Denkmalschutz: Zum Wohnen verurteilt
Ein ehemaliges Gerichtsgebäude wird zum Wohnhaus umgebaut. Das stößt auf Kritik, denn in dem Gebäude fällten Nazi-Richter 1.400 Todessurteile gegen Kriegsdienstverweigerer und Widerstandskämpfer.
Der Blick von der Terrasse der Galeriewohnung im Präsidialflügel geht direkt auf den Lietzensee und den ihn umgebenden Park. "Atrion" nennt sich heute das, was unter anderem einmal das Berliner Kammergericht war, aber auch - von 1936 bis circa 1943 - das Reichskriegsgericht. Nazi-Richter verurteilten hier mehr als 1.400 Kriegsdienstverweigerer und Widerstandskämpfer zum Tode, unter anderem Mitglieder der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle".
Genau deshalb stößt der Umbau des unter Denkmalschutz stehenden Gerichtsgebäudes am Witzlebenplatz in ein Wohnhaus auf Kritik. "Das Vorhaben zeugt von einer nur schwer verständlichen Geschichtsvergessenheit der Stadt Berlin und des Bundes", sagt Manfred Krause. Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts ist zugleich Vorsitzender des Forums Justizgeschichte, das die deutsche Rechts- und Justizgeschichte des 20. Jahrhunderts aufarbeitet. Thomas Groth, Geschäftsführer der allod Immobilien GmbH, die das Gebäude verwaltet, hält dagegen: "Rund 80 Jahre lang wurde hier im guten Sinne Recht gesprochen. Demgegenüber sind die etwa sieben Jahre, in denen das nicht so war, ein ziemlich kurzer Zeitraum." Die Mieter selbst - rund 90 Prozent der Wohnungen sind nach Angaben der Vermarkter bereits vergeben - haben keine Probleme mit der Historie des Gebäudes. "Nur ein Wohnungsinteressent ist ausdrücklich deswegen abgesprungen", sagt Groth.
Eine private holländische Investorengemeinschaft hat das Gerichtsgebäude in Charlottenburg im Jahr 2005 vom Bund gekauft, seit April 2006 wird es umgebaut. Davor stand es zehn Jahre leer. "Die Bundesregierung lässt das Gebäude des ehemaligen Reichskriegsgerichts verfallen. Erneut wird NS-Geschichte entsorgt", beklagte bereits 2003 die Berliner Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Auch das Land Berlin habe kein Nutzungskonzept für das Gebäude gehabt, so ein Sprecher der Senatsverwaltung für Finanzen auf Nachfrage. Zudem sei der Kaufpreis zu hoch gewesen.
"Der langjährige Leerstand hat dem Gebäude zugesetzt und kostete den Steuerzahler ein Vermögen, da die ganze Zeit geheizt werden musste", so Groth. Der drohende Verfall war auch für den Senat, die Untere Denkmalschutzbehörde des Bezirks und das Landesdenkmalamt ausschlaggebend dafür, der Nutzungsänderung zuzustimmen. "Ein weiterer jahrzehntelanger Leerstand hätte die Bausubstanz des Denkmals erheblich geschädigt", so die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Evrim Baba (Die Linke). Dass das Gebäude wieder nutzbar gemacht wurde, sei auch im politischen Interesse des Bundes und des Landes Berlin gewesen, heißt es weiter.
Insgesamt 106 Mietwohnungen zwischen 42 und 207 Quadratmetern sind in dem ehemaligen Gerichtsgebäude entstanden. Neun Monate hat der Leipziger Architekt Gregor Fuchshuber an den mehr als 80 verschiedenen Grundrissen gesessen. Herausgekommen sind dabei sowohl Luxuswohnungen mit einem Quadratmeterpreis von 18 Euro, als auch einfachere Wohnungen für sieben Euro pro Quadratmeter. Reliefs, alte verzierte Fenster, Stuck- und Gewölbedecken wurden restauriert und sind nun Bestandteil einiger Wohnungen. "Wir wollten so viel wie möglich erhalten", sagt Groth. Die Außenfassade blieb wegen der Denkmalschutzbestimmungen weitgehend unverändert.
