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Kommentar von Martin Riexinger

Die Krise in der Türkei kann nur verstehen, wer den türkischen Linksnationalismus kennt. Dessen Allianz mit Faschisten und Militärs steht hinter der Ergenekon-Verschwörung.

"Türkischer Junge, türkisches Mädchen, bewahrt euer Türkentum!" Die Zeitschrift, auf deren Webseite sich diese markigen Worte finden, ist kein rechtsradikales Kampfblatt, sondern nennt sich Türkische Linke. Ihre Autoren wettern gegen den Ausverkauf der Türkei an die EU und die USA. Sie hetzen gegen nationale und religiöse Minderheiten und denunzieren ihre Kritiker als "vaterlandslose Gesellen". Als Vorbilder verehren sie Atatürk, Che Guevara und Deniz Gezmis, einen linksradikalen Studenten, der 1973 wegen der Entführung von US-Soldaten hingerichtet wurde. Al-Qaida und Saddam Hussein preisen sie als Vorkämpfer der Dritten Welt. Vehement fordern sie den Sturz der Regierung Erdogan durch das Militär.

Die Macher dieses Blattes sind die radikalsten Vertreter einer politischen Strömung, die man kennen sollte, will man verstehen, was derzeit in der Türkei vor sich geht. Gemeint ist der türkische Linksnationalismus - ein Gemisch aus Staatsgläubigkeit, geopolitischen Sandkastenspielen, marxistisch gefärbter Rhetorik, aber auch offenem Rassismus gegen Kurden, Griechen, Armenier und Juden. Von diesem Ideologiemischmasch fühlt sich zwar nur ein kleiner Teil der türkischen Bevölkerung angesprochen. Aber dieser Teil gehört zur Elite. Bei Wahlen in Universitätsgremien und Anwaltskammern ist mit ihnen zu rechnen. Ihre Webseiten und Publikationen stammen oft aus Ferienorten an der Mittelmeerküste, die zwar nicht als Medienstandorte bekannt sind, wo sich aber viele pensionierte Offiziere und Ministerialbeamte niedergelassen haben. Prominenter Autor der Türkischen Linken ist etwa Yekta Güngör Özden, ein ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichts.

Auch an dem "Ergenekon"-Netzwerk, das jüngst aufgedeckt wurde, waren führende Linksnationalisten beteiligt. Zu den Chefideologen jener Verschwörer, die gegen Ministerpräsident Erdogan putschen wollten, zählt Dogu Perincek. Der Führer der türkischen "Arbeiterpartei", einer linksnationalistischen Politsekte, war einst ein führender Kopf der türkischen Achtundsechziger; in den Siebzigerjahren leitete er den legalen Zweig der türkischen Maoisten.

Im Unterschied zu den Achtundsechzigern im Westen betrachteten die in der Türkei nicht das Establishment als ihren Hauptgegner - sondern vielmehr die hemdsärmeligen Politiker der rechten Mitte, die auch von der Elite verachtet wurden. Über den Linkskemalismus der Zeitschrift Yön (Die Richtung) hatten diese studentischen Aktivisten zum Marxismus gefunden. Im Einklang mit dem elitären Selbstverständnis vieler Kemalisten beklagte Yön, dass die Türkei nach dem Militärputsch, der 1960 den konservativen Ministerpräsidenten Menderes zu Fall brachte, zum Mehrparteiensystem zurückgekehrt war. Denn nur die Elite sei ihrer Meinung nach geeignet, eine Gesellschaft der Dritten Welt zu führen, da die "ungebildeten Massen" sonst den "Lockrufen religiöser Verführer im Solde des Imperialismus" zu verfallen drohten. Als Todsünde der türkischen Nachkriegspolitik galt ihnen der Beitritt zur Nato. Eine konsequente Umsetzung kemalistischer Ideale - Säkularismus, Dritte-Welt-Nationalismus und zentrale Lenkung der Wirtschaft - erkannten sie vor allem im autoritären arabischen Nationalismus.

