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DebatteWarten auf die Messia

Gründet sie oder gründet sie nicht? Gibt es bald eine Wagenknecht-Partei? Die Spekulationen und Streitereien innerhalb der Linken sind nicht nur nervig, langsam wirkt das Ganze auch erbärmlich.

Auftritt Sahra Wagenknecht auf dem Stuttgarter Schlossplatz, kurz vor der Bundestagswahl 2017. Fotos: Joachim E. Röttgers

Von Gesa von Leesen

Nun macht schon. Klaus Ernst, Jessica Tatti, Amira Mohamed Ali und wie sie alle heißen aus der Wagenknecht-Anhängerschaft. Gründet die neue Partei oder Verein oder Liste – egal, aber macht. Ach so, es wird auf das „Go!“ der Ikone gewartet und die mag oder kann sich nicht entscheiden? Ja, dann.

Es ist langsam ein trauriger Anblick zu lesen und zu hören und zu sehen, wie sich Linke und Wagenknecht & Co. gegenseitig blockieren. Jedenfalls auf Bundesebene haben offenbar zu viele Abgeordnete nichts Besseres zu tun, als Unruhe zu verbreiten und sich mit sich selbst zu beschäftigen. Liegt das am linken Gen, das vorsieht, sich nach x Jahren spalten zu müssen, um weiter „wirklich“ links sein zu können?

Selbst jene mit einem gewissen historischen Bewusstsein, die darauf verweisen, dass Spaltung eher schwächt als stärkt, verlieren langsam die Geduld mit der Ego-Show von Sahra Wagenknecht. Beliebter Talkshow-Gast, guter Bücherverkauf, wenig Teilnahme an Gremiensitzungen der Partei, deren Mitglied sie warum auch immer noch ist, und jüngst ein Termin mit der „Bild“, die daraus bastelte, dass die Wagenknecht-Partei nun aber wirklich kommt. Die Protagonistin herself relativierte das umgehend, erklärte wieder, sich Ende des Jahres entscheiden zu wollen. Was ist Ende des Jahres? Silvester. Aber sonst?

Derzeit zeichnet sich ab, dass es wohl nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern konkret werden soll. Vielleicht in der Hoffnung, Zweifler:innen mobilisieren zu können, wenn dort die Linke schlecht abschneidet. Und das ist wahrscheinlich, da sie dort bei den Landtagswahlen 2018 gerade mal 3,2 (Bayern) und 6,3 Prozent (Hessen) holte. Angesichts des aktuellen linken Desasters ist nicht damit zu rechnen, dass plötzlich scharenweise Stimmen dazukommen.

Wir werden also noch einige Wochen lang Wagenknechts Behauptung vernehmen dürfen, dass die Linke nur noch woke Nischenthemen bearbeitet, „normale“ Arbeitnehmerinteressen (sie gendert nicht) und überhaupt die soziale Frage aber vergessen hat. Das stimmt zwar nicht, wie ein Blick auf Anfragen der Linken wie jüngst zur Rentenhöhe zeigt. Doch unbeirrt bastelt die Wahl-Saarländerin an dieser Erzählung. Ihre Alternative, wie sie der „Bild“ erklärte, soll sein: Freiheit, Frieden, wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit. Sehr aufschlussreich. Unfreiheit, Krieg, wirtschaftliche Unvernunft und soziale Ungerechtigkeit würde sich ja nicht mal die FDP trauen.

So wird politische Arbeit behindert

Im Grunde ist die Linkspartei schon gespalten. Und sicher liegt das nicht nur an Wagenknecht. Auch Fraktions- und Parteispitzen haben – freundlich ausgedrückt – nicht immer geschickt agiert, um die Partei gemeinsam voranzubringen. Wer mal näher mit Abgeordneten – egal welcher Partei, egal ob im Land oder Bund – zu tun hatte, dürfte festgestellt haben, dass Themen wie „Die hat gesagt, dass der doof ist“ und vice versa viel Zeit einnehmen können.

Zeit, die für politische Arbeit genutzt werden sollte, denn – Erinnerung! – eigentlich beansprucht die Partei ja, dass sie eine gerechte Gesellschaft will. Also muss sie für ihre Ideen werben, kluge Anfragen an die Regierung stellen, Diskussionen organisieren, Bündnisse eingehen, Pressemitteilungen verschicken, Interviews geben, über Bürgerbüros in die Region einwirken, Kontakt zu „normalen“ Menschen (also nicht nur Parteileuten) halten usw. usf. Und sie muss sich auf Wahlen vorbereiten, auf Europa ebenso wie auf Landes- und Kommunalebene.

