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DebatteBegrabt Gabi Mustermann

Kommentar von Katja Kullmann

Opfer oder Ego (2): In jeder feministischen Rede wird Solidarität angemahnt. Dennoch müssen wir es aushalten können, dass Frauen verschieden sind. Let your sister be!

E inen "neuen Feminismus" wird es nicht geben, schon gar keinen einheitlichen. Die Masse "Frauen" ist schlicht zu divers, als dass sie eine einheitliche Bewegung formen könnte. Frauen sind eben keine statistische Gesamtgröße und haben mitunter sehr unterschiedliche Interessen. Das ist eine gute Nachricht. Wenn man einmal den billigsten aller intellektuellen Reflexe ausblendet, den Trend-Vorwurf des "Neo-Liberalismus", dann steckt in dieser Nachricht der Same zu einer befreiten feministischen Denkweise. Sie könnte auf die Formel hinauslaufen: Let your sister be!

Vorerst herrscht aber noch gereiztes Reviergehabe unter den Frauen. Am aggressivsten gehen zum einen die Mütter vor - etwa Fernsehmoderatorin Eva Hermann oder Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke -, zum anderen manche Vertreterinnen des so genannten alten Feminismus. Im Angriffsziel sind sich die Lager berückend einig: Meist kriegt die kinderlose, mittelständische Um-die-30-Jährige eins auf den Deckel. Es schwingt ein Unterton mit, der sagt: "Dir geht's wohl zu gut!"

Es ist doch erstaunlich: Da bringt der Spiegel unlängst unter dem Titel "Alpha Mädchen" eine Reportage über erfolgreiche jüngere Frauen, Kapitäninnen, Unternehmerinnen, Rapperinnen, und eine Autorin der älteren Jahrgänge unterstellt jenen Frauen hier in der taz "mangelndes Mitgefühl" und "Verweigerung von Solidarität" für diejenigen Frauen, denen es schlechter geht. Die "Klasse der Karrierefrauen" könne sich "nur mit Hilfe anderer Frauen ein Familienleben leisten", heißt es da. Ja - weil es bekanntermaßen an staatlich organisierten Strukturen fehlt und Männer den schlecht bezahlten privaten Dienstleistungssektor meiden. Wer wirft hier wem was genau vor, und wohin soll diese Anklage führen?

Kaum jemand käme auf die Idee, einen männlichen Top-Manager daraufhin abzuklopfen, ob er den auf der Strecke gebliebenen Hartz-IV-Oskar tagein tagaus im Herzen trägt. Doch die Frau trägt es als Anspruch an ihre Schwester heran: "Mitgefühl", eine urweibliche Eigenschaft - also doch? Was die Soziologie unter den Stichworten "Individualisierungstendenzen" oder "Privatisierung der Lebensrisiken" zusammenfasst, betrifft zunächst einmal beide Geschlechter. Der Graben zwischen Verlierern und Gewinnern scheint sich zu verbreitern.

Fest steht: Unter den Verlierern verlieren Frauen mehr als Männer - und unter den Gewinnern gewinnen Frauen weniger als Männer. Eine unlängst von der EU veröffentlichte Studie zeigt, dass sowohl im Niedriglohnsektor, als auch bei den Besserverdienern die Frauengehälter noch immer deutlich niedriger liegen als die der Männer. In Deutschland hat die Diskrepanz, ganz gegen den EU-Trend, sogar noch zugenommen: Lag der Gehaltsunterschied 1995 noch bei 21 Prozent, waren es zehn Jahre später 22 Prozent. In der Tat gibt es strukturelle Gründe für die Benachteiligung von Frauen. Das ist ein Skandal, strategische Allianzen müssen gebildet und fortgeführt werden, am besten auf europäischer Ebene.

Was aber Zweifel oder vielleicht doch eher Verzweiflung hervorrufen kann, ist der Pawlosch' anmutende Beißimpuls aus den Reihen des tradierten Feminismus gegen diejenigen, die es dennoch irgendwie geschafft haben und nun einen Gegenentwurf zum Opferdasein leben. Da wird instinktiv das Feindbild der kalten Karriere-Kuh hervorgezerrt und völlig übersehen, dass etwa hier, auf der Debattenseite einer überregionalen Tageszeitung, ebenfalls "Elite" ist. Oder glaubt jemand im Ernst, dass die sprichwörtliche Aldi-Kassiererin oder die noch sprichwörtlichere polnische Putzfrau mit ihren nicht minder sprichwörtlichen Pisa-Problem-Kindern an Theorie-Debatten wie dieser teil hat?

