Debatte: Nägel mit Köpfen
An gutem Willen, in der Verkehrspolitik entscheidend umzusteuern, mangelt es Baden-Württembergs Grünen seit Jahrzehnten nicht. Die Umsetzung des so dringend Notwendigen bleibt jedoch kompliziert. Es fehlt an Geld, an politischen Mehrheiten und an der Einsicht von Betroffenen.
Von Johanna Henkel-Waidhofer
Was für ein Fingerzeig: Da wettern CDU und FDP, Handelsverband oder IHK im Innenstadt-Wahlkreis Stuttgart I gegen Fahrverbote, Tempolimits, Verkehrsberuhigung und führen einen engstirnigen Kampf um lächerliche 18 Parkplätze vor der Markthalle – und dann holt ein grüner Radfahrer bei der Bundestagswahl 2021 fast 40 Prozent der Erststimmen. Damit sammelte Cem Özdemir mehr Stimmen ein als die Autofreaks von CDU und FDP zusammen. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Dass mit der Verhinderung sinnvoller Maßnahmen kein Blumentopf und keine Wahl mehr zu gewinnen ist.
Die Landeshauptstadt könnte längst Exerzierfeld jener Verkehrspolitik sein, die schon so lange versprochen worden ist. Winfried Kretschmanns Merksatz „Natürlich sind weniger Autos besser als mehr“ aus dem Frühjahr 2011 hat sich eingebrannt. Nur hat er mit seinen Landtags-Grünen zugelassen, dass „die Zuwächse der Verkehrsmengen die bisherigen Erfolge im Klimaschutz konterkariert haben“, wie es in den eben erst vom Kabinett verabschiedeten Eckpunkten zum Landeskonzept Mobilität und Klima (LMK) heißt. Und weiter schnörkellos: Es sei bisher nicht gelungen, die CO2-Emissionen signifikant zu mindern, und: „Mit dem gegenwärtigen Mobilitäts- und Antriebsmix können die Klimaschutzziele von Bund und Land nicht erreicht werden.“ Ein Tiefschlag auch für den vor inzwischen vor fünf Jahren von Kretschmann selber ins Leben gerufenen „Strategiedialog Automobilwirtschaft“, bei dem sich inzwischen selbst Wohlmeinende fragen: Was kommt konkret raus? Außer immer neuen Versprechungen à la „Wir wollen Weltmeister im Umsetzen werden“.
Also hat sich das Verkehrsministerium wieder einmal auf den Weg gemacht, um Pläne auf Nutzen und Realisierbarkeit zu prüfen und Nägel mit Köpfen zu machen. Immerhin 17 Seiten ist allein die Auflistung der Eckpunkte stark. Wieder einmal ist der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann vom Goodwill des Koalitionspartners CDU abhängig, wenn er auf die zum Mobilitätspass umgetaufte Nahverkehrsabgabe setzt. Oder sogar auf eine eigene LKW-Maut des Landes. Im Sommer hat Hermann seine Karten auf den Tisch gelegt und die Ausweitung der Maut nicht nur auf Bundes-, Landes- oder sogar Kommunalstraßen verlangt. Der Minister fordert außerdem die Einbeziehung von Kleinlastern, um der „Versprinterung des Transportwesens“ Einhalt zu gebieten.
Die Schwarzen hätten sich eingedenk der Klimaziele, die sie im Koalitionsvertrag unterschrieben haben, hinter Hermann stellen können. Stattdessen wollte CDU-Fraktionschef Manuel Hagel durchsetzen, dass die Landesregierung das Maut-Ziel nicht weiterverfolgt,. „Der Ukraine-Krieg, die Gasmangellage, die Inflation und massiv gestiegene Energiepreise destabilisieren unsere Wirtschaft.“ Der Vater von zwei Kindern hätte sagen können: Wir wollen Vorreiter sein und zeigen, dass eine klimafreundlichere Mobilitätspolitik den Wirtschaftsstandort nicht zwangsläufig schädigen muss. Immerhin bekommt er eine zweite Chance, denn in dem mit den CDU-geführten Ministerien ebenfalls abgestimmten Eckpunktepapier taucht der Plan wieder auf, umzusetzen in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode.
„In Baden-Württemberg sind 2022 6,9 Mio. Pkw zugelassen“, schreibt der grüne Minister Hermann in seinen Eckpunkten, „ohne Umsteuern wären es 2030 voraussichtlich noch einmal 500.000 mehr.“ Besonders in Städten lasse sich viel Pkw-Verkehr auf Bahn, Bus, Rad und Fuß verlagern. In ländlichen Räumen sei das schwieriger, aber auch hier sollten gute Alternativen geschaffen werden, um möglichst vielen Menschen einen Verzicht auf das Auto zu erleichtern.
Hermann hätte Applaus verdient, siehe die jüngsten Warnungen des Klima-Expertenrats, weil Deutschlands eigene Ziele in immer weitere Ferne rücken. Stattdessen wird der Grüne noch viel Kritik auszuhalten haben, bis seine Ideen Gesetzeskraft erlangen, vermutlich in abgeschwächter Form.
Die CDU will eben nicht lassen von der Mär, der Kampf gegen die Erderhitzung sei ohne Veränderung des persönlichen Lebensstils vieler Menschen im Land zu gewinnen.
Und den Grünen, allen voran dem Ministerpräsidenten selber, fehlt es am Enthusiasmus, sich für die versprochene Mobilitätswende ins Zeug zu legen.
Bundesweit haben sich immerhin 315 Städte und Gemeinden der Initiative „Lebenswert durch angemessene Geschwindigkeiten“ angeschlossen, weil bisher eine Tempo-30-Anordnung nur bei konkreten Gefährdungen, etwa vor sozialen Einrichtungen wie Kitas und Schulen möglich ist.
2024 sind Kommunalwahlen. Da wird spannend zu beobachten sein, wie scharf die Autofreaks – ein Jahr vor der nächsten Bundes- und zwei Jahre vor der nächsten Landtagswahl – auf den nächsten Denkzettel im Talkessel und darüberhinaus sind.
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