Debatte: Bushs jüngste Bekehrung
George Bush ist haushaltspolitisch plötzlich konservativ geworden. Sein Sparwille trifft Kinder und illegale Immigranten. Sind da Hintergedanken im Spiel?
G eorge W. Bush hat gerade eine neue "Bekehrung" erfahren. Da ich weder evangelikale Christin noch Republikanern bin, müssen Sie mir das nicht glauben. Aber der New York Times, dieser namhaften Zeitung, können Sie durchaus Glauben schenken: Sie hat das Ereignis jedenfalls als Bekehrung bezeichnet.
Das erste Mal, als George vor etlichen Jahren eine Erleuchtung hatte, wandelte er sich von einem Alkohol missbrauchenden, Kokain schnupfenden und herumhurenden Schurken in einen gottesfürchtigen Mann, der seine Herde auf den Pfad Gottes führte und in zwei Kriege, in denen über 100 000 Iraker getötet wurden, drei- bis viertausend Amerikaner und eine unbekannte Zahl von Afghanen, und erschuf bei dieser Gelegenheit die weltweit größte Brutstätte des Terrorismus.
Bei seiner zweiten Bekehrung wandelte George sich von einem Texas-Konservativen in einen "mitfühlenden Konservativen", so seine Wahlkampfparole im Jahr 2000. Auf Grund seines Mitgefühls senkte er die Steuern gleich zweimal, wobei dem ersten Prozent der reichsten Amerikaner 32 Prozent der Steuerersparnisse zugute kamen und die obersten 10 Prozent der reichsten Amerikaner 53 Prozent einsparen durften. Vielleicht war das mit dem Alkohol doch keine so schlechte Idee gewesen. Hatte nicht Jesus, der alles vorhersah, Wasser in Wein verwandelt? Jetzt wissen wir endlich, warum.
Bei seiner letzten Bekehrung wurde der Mann, der den unter Clinton angesparten Haushaltsüberschuss aufgebraucht hat und der das Haushaltsdefizit im Jahr 2004 auf 413 Milliarden US-Dollar hochtrieb, zu einem wiedergeborenen haushaltspolitischen Konservativen. Sein Credo lautet jetzt: Ausgabenkürzungen, den HERRN preisen. Wenn George das Gebot "Du sollst nicht ehebrechen" bei seiner ersten Bekehrung ernst genommen hat, schätze ich mal, dass er jetzt das Gebot "Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren" ernst nimmt. Der Abgeordnete Jeff Flake, ein Republikaner aus Arizona, hat es "Offenbarung" genannt. Amen.
Ich bin eine ethische Konservative, deshalb finde ich es im Allgemeinen richtig, wenn biblische Gebote gegen Habgier und Selbstsucht ernst genommen werden. Meine einzige Frage ist: Wer ist dieser "Du", von dem George spricht, wenn er sagt: "Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren"? Wer genau soll nicht das begehren, was sein Nachbar hat? Bei einem Blick auf Georges Pläne zur Haushaltskürzung scheint dieses "Du" uns hier auf den Straßen zu meinen, während George selbst dabei auffällig fehlt. Vielleicht rede ich aber auch falsch Zeugnis wider meinen Präsidenten. Ich werde also meinen Fall vortragen, als stünde ich vor König Salomo: Ihr (und Gott) möget die Richter sein.
Das Erste, das wir in Amerika unter Georges neuem haushaltspolitischem Konservatismus nicht begehren sollen, ist Gesundheit. George hat gedroht, gegen 10 der 11 Haushaltsgesetze zur Erhöhung der Mittel für Sozialleistungen sein Veto einzulegen, vor allem aber gegen das Gesetz zur Ausweitung der Gesundheitsfürsorge für Kinder. Nach meiner Bibelauslegung ist es keine Sünde, wenn Kinder Gesundheit "begehren", aber vielleicht habe ich die Schrift falsch verstanden. George hat auch Bundesmittel gestrichen, mit denen der Staat Chemotherapien für arme illegale Immigranten finanziert. Bis vor kurzem wurde die Chemotherapie als lebensnotwendige medizinische Leistung vom Staat bezahlt. Georges Regierung hat in den Jahren 2001 bis 2006 60 Millionen US-Dollar für diese Art von Leistungen gestrichen, davon 11,1 Millionen allein für Chemotherapien im Staat New York. Ich habe bei Leviticus gesucht und kann keinerlei Sünde darin erkennen, die Behandlung von Krebs zu "begehren", aber vielleicht ist mein Verständnis von Gottes Gesetzen ja zu schwach ausgebildet.