Während zahlreiche junge Frauen sich in einer immer noch männlich dominierten Praxis längst tapfer durchwurschteln, drehen sich die einschlägigen feministischen Argumentationen im Kreis. Ein halbes Jahrzehnt ist es her, da erschien "Generation Ally", ein rosafarbenes Buch voller Sarkasmen, darunter folgender Scherz: Sitzen zwei Frauen in einem Café und unterhalten sich - sagt die eine zur anderen: "Feminismus müsste wieder sexy sein."

Fünf Sommer und eine Kanzlerin später ist der Spruch wieder da. Erst hat Thea Dorn für ihre "F-Klasse" damit geworben, nun liegt Mirja Stöckers Buch "Das F-Wort ist sexy" vor. Was sich ebenfalls wiederholt, ist der Tadel aus dem so genannten alten Lager. Die "F-Klasse" trage nichts zur Kooperation im Feminismus bei, sagte die Vorrednerin. Das F-Mädchen oder das Alpha-Mädchen ist in etwa dieselbe, die damals in "Generation Ally" erstmals in die Öffentlichkeit trat. Und die Tatsache, dass sie unter Umständen nicht per Quote da hingekommen ist, wo sie nun ist, ruft unerklärlicherweise Unbehagen bei manchen hervor.

Wo allenthalben die solidarischen Systeme verwässern, da erodiert unweigerlich auch das Engagement für den Feminismus. So wie die Kirchen, Gewerkschaften und Parteien ihre Anhänger verlieren, so laufen auch den feministischen Gremien die Mitglieder davon.

Die jungen Frauen, die heute in Scharen den Osten Deutschlands verlassen, um anderswo ihr Glück zu finden, und sei es nur eine Lehrstelle, tun das ganz ohne Quote. Sie tun es aus eigenem Antrieb, während die Jungs eher dazu neigen, die Krise auszusitzen. Das ist aber noch lange keine prinzipielle Entscheidung gegen die Quote. Es ist eher Pragmatismus und eine ungestüme Handlungslust wider alle Widrigkeiten. Warum muss man dies als Egozentrik abkanzeln? Wo und wie sollen sich die eifrigen Mandys und Nancys denn vertrauensvoll engagieren oder organisieren, wenn andere Frauen sie im Namen des Feminismus umgehend zurechtweisen?

Jeder, wirklich jeder Aufsatz und jede Rede zum Thema mündet im Appell zu mehr Solidarität - eine Forderung, zu der man, in all ihrer Vagheit, nicht Nein sagen kann. Dennoch müssen wir es aushalten können, dass Frauen verschieden sind. "Solidarität" steht sowohl beim Lady's Lunch der Berliner Botschaftergattinnen auf der Agenda, als auch bei den Organisatorinnen des autonomen Lady Fests. Während die Lady-Luncherinnen ein Interesse am Erhalt des Ehegattensplittings haben dürften, sind die Lady-Fest'lerinnen wohl eher für das bedingungslose Grundeinkommen. Frauen sind auch Staatsbürgerinnen und Klassenangehörige und stehen als solche naturgemäß manchmal auf unterschiedlichen Seiten. Ist es nicht hochgradig utopisch, die ad hoc-Versöhnung von Bürgersgattin und Bolschewikin einzufordern? Müssen wir diese Revolution auch gleich noch hinbekommen, auf einen Schlag?

Akzeptieren wir, dass Frauen komplette Menschen sind, nicht immer nur Opfer. Legen wir an uns selbst doch nicht andere Maßstäbe an als an Männer. Nehmen wir uns doch endlich die Freiheit, gelegentlich auch etwas eigensinnig, kühl und vielleicht sogar unsympathisch zu wirken. Wenn wir es uns selbst nicht gestatten - wer dann?

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5 Kommentare

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  • C
    Christoph

    Hallo A.Z.

    Sie erwarten doch nicht ernsthaft, dass jemand auf der Suche nach kurzweiliger Unterhaltung in Internetforen Ihre gefühlten 20 Seiten wirklich ließt?

  • AZ
    A. Z.

    Es soll ja Leute (ge-)geben (haben), die Eliten für unvermeidbar halten (hielten) und die behaupten, es müsse auch in demokratisch verfassten Systemen notwendig zur Elitebildung kommen. Schreibt jedenfalls Wikipedia. Ohne allerdings zu verbreiten, dass der Begriff selbst bereits ebenso unmissverständlich klar wäre, wie beispielsweise der ebenfalls schon länger im Gebrauch befindliche Begriff Kühlschrank.

