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■ Der 25.4. in ItalienDer neue Inhalt

Der 25. 4. in Italien

Der neue Inhalt

Fünfzig Jahre Jubelfeiern, mit abnehmender Spannung. Von den leidenschaftlichen Festen der Nachkriegszeit, als die Erinnerung noch frisch war und die ideologische Auseinandersetzung hitzig, war der 25. April – der Tag, an dem Mailand und der Norden Italiens von der deutschen Besatzung befreit wurde – längst zu einem Ritual verkommen. Allenfalls einmal wiederbelebt, wenn, wie in den 70er Jahren, die Neofaschisten von sich reden machten und man sich klar wurde, daß man doch stärker auf der Hut sein mußte. In aller Regel jedoch verliefen die Feiern zum Gedenken an den Tag der Befreiung eher langweilig.

Dann, plötzlich, 1994: die Wende. Unversehens wurde aus einem Treffen von Nostalgikern ein hochpolitischer Anlaß, ein Ereignis nicht mehr nur zur Erinnerung, sondern von unmittelbarer Aktualität. Eine Gelegenheit zur Auseinandersetzung, zur Diskussion, ja sogar zu politischen Manövern. Die Vergangenheit reichte plötzlich in die Gegenwart hinein – und diese Gegenwart versuchte nun, die Vergangenheit zu verändern.

Wochenlang konfrontierten die Medien Italien in der ersten Hälfte des Jahres 1994 mit einem der düstersten Kapitel seiner Geschichte. Das war das Verdienst der Faschisten und ihrer Manöver. Von einem Tag auf den anderen und ohne daß Italien dies so recht bemerkte, fanden sich jene an den Schalthebeln der Macht wieder, die sich bis dahin (und in vieler Hinsicht bis heute) als die Erben der „Repubblica sociale italiana“ betrachtet hatten, der 1943 nach Mussolinis Sturz ausgerufenen „Sozialen Republik“, einer Abwandlung des faschistischen Reiches von 1922. In die vom Silvio Berlusconi angeschobenen und geleiteten Regierung traten Minister ein, die Mitglieder der neofaschistischen Partei MSI waren. Der Partei, die noch immer die dreifarbige Flamme in einem Trapez als Parteisymbol führte – jenes Symbol für „die unsterbliche Idee“, die angeblich für immer in Mussolinis Sarg weiterleben wird.

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Was war geschehen? In den Augen der Italiener war die postfaschistische Demokratie schlicht danebengegangen, erstickt an den Skandalen und der Ineffizienz der politischen Klasse. Zahlreiche Wähler, am Ende eine relative Mehrheit, wollten nun auch die Erben der „Sozialen Republik“ mit der Reaktion auf diese Pleite betrauen. Doch die Entscheidung der Italiener bei den Wahlen im März 1994 hat zu einem interessanten Kurzschluß geführt. Die Krise der „gegenwärtigen Form“ der Demokratie hat die Wurzeln der Demokratie als solche angegriffen. Und das, was eigentlich außer Diskussion zu stehen schien, die Demokratie selbst, wurde nun zur Disposition gestellt.

Das wiederum hat den Neofaschisten die Chance gegeben, diese Diskussion ohne Scham über ihre eigene Vergangenheit mitzubestimmen: 1943 bis 1945, so erklärte die äußerste Rechte nun, habe in Italien ein Bürgerkrieg zwischen zwei politischen Formationen stattgefunden. In dieser Auseinandersetzung hätten beide Seiten teilweise recht, teilweise unrecht gehabt, weil beide für hehre Ideale gekämpft hätten. Und so sollte nun der 25. April einen anderen Inhalt bekommen: nicht länger ein Fest zum Gedenken an die Befreiung, sondern die gleichberechtigte Erinnerung an die Gefallenen beider Seiten.

Wäre diese Botschaft durchgegangen, hätte das konsequenterweise nicht nur eine Revision des Geschichtsbildes bedeutet. Auch das Fundament der italienischen Demokratie wäre zerstört worden, die auf dem Widerstand gegen die nazistische Besatzung aufgebaut worden war. Für die Rechte hätte sich die Möglichkeit eines „Neuanfangs“, einer „Stunde Null“, ergeben, die Vergangenheit wäre ausgelöscht gewesen.

Das war der Grund, warum der 25. April 1994 urplötzlich politische Brisanz erhielt: Die Linke mußte aus ihrer Lethargie nach der Wahlniederlage erwachen, und innerhalb der rechten Allianz gab es schon wenige Tage nach ihrem spektakulären Wahlsieg erste Dissonanzen. In Mailand nahmen, trotz strömenden Regens, an der von il manifesto organisierten Demonstration Hunderttausende teil. Dabei war, trotz zahlreicher Pfiffe, auch Umberto Bossi, der Führer der Liga Nord, die im Dezember 1994 die Allianz dann durch ihren Austritt aus der Regierung stürzen sollte; sie begründete diesen Schritt damals mit der Notwendigkeit einer antifaschistischen Grundhaltung.

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Am heutigen 25. April stehen wir erneut an einem solchen Punkt. Inzwischen ist die Rechte von der Regierung vertrieben, die MSI hat ihre eigene Vergangenheit – zumindest als Lippenbekenntnis – bereut und ihr Parteisymbol gewechselt: Sie nennt sich heute Nationale Allianz. Ihr Ziel jedoch, eine konstitutionelle Veränderung, hat die Rechte weiterhin fest im Auge. Und ihre Anhängerschaft scheint kaum weniger geworden. Die Gefahr, daß sich Italien, trotz des „Faschismus light“, wie er nun genannt wird, in ein Medien-Regime verwandelt, ist folglich groß.

Darum auch ist dieser 25. April aktueller denn je, noch dazu, wo er unmittelbar nach einem neuen Urnengang liegt, diesmal für die Regionalparlamente. Das Land wird erneut mit seiner Vergangenheit konfrontiert – und mit der Gefahr, daß viele wieder versuchen werden, die Vergangenheit einfach auszulöschen. Doch in Mailand findet heute eine Veranstaltung statt, an der auch der Staatspräsident teilnimmt. Und il manifesto hat die Gewerkschaften und die Linke zu einer Demonstration nach Neapel eingeladen – zu einer Begegnung, die sich nicht als Gegenveranstaltung zur Feier in Mailand versteht, die jedoch einen weitaus politischeren Charakter haben könnte als diese. Nach Jahrzehnten mangelnder Aufmerksamkeit – und nach einer Periode großer Angst um die weitere Entwicklung – scheint aus Italien wieder ein Land geworden zu sein, das sich bewußt ist, daß man keine Gegenwart und keine Zukunft bauen kann, ohne der Vergangenheit Rechnung zu tragen. Stefano Menichini

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