Weil sich diese Vorstellungen bei den heutigen Linksnationalisten wiederfinden, werden sie von ihren Gegnern gerne als "türkische Baathisten" verspottet - eine Anspielung auf die syrische und irakische Baath-Partei. Tatsächlich gab es in der Vergangenheit mehrfach Verschwörungen von Offizieren und Intellektuellen, die das parlamentarische System der Türkei durch eine Einparteiendiktatur ersetzen wollten. Nachdem der letzte dieser Umsturzversuche im März 1971 aufflog, verloren Linke in der Armee auf Jahrzehnte hinaus an Bedeutung. Linksnationalisten wie Dogu Perincek haben mit dem Militär daher eigentlich keine guten Erfahrungen gemacht: Nach dem Putsch 1980 wurde er, wie viele andere linke Aktivisten auch, verhaftet und verurteilt.

Seine Liebe zur Armee entdeckte Perincek erst Mitte der Neunzigerjahre, als diese ihm nun als die einzige Kraft erschien, die der islamistischen Wohlfahrtspartei Einhalt gebieten könnte. Auch das Militär hatte sich mittlerweile verändert. Hatten die Generäle nach dem Putsch von 1980 unter dem Schlagwort der "türkisch-islamischen Synthese" noch selbst religiöse Kräfte gefördert, so schlossen viele aus dem Aufstieg der Wohlfahrtspartei sowie des vorgeblich apolitischen Predigers Fethullah Gülen, dass dadurch eine Entwicklung mit unkontrollierbarer Eigendynamik in Gang gesetzt worden war.

Auch außenpolitisch kam es zur Neuorientierung. Die amerikanische Unterstützung der Kurden im Nordirak befremdete die Generäle und verstärkte neutralistische Positionen im Militär. Noch mehr Widerwillen erregten die Bestrebungen türkischer Politiker für einen EU-Beitritt der Türkei, da dies die Rolle des Militärs schwächen und dem Sicherheitsapparat Zügel anlegen würde. In ihrer Klage über den Verlust nationaler Souveränität fanden sich diese Militärs nun plötzlich auf einer Wellenlänge mit linken Antiimperialisten wieder.

Aber nicht allein an das Militär näherten sich die Linksnationalisten an - ideologisch und organisatorisch tasteten sie sich auch an die rechtsextreme Nationale Aktionspartei (MHP) heran, die sich zudem von ihrem religiösen Flügel getrennt hatte. Der Rechtsanwalt Kemal Kerincsiz, bekannt geworden durch seine Strafanzeigen gegen Orhan Pamuk, kommt "von rechts" - im Ergenekon-Netzwerk führte er Nationalisten unterschiedlicher Schattierung zusammen. Angeregt durch die rechten Ideologen, träumt auch die Türkische Linke von einem Großstaat Turan, der vom Balkan bis Korea reicht, während Dogu Perincek mit "Eurasien"-Fans und Putin-Unterstützern wie Alexander Dugin zusammenarbeitet und den Schulterschluss von Slawen und Turkvölkern propagiert.

Lieblingsfeinde der Linksnationalisten sind - neben der Regierung Erdogan - auffällig viele ehemalige Weggefährten aus Achtundsechziger-Zeiten. Denn ein Teil der ehemaligen Linksaktivisten ging den entgegengesetzten Weg, brach mit antiimperialistisch verbrämtem Nationalismus wie mit staatsfixierten Denken. Eng vernetzt mit europäischen Organisationen, setzen sie lieber auf die Stärkung der Zivilgesellschaft und treten dafür ein, die Vielfalt der Gesellschaft zu akzeptieren.

Dass in der Anklageschrift gegen die Ergenekon-Verschwörer nun vor allem nationalistische Publizisten und Akademiker ins Visier genommen, die Verdächtigen aus den Reihen des Militärs dagegen geschont werden, spricht für einen Deal zwischen Regierung und Armee. Glaubt man Gerüchten, dürfte auch das aktuelle Verbotsverfahren gegen die AKP nur mit einer Verwarnung enden. Für die Linksnationalisten ist das keine gute Nachricht. Für die liberalen Kräfte in der Türkei aber möglicherweise auch nicht.