     

    Ich denke, das Wort Elite ist eines von unzähligen wehrlosen Opfer. Es stellt, genauer besehen, eine der begehrtesten Trophäen der jeweiligen Hegemonialmacht dar. Wer nämlich die Deutungshoheit über den Begriff Elite hat, der darf sich selbst hinzurechnen ? und tut das in den allermeisten Fällen auch. Vorzugsweise zum eigenen materiellen Vorteil.

     

    Ob es sich bei den gemeinen Vorherrschafts-Strebern um Männer oder um Frauen handelt, ist dabei zunächst vollkommen unerheblich. Wichtig ist zunächst nur, dass diese Menschen sich selbst und andere von der These überzeugen können, es müssen zwingend ein Oben und ein Unten geben in jeder Gesellschaft. Wobei das Oben durch den Besitz einer größeren Menge Bargeldes oder anderer Güter gekennzeichnet ist und das Unten kein einheitliches Unten darstellt, sondern eines, das sich in eine potentielle oder Reserve-Elite und eine Restmasse aufspaltet.

     

    Mitunter wird in Würdigung geschichtlicher Ereignisse eingeräumt, oben und unten, genauer gesagt: Elite und Reserve-Elite könnten unter ganz bestimmten Bedingungen in einem sogenannten Elite-Kreislauf partiell oder komplett ausgetauscht werden. (Bezeichnenderweise findet dieser Austausch kaum je ohne das Zutun der zuvor von der Reserve-Elite mobilisierten Masse statt, die erklärtermaßen das genaue Gegenteil von Elite ist.) Fast immer wird darüber hinaus behauptet, das Prädikat Elite trüge man, quasi als biologisch-soziales Erbe, von Geburt an, wenn auch teilweise mit dem Zusatz ?künftig? versehen. Und wie jede angeborene Qualität bedarf auch die des Merkmals ?Elite? nach Ansicht ihrer Besitzer keiner besonderen Erklärung, sondern allenfalls einer erkennbaren Äußerung, des Habitus nämlich. Vermutlich mit Hilfe ihrer (äußeren) Erscheinung wurde die Zahl der deutschen Elite-Angehörigen von der Wissenschaft denn auch auf 4.000 bzw. das Zweihundertfachn dieses Wertes geschätzt.

     

    Und da wären wir dann auch schon bei einem erstaunlich weit verbreiteten Missverständnis. Fast immer wird die Quali- bzw. Quantität ?Elite? (was immer sie sein mag) mit einem zur Schau gestellten Habitus verwechselt. Wie andere Gruppen auch sind nämlich die Eliten auf Erkennbarkeit, Abgrenzung, Identitätsstiftung, Zusammengehörigkeit und Selbsterklärung angewiesen ? sagt das Lexikon. Elite ist also, was bzw. wer (überzeugend) elitär tut. Das Internet hat mich in diesem Zusammenhang auf eine ?viel beachtete? Studie aus dem noch nicht all zu lange zurückliegenden Jahr 2002 aufmerksam gemacht, die mir glatt entgangen wäre, gäbe es dieses wunderbare Gemeinschaftswerk nicht. Zur Elite im engeren Sinne gehören dieser Studie zufolge in Deutschland die Eigentümer und Topmanager der 400 größten deutschen Unternehmen, sämtliche Spitzenpolitiker sowie die Richter an den Bundesgerichten. Zur Elite im weiteren Sinn zählt die Studie Inhaber und Leiter von mittelständischen Firmen (ab 10 Mio. ? Mindestumsatz / 150 Beschäftigte), Juristen ab Landesgerichtsvizepräsidenten / Richter ab Oberlandesgericht, Bundestagsabgeordnete / Oberbürgermeister wichtiger Großstädte sowie Professoren. Taz-LeserInnen hingegen erwähnt Wikipedia weder im Zusammenhang mit der engeren noch mit Blick auf die weitere Elite.

