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Archiv-Artikel

palastrevolte Denkwürdiges Richtfest

Draußen hatte der Herbst dem Wochenende noch einmal unerwartete Temperaturhöhenflüge beschert. Nur in den schon vorwinterlich ausgekühlten enormous space des Volkspalastes ist nicht viel davon gedrungen. Ebenso erfahrene wie praktisch denkende Palastbesucher kommen längst mit Wolldecken und ausgeklügelten Wickeltechniken zu den Veranstaltungen und sehen gar nicht mehr wie Zuschauer aus, sondern wie Mitglieder eines Indianerstammes.

Die Nacht von Freitag auf Samstag gehörte wieder dem WMF, das man unbedingt mit zum Humus zählen muss, auf dem die Volkspalastidee so gut gedieh. Nicht nur, weil es mit seiner virtuosen ästhetischen Überführung von muffigem DDR-Design in cooles Nachtclubinterieur Anfang der 90er-Jahre zu denen gehört, die die DDR nach ihrem Untergang als Poprepublik wieder auferstehen ließen. Auch mit der Entdeckung jener fluchtartig von ihren alten DDR-Nutzern verlassenen Orte, die vor ihrer finalen Einspeisung in den Immobilienmarkt als Club-Locations zwischengenutzt wurden und als WMF-Standorte längst zur Geschichte der Berliner Subkultur gehören, besitzt das WMF sozusagen fast das Copyright auf die Zwischennutzungsidee. In dieser Woche stehen zwei weitere WMF-Nächte auf dem Programm.

Am Wochenende ist es im Palast außerdem zu einem denkwürdigen Richtfest gekommen. Der Schweizer Theatermann Ruedi Häusermann tat einfach so, als sehe das Gebäude nicht seinem Rückbau, sondern vielmehr Aufbau und Vollendung entgegen. Versierte dramatische Fachkräfte traten in der Funktion eines Ingenieurkollektivs auf. Die Leitung hatte Joseph Bierbichler, der in fettiger Lederjacke spröden Kombinatsleitercharme versprühte. Zur Begrüßung, beziehungsweise vorsorglichen Benebelung gab es Glühwein, und derart vorbehandelt setzte man dann zur Begehung des Rohbaus an, bekam Erklärungen zu Fundament und künftiger Nutzung, wobei sich harte Fakten und sanfter Blödsinn wunderbar zu einem Gesamtbild ergänzten.

Als Zuschauer hatte man Treppchen zu besteigen und einiges an Strecke zurückzulegen. Es wurden Zukunftsperspektiven und technische Visionen dieses Volkshausbaus beschworen. Ein Bauarbeiterchor belebte die Szene mit pastoralen Gesängen. Von ferne belauschte man eine weiß gewandete Pianistin, die am Flügel im ruinierten großen Saal einsame Etüden spielte. Schließlich erhob sich ein strunkartiges Bündel als Richtkranz ins leere Rund, welches einst die Insignien des Arbeiter-und-Bauern-Staates beinhaltete.

Zauber bereitete sich flächendeckend im Haus und auf den Gesichtern der Zuschauer aus, bis Kombinatsleiter Bierbichler dann einen etwas unvermittelten Ausbruch hatte und die Illusion mit ebenso kruden wie simpel gestrickten politischen Einwürfen zerbrach. „Na und?“, warf er der untergegangenen totalitären Republik hinterher und bekundete, der letzte Sozialist sei ihm noch lieber als ein Monarch. Als stünde mit einer Schlossrekonstruktion unmittelbar die Gefahr bevor, dass – lets say – augenblicklich Tatjana Gsell mit dem retardierten Hohenzollernprinzen Ferfried zum neuen deutschen Kaiserpaar gekrönt werden würde und der Untergang der Demokratie bereits besiegelte Sache sei. Wenn das bloß so einfach wäre …

Im Laufe der Woche stehen täglich ein bis zwei Richtfeste auf dem Programm, die wir trotzdem sehr dringend empfehlen. Esther Slevogt

„Richtfest“ bis 1. 11. täglich 14 Uhr, außer Mi., Fr. und Sa. auch 20 Uhr. „WMF im Palast“: Fr., 22 Uhr. Infos: www.volkspalast.com