Von dem Umbau in ein Wohngebäude haben das Forum Justizgeschichte wie auch die Gedenkstätte Deutscher Widerstand erst erfahren, als bereits vollendete Tatsachen geschaffen worden waren. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte, hat allerdings weniger Probleme damit, dass in dem Gebäude nun Wohnungen sind. Er stört sich mehr daran, dass der ehemalige Gerichtssaal zu einem Gemeinschaftsraum werden soll. Hier sollte stattdessen dokumentiert werden, was sich dort abgespielt habe. "Es ist für mich schwer vorstellbar, dass dieser Ort, an dem zahlreiche Todesurteile gefällt wurden, zu einem Ort der Gemütlichkeit werden soll."
Groth beschwichtigt: "Wir zollen diesem Raum großen Respekt und wollten hier bewusst keine Wohnungen reinbauen." Der Saal solle nicht nur zum Treffpunkt für die Mieter werden, sondern auch für die Öffentlichkeit nutzbar sein: zum Beispiel für Diskussionsveranstaltungen zur Rolle der Justiz im Dritten Reich. Denkbar seien auch Ausstellungen. Mitte Januar wird der Umbau des 178 Quadratmeter großen und neun Meter hohen Raumes abgeschlossen sein. "Der Gerichtssaal bleibt originalgetreu mit allen Intarsien und Wandtäfelungen erhalten. Nur die Richterbänke haben wir rausgenommen", berichtet Groth.
Zwischen 1908 und 1910 wurde das Gebäude mit der neobarocken Fassade und klassizistischen Elementen errichtet. Es diente zunächst als Reichsmilitärgericht, dann ab 1922 als Reichswirtschaftsgericht. 1936 zog hier mit dem Reichskriegsgericht die höchste Instanz der NS-Wehrmachtsjustiz ein, zuständig für Hoch- und Landesverrat von Militärangehörigen, Kriegsverrat und Wehrdienstverweigerung, ab Kriegsbeginn auch für Spionage und "Wehrkraftzersetzung". Von dieser Zeit zeugen Gedenktafeln vor, am und im Gebäude selbst.
Ab 1951 residierte in dem Haus das Berliner Kammergericht, und zuletzt - bis zu seinem Umzug nach Leipzig - der 5. Senat des Bundesgerichtshofes. Seit 1997 stand das Gebäude leer. Bereits 2004 gab es Überlegungen, den Gebäudekomplex umzubauen. Aus den Plänen für ein Luxushotel wurde dann aber wegen des zu erwartenden Verkehrsaufkommens in der ruhigen Wohngegend nichts. Seinerzeit bemühte sich das Forum Justizgeschichte darum, hier eine zentrale Erinnerungsstätte für die Nazi-Justiz zu errichten. Vergeblich versuchte der Verein, politische Entscheidungsträger auf Bundes- und Landesebene sowie das Goethe-Institut und die Freie Universität Berlin für die Idee zu gewinnen. "Nahezu alle Angeschriebenen haben freundlich und wohlwollend, in der Konsequenz jedoch ablehnend geantwortet", erinnert sich Krause. Die Begründung: Für ein solches Vorhaben - wie wichtig und unterstützenswert es auch sei - fehlten die finanziellen Mittel.
An die Rolle der NS-Justiz wird künftig im Gebäude des Oberverwaltungsgerichts in der Hardenbergstraße erinnert: Für einen Zeitraum von zehn Jahren wird hier die Ausstellung "Im Namen des Volkes - Justiz und Nationalsozialismus" gezeigt. "Das kann natürlich kein Ersatz sein für eine in Deutschland immer noch fehlende zentrale Erinnerungs- und Gedenkstätte", findet Krause.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!