Denkmal dubios (2) – heute mit Heroldlösung : Der Geier vor der Krankenkasse
Verborgen brütet er auf seiner Sandsteinstele. Nur wenn die Platane ihr Laub abgeworfen hat, wird der Blick auf den mächtigen Raubvogel frei – und die von seinen Krallen umspannte Weltkugel. Die neue taz-Serie „Denkmal dubios“ widmet sich heute dem an der Martinistraße nistenden Adler.
Dort steht er auf dem kleinen Platz zwischen Schünemann-Haus, in dem der Wirtschafts- und Kultursenator residiert, und dem ehemaligen Sitz der „Hansa“, „Deutsche Dampfschifffahrtsgesellschaft“. Doch seit das Unternehmen nach 100-jähriger Geschichte 1980 Pleite machte und die Handelskrankenkasse das Haus übernahm, fristet der Vogel ein ziemlich unbemerktes Dasein. Selbst der Landesdenkmalpfleger hat ihn bisher nur „en passant“ wahrgenommen.
Dabei geht von dem martialischen Tier reichlich Spannung aus. Der lauernd nach vorn gestreckte Hals mündet in einem gewaltigen Schnabel, die Schwingen heben sich zum Abflug – wobei die umkrallte Welt ganz bestimmt nicht los gelassen wird. Die „Hansa“ ließ den fiesen Vogel kurz vor Beginn des I. Weltkriegs aufstellen, ein unzweideutiges Symbol des aggressiv proklamierten Globalisierungsanspruchs. De facto reichte das Liniennetz der Reederei immerhin bis Indien.
Was kann man heute mit diesem imperial anmutenden Erbe anfangen? „Unverfälscht erhalten“, sagt Denkmalpfleger Georg Skalecki. Selbst bei NS- oder Kolonialdenkmälern gelte das Primat des „sehr neutralen und wertfreien“ Konservierens. Skalecki: „Man muss auch nicht alles mit Erklärungstafeln relativieren.“
Denkbar einfach scheint hingegen die produktive Bearbeitung des in „Denkmal dubios (1)“ erörterten Herold-Problems. Die taz-Patentlösung: Man platziert die beiden historistischen Rathausreiter, die derzeit ohnehin in einer Findorffer Reparaturwerkstatt lagern, einfach 40 Meter weiter östlich. Dann stünden sie, stilistisch endlich passend, vor dem Haupteingang des 1908 entworfenen Anbaus – anstatt dem hochgotischen alten Rathaus einen Disneyland-Touch zu verpassen. „Eine bedenkenswerte Überlegung“, sagt der Landesdenkmalpfleger.
Bliebe nur noch eine spezielle Platzkonkurrenz zu lösen: Links vom neuen Haupteingang pflegt bislang Henning Scherf sein Rad abzustellen. Und das Vehikel des Regierungschefs hat natürlich ähnlich staatstragenden Rang wie Kaiser Wilhems Herolde.
Henning Bleyl
Vorschau auf „Denkmal dubios“ 3: Warum hat Bremen den weltweit einzigen Bismarck hoch zu Ross?