     

    Ab und an frage ich mich, was Menschen aller Berufe (z.B. Zeit-Journalisten) dazu bringt, von sich selbst oder anderen zu behaupten, sie hätten einen Auf- oder einen Abstieg hinter bzw. vor sich. Wieso ist beispielsweise immer wieder die Rede vom Nach-oben- und vom Nach-unten-Heiraten, wenn von Zahnärzten und ihren Helferinnen oder von Aldi-Kassiererinnen und Werkzeugmachern die Rede ist? Hat denn ein Zahnarzt tatsächlich mehr Macht als ein Werkzeugmacher? Ist es nicht eher ein mehr an Macht-Bewusstsein, das er glaubhaft zur Schau trägt? Eines zumal, das sehr viel mehr auf seinem (behaupteten oder tatsächlichen) Jahreseinkommen basiert, als auf seinem Einfluss, seiner Bildung oder seiner Auffassungsgabe - von den sozials Kompetenzen ganz zu schweigen?

     

    In der DDR konnte man sehr schön beobachten was geschieht, wenn das Geld als Maßstab für die gesellschaftliche Stellung in Widerspruch zur politisch-institutionellen Macht gerät. Der Handwerker hatte seinerzeit zwar in aller Regel keinerlei politische Macht, hat sich dafür allerdings die Freiheit eines (auf der Verfügungsgewalt über ein per Schwarzarbeit erworbenes mehr oder weniger umfängliches Devisen-Reservoir basierendes) geradezu überragendes Elitebewusstseins geleistet. Und zwar vollkommen unabhängig von seinem IQ und seinem Schulabschluss. Was man ihm gerade im Nachhinein natürlich unbedingt gönnen können sollte, auch wenn es ihn seinerzeit nicht unbedingt sympathisch wirken ließ. Unterschiede, nicht wahr, soll man aushalten können. Wahrscheinlich ist ja gerade die Fähigkeit hierzu eine entscheidende Voraussetzung dafür, eines schönen Tages Elite sein zu dürfen. Und wenn nicht gestern, dann doch wenigstens morgen. Oder umgekehrt.

     

    Versöhnungen sind wohl doch eher etwas für die Zeit nach dem Jüngsten Gericht. Den Vorsitz dabei, heißt es übrigens, hat ein Elite-Mann. Und zwar der Oberste von allen.

  • CM
    Christian Münster

    Das Frauen anders ticken als Männer, sollte inzwischen allen klar sein.

    "Stutenbissigkeit" ist ein anderes Kapitel als Männerfeindschaften. Nur die lieben Männer sind dummerweise immer überrascht von einem "Mädchen" ausgetrickst worden zu sind. Ich meine jetzt nicht die Besetzungscouch, sondern wirklich arbeitsbezogene Themen, Frauen erahnen intuitiv das Richtige, weil sie fühlen und Männer nur rationalisieren.

    Mag es unserer Gesellschaft zum Guten gelangen!

  • CJ
    C. Jarzebowski

    Solidarität ist der wichtigste Grundwert in einer demokratischen Gesellschaft. Ihn endgültig aufzugeben, wäre die finale Bankrotterklärung. Das kann niemand wollen. Frauen nicht, Männer nicht, Kinder nicht. Statt sich weiter zu vereinzeln, ist es vielmehr an der Zeit, sich auf Grundwerte zu einigen, Flagge zu zeigen für die Gesellschaft, die wir wollen. Dann lässt sich über Werte diskutieren, dann lassen sich Änderungen durchsetzen, ohne umgehend den Neidfaktor anzuheizen. Das "Ich will mehr, weil mein Nachbar auch mehr hat" - muss aufhören. Diejenigen, die die gesellschaftlichen Grundfragen als Geschlechterfragen lächerlich machen, wie es Katja Kullmann in ihrem Beitrag tut, denken in die Richtung, die schließlich dahin führt, wo ich gerade bin und beobachten kann, was die grundsätzliche Entsolidarisierung einer Gesellschaft bedeutet. Hier, USA, erklären mir die Obdachlosen, sie seien ja selber schuld an ihrer Situation. Das ist erschreckend. Das gehört dikutiert und nicht irgendwelche F-, A-, B- oder C-Fragen. Tolle Erkenntnis übrigens, dass jede Frau anders ist. Jeder Mensch auch und deswegen müssen wir gemeinsam denken und handeln.

  • C
    Christoph

    Hallo,

    hatte den Text eigendlich nur angeklickt, um den Link zum vorhergehenden zum Thema Feminismus zu finden und einen Kommentar von mir zu ergänzen - aber das eben gelesene ist eigendlich das, was ich ergänzen wollte, nur verständlicher als ich´s gekonnt hätte, und gelesen hätte es wahrscheinlich eh keiner mehr

    - Danke

     

    p.s. Kommentar in der taz macht aufgrund der unglaublich langen Freischaltezeiten nicht wirklich Spaß