In Baden-Württemberg werden im nächsten Juni zusammen mit der Europawahl Gemeinde- und Kreisräte gewählt. Dafür suchen die Parteien jetzt Kandidat:innen. Die eventuell/vielleicht/wahrscheinlich kommende Wagenknecht-Partei erschwert diese Arbeit vor Ort. Da sitzen vielleicht 14 linke Frauen und Männer, erklären sich bereit, für Gemeinderat oder Kreistag beispielsweise in Reutlingen zu kandidieren (wo die Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti pro Wagenknecht unterwegs ist) – und dann sagen vier von denen am 1. Januar 2024: Ich geh‘ jetzt zur Wagenknecht-Truppe. Tja. Dann stehen unter Umständen zwei Menschen im April am Infotisch und der eine sagt so, die andere so und die Wähler:innen sind zu Recht verwirrt.

In Stuttgart interessiert Wagenknecht nicht

Glücklicherweise bewegt dieses Thema nicht alle Aktiven an der Basis. In vielen Orts- und Kreisverbänden spielt der Streit keine oder nur eine geringe Rolle. Da wollen die Leute einfach etwas im linken Sinne für ihren Ort tun. Aber es gibt auch die Verbände, in denen über die Spaltung gestritten wird. Obwohl es eigentlich darum gehen sollte, warum das Freibad nicht länger geöffnet hat oder wie im Ort die Wohnungsknappheit angegangen werden kann.

Also Sahra Wagenknecht: Klemm dir deine Leute untern Arm und lass die Partei in Ruhe. Das ist zwar bitter und wird die Linke – welche auch immer – erst mal schwächen. Vielleicht haben ja diejenigen Recht, die glauben (hoffen?), eine Wagenknecht-Truppe könnte der AfD Wähler:innen abnehmen. Weiß allerdings niemand. Antworten auf die Frage „Würden Sie eine Partei wählen, die es vielleicht mal geben wird und deren Programm niemand kennt?“, lassen sich nicht ernsthaft bewerten. Zumal mit Fug und Recht erwartet werden darf, dass (wie damals bei der WASG-Gründung) viele Knallköpfe auftauchen werden, mit denen politische Arbeit nicht möglich ist. Womit dann vielerlei Enttäuschungen programmiert sind und Medienberichte über die Zerstrittenheit dieser neuen Gruppe.

Dass Die Linke scharenweise Mitglieder verlieren wird, ist mittlerweile eher unwahrscheinlich. Nun, wo sich abzeichnet, dass die Spaltung vonstattengehen wird, erhellt sich eher so manches Gemüt. In Stuttgart konnte die Partei jüngst eine junge Ex-Grüne begrüßen. Ayla Salatovic, 21, aktiv bei den Fridays for Future, war vor einem Jahr in die Grüne Jugend eingetreten. Die Entwicklung – grüne Zustimmung zum Abriss von Lützerath für Kohleabbau, die unbefriedigende Kindergrundsicherung, das Ja der hiesigen Grünen zur Messerverbotszone in Stuttgart – regte sie auf.

Außerdem hatte sie den Eindruck, gegen Wände zu rennen, sagt sie. „Zu den Haushaltsverhandlungen in Stuttgart wollten wir kostenlosen ÖPNV wenigstens für die Familien mit Bonuscard einbringen. Wurde abgelehnt.“ Soziale Gerechtigkeit sehe für sie anders aus. Schon im April diesen Jahres sei sie von der Stuttgarter Linken angesprochen worden. „Die haben das früher gemerkt als ich“, erzählt sie lachend, auf einem roten Sofa sitzend. Das steht auf dem Gehweg vor der Galerie AK2 in Stuttgart Mitte. Finanziert von der Bundestagsfraktion (so lange es sie noch gibt), hat die Stuttgarter Linke dort vergangenen Samstag zu einem „Siedekessel-Klimafestival“ eingeladen.

Auf dem Programm standen Diskussionen mit Klimaaktivist:innen, die Verkehrswende in Verbindung mit Tarifauseinandersetzungen, es gab ein wenig Klassenkampf-Theorie, eine Lesung, Zeit zum Quatschen. Um die 100 hatten sich angemeldet, in erster Linie Menschen unter 30. Junge Leute, die sich engagieren wollen. Nicht in theoretischen Zirkeln, sondern ganz konkret vor Ort. Wie die Studentin Ayla Salatovic, die 2012 mit ihrer Familie aus Bosnien nach Deutschland gekommen ist. Dass sie tatsächlich in die Linke eingetreten ist, liege auch daran, „dass die Partei standhaft gegenüber Wagenknecht“ geblieben sei. „Hier in Stuttgart sehen wir doch, dass die Partei dabei ist, sich neu aufzubauen. Da hat Frau Wagenknecht nichts verloren.“ Und ob diese eine neue Partei gründet, „ist mir persönlich egal“.

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