 geboren und habe als Fan von Schalke 04 zu sterben (und sich dann auf den Schalke-Friedhof zu begeben).
Das sei vorbestimmtes Schicksal und entziehe sich den eigenen Wahlmöglichkeiten – anders als die Wahl des Berufes, des Wohnortes, der Wechsel von Ehepartnern und Kernfamilien und so weiter.
Der zweite, damit zusammenhängende Irrtum ist die Annahme, es sei „natürliches“ Recht des Traditionsvereins, in der 1. Bundesliga zu spielen und Meistertitel zu gewinnen. Weil das ja früher auch so war. 1983 beim HSV, 1978 im Falle Kölns, 1958 bei Schalke, 1931 bei Hertha.
Hier offenbart sich ein reaktionäres und antiliberales Denken in der Standes-Hierarchien des mittelalterlichen Europas, dass Privilegien vererbt und die Differenzierung der liberaldemokratischen Gesellschaft geleugnet werden. Aufstieg durch Leistung und Kompetenz wird als unzulässig betrachtet, und kompetent arbeitenden Clubs werden als unrechtmäßige Emporkömmlinge „ohne Tradition“ diffamiert.
Während nun aber, nur mal zum Beispiel, die Tradition des SC Freiburg seit 1993 in beständigem Erfolg ausgedrückt wird, besteht die jüngere Tradition der Traditionsclubs in langjähriger und verlässlicher Erfolglosigkeit und in Geldverbrennen durch Mangel an fachlichem Know-how und unternehmerischer Kompetenz.
So ist der Hamburger SV faktisch längst zum „Zweitliga-Dino“ avanciert, doch seine Niederlagen in Elversberg oder eine von Schalke gegen Paderborn werden immer noch nicht als neue Normalität verstanden.
Dabei sind sie der wunderbare Beleg, dass wir in der Moderne leben, in der Sehnsucht nach der Vergangenheit der sichere Weg in die Zukunftslosigkeit ist, und auch im Zeitalter des Fernseh-, Wettbusiness-, Milliardärs- und Investorenfußballs eine kleine Allianz kompetenter und engagierter Menschen eine bessere Zukunft gestalten kann.
■ Dieser Artikel ist im Dezember 2024 in unserem Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Wenn Sie zukünftig regelmäßig Leser:in von taz FUTURZWEI sein wollen, sichern Sie sich jetzt das Abo für nur 34 Euro im Jahr. Lösungen für die Probleme unserer Zeit – alle drei Monate neu in ihrem Briefkasten. Jetzt bestellen!