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Der Bullshit-Wort-Check, Folge 10 „Menschenverachtend“ und „Zumutungen“

Was taugen diese Begriffe für das Verständnis der Gegenwart? taz FUTURZWEI-Gastautorinnen testen Standards des politischen Sprechens. Heute: Arno Frank und Luisa Neubauer.

Für einige schon eine menschenverarchtende Zumutung: die Wärmepumpe Foto: alpha innotec/Unsplash

taz FUTURZWEI | In der heutigen Folge unseres „Bullshit-Wort-Checks“: ARNO FRANK, Publizist und freier Journalist, stört sich am inflationären Gebrauch des Wortes „menschenverachtend“. Klimaaktivistin und Publizisitin LUISA NEUBAUER schüttelt bei all den vermeintlichen „Zumutungen“ nur noch den Kopf.

„Menschenverachtend“ (Arno Frank)

Ohne Kenntnisse in Quantenmechanik ist manchen Begriffen nicht mehr beizukommen. So erscheint beispielsweise die „Cancel Culture“ mal als Tatsache, mal als Märchen – je nachdem, wen man fragt. Was auch für „Wokeness“ gilt, also die Hellhörigkeit für rassistische, sexistische oder soziale Diskriminierung. Wird sie von ihren Widersachern neckisch als ideologisch verblendet und also „woke“ bezeichnet, löst sich diese Hellhörigkeit unter Protest in Luft auf – und nennt ihre Gegner im rhetorischen Gegenschlag „menschenverachtend“.

Beide Adjektive, „woke“ und „menschenverachtend“, sind als negativ geladene Teilchen in spukhafter Fernwirkung miteinander verschränkt. Gerade Hellhörige aber sollten nicht die Strategie der Schwerhörigen übernehmen, jede unliebsame Einlassung mit dem universalistischen Dampfhammer zu ahnden. Es genügt, einen Witz „dumm“ zu finden, eine Forderung „töricht“ oder ein Gesetz „unfair“. Ein inflationärer Gebrauch von „menschenverachtend“ nimmt der Zuschreibung ihre Wucht. Sie sollte systemischen Verhältnissen vorbehalten bleiben, die in fundamentaler Opposition stehen zur Menschlichkeit schlechthin – die, und das ist gerade der Witz mit der Menschenwürde, auch dem Menschenfeind nicht abzusprechen ist.

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„Zumutungen“ (Luisa Neubauer)

Ihr wollt was? Klimaschutz? NOCH mehr? NOCH schneller? Sag mal, hackt es?

Man kann den Leuten in Sachen Klima nicht NOCH MEHR zumuten, jetzt müsse doch auch mal gut sein. So oder so ähnlich hören wir das seit Jahren, und spätestens seit dem Heizungsgesetz ist Zumutungslosigkeit in Sachen Klimapolitik für alle Beteiligten verpflichtet.

So, jetzt muss man sich wirklich fragen, von welchen Zumutungen da die Rede sein soll? Von welchen unerträglichen, überzogenen, unstemmbaren Klimamaßnahmen, die der Gesellschaft in den letzten Jahren auferlegt wurden? Die Wärmepumpen-Pflicht, die nicht kam? Der CO2-Preis, der in keinem Verhältnis zu regulären Benzin-Preisschwankungen steht? Das Beinahe-Ende der Agrardieselsubvention? Ein Verbrenner-Aus, dass nach all den Schlupflöchern, den Namen nicht mehr verdient? Die Fleischsteuer, die ... ach, die wird nicht mal mehr diskutiert.

Sorry to say, wer mit Zumutungen vor allem Klimaschutzmaßnahmen mit Wirkung meint, den muss man hier enttäuschen. Mit dieser Art von Zumutungen hat die Regierung nicht mal mehr wirklich angefangen. Das Schöne: Wirksamer und gerechter Klimaschutz ist das beste Mittel gegen Zumutungen, mit denen wirklich Schluss sein sollte: schlechte Luft, lebensbedrohlicher Stadtverkehr, abgehängtes Landleben, verseuchtes Grundwasser, hitzekranke Großeltern – und vor allem: post-faktische Klima-Pseudodebatten, in denen man mit Schmerzen zuschauen muss, wie ein gekränkter Fossiler nach dem anderen loszieht, um Zumutungen durch Klimaschutz allen Ernstes mit den Zumutungen durch die Klimakrise gleichzusetzen.

Mehr Bullshit-Wort-Tests finden Sie in der neuen taz FUTURZWEI-Ausgabe „Weiterdenken“ und an dieser Stelle auf taz.de.

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