Weil George möglicherweise erkannt hat, dass die USA ohne die Arbeit illegaler Einwanderer zusammenbrechen würden, schlug er im Jahr 2006 vor, dass illegale Immigranten das Recht haben sollten, zu arbeiten. In Verbindung mit den neuen Einschnitten bei der medizinischen Versorgung klingt das, als wolle er Immigranten arbeiten lassen, bis sie krank werden, sich zusammenrollen und ohne medizinische Behandlung sterben. Vielleicht jedoch ist mein Verständnis von Georges Gesetz ebenfalls zu schwach ausgeprägt.
George hat außerdem Bundesmittel gestrichen, die die Bundesstaaten für die Gesundheitsfürsorge bei Kindern von illegalen Einwanderern einsetzen. George, der Gottes Liebe für jedes menschliche Leben folgt, ist zugleich ein hartnäckiger Abtreibungsgegner. Ich habe nie verstanden, dass "Leben" nur das Leben der Ungeborenen meint, bis ich Georges Gesetz las.
Ist es kleinlich von mir, wenn ich feststelle, dass George keinen ethischen Ruf vernahm, die Ausgaben zu senken, als die Republikaner über die Mehrheit im Kongress verfügten? Rede ich falsch Zeugnis wider George? Vor den Wahlerfolgen der Demokraten im Jahr 2006 legte Bush niemals sein Veto gegen ein Ausgabengesetz ein. Nicht ein einziges Mal. Der Haushaltsetat wuchs jährlich um 7 Prozent - im Vergleich zu 3,5 Prozent unter Clinton. Und er wuchs nicht nur, um die Kriege in Afghanistan und im Irak finanzieren zu können - egal wie viel Geld Halliburton, Bechtel und die Carlyle Group an diesen Kriegen verdient haben. Die Mittelzuteilung für nichtmilitärische Ausgaben - also der Anteil des Etats, über den der Präsident verfügen kann - stieg unter Bush weit mehr als unter Clinton. Tatsächlich mehr als unter allen Präsidenten seit Carter. Und es scheint, dass dieser Anteil durch "Kunstgriffe" wie Extrazuteilungen für Haushaltsnotlagen und durch Ausnutzung von "Schlupflöchern" gestiegen ist, so sieht es jedenfalls die konservative Heritage Foundation.
Ist es kleinlich, wenn ich denke, dass Bush bei seiner haushaltspolitischen Bekehrung Hintergedanken hegt? Seine Umfragewerte sind auf den Stand von Lyndon Johnson während des Vietnamdebakels gesunken, aber das Defizit wird in diesem Jahr dank der sich erholenden Wirtschaft auf gerade einmal 170 Milliarden US-Dollar geschätzt. Ist es unfair von mir, wenn ich mich frage, ob George die Amerikaner glauben machen will, dass das sinkende Defizit auf ihn zurückzuführen ist? Und dass er die Kürzung bei Gesundheitsprogrammen und Fürsorge für Kinder den Demokraten im Kongress in die Schuhe schieben will? Rede ich falsch Zeugnis, wenn ich an Rahm Emanuel erinnere, den demokratischen Abgeordneten aus Illinois, der über Bushs haushaltspolitische Bekehrung sagte: "Wenn er an Haushaltsdisziplin interessiert wäre, hätte er vor 3 Billionen US-Dollar damit anfangen sollen." Ihr (und Gott) möget die Richter sein.
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Rosemarie Nünning
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