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3 Kommentare

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  • K
    Kazim

    Ein sehr gelungener Artikel von Herrn Riexinger. Die groteske Organisation linksnationalistischer Fanatiker wird mit Zusammenhängen gut dargestellt. Wichtige Personen und Ereignisse genannt.... Verstehe den Kommentar des Lesers bezüglich der Linken Bewegung in der Türkei nicht wirklich. Erstens bezieht sich der Artikel nicht auf die Linke allgemein, sondern um die Linksnationalistische Strömung. Und auch wenn man die Linksnationalisten mit den "normalen" Linken vergleicht, sind die ideologischen Parallelen unverkennbar. Was haben die Linken bis heute für die Türkei getan?! Wem haben sie geholfen? Welchen Missstand behoben? Wo haben sie sich engagiert?! ... Außer stumpfen Parolen und elitistischer Romantik, kam nicht viel. Klassische Politikfelder wie die Reformation von Sozialsystemen oder Bildungssystemen, haben bisher nur die Konservativen aufgegriffen. Insbesondere die AKP.... Abschaffung von Studiengebühren, Finanzielle Hilfe für alle Studenten, Neubau von Universitäten und Schulen.... gesetzliche Krankenversicherung, Krankenhäuser, etc. Die Liste ist unendlich lang. Die Linke in der Türkei kann man nicht wirklich ernst nehmen. Und schon gar nicht kann man sie mit der Linken in Deutschland vergleichen, wo ich mich persönlich hingezogen fühle´.

  • C
    Cemoly

    Einfach nur traurig, was die taz.de hier als Journalismus bezeichnet! Wenn der Verfasser dieses Artikels sich mal wirklich mit der Situation Türkeis beschäftigt hätte, dann würde er sich für jedes einzelnde Wort hier zu Grund und Boden schämen!

     

    Mein Vorredner (Kommentator) hat alles gesagt...

     

    Liebe Grüße

  • M
    mumcudinkipekcikislali

    Um das mal klarzustellen. Es gibt auch eine wirkliche Linke in der Türkei. Diese wehrt sich vehement dagegen, dass diese Linksnationalisten, wie es im Artikel beschrieben wurde, als Links bezeichnet werden. Denn diejenigen, um die es im Artikel geht sind nichts anderes als die herkömmlichen sogenannten Sozialdemokraten(CHP), die in ihrer politischen Ausrichtung vielmehr nationalistisch als links geprägt ist. Parteien wie beispielsweie die ÖDP, oder andere wirklich linke Gruppierungen haben ebenfalls die AKP und Erdogan als Feindbild. Aber nicht nur diese, sondern eben auch die Linksnationalisten (auf türkisch ulusalci), weil sie die linksnationalistische Bewegung als Gefahr betrachten. Durch sie könne in der Türkei eine Art Nationalsozialismus entstehen. Diese "echte Linke" spricht sich auch vehement gegen einen Militärputsch in der Türkei aus, wohlwissend, dass die islamistische Bewegung und der Aufstieg Erbakans damals und Erdogans heute nicht möglich gewesen wäre ohne den Putsch vom 12. September 1980. Leider bekommt diese wirklich demokratische türkisch - kurdische Bewegung keinerlei Unterstützung aus dem Ausland. Dies dürfte primär damit zusammenhängen, dass diese Bewegung das System in Frage stellt. Denn nicht die Verfassung oder eine Partei oder eine Sekte oder eine Person sei das Problem, sondern vielmehr das System. Das eigentliche Feindbild ist der Kapitalismus. Man setzt sich für einen modernen Sozialismus ein, der sich von dem der Sowjets und der chinesen unterscheidet, da diese beiden Mächte den Sozialismus lediglich als Etikett benutzen bzw. benutzt hätten.

     

    Stattdessen wird Erdogan ganz besonders auch in deutschen Medien als der große Reformer dargestellt. Problematiken wie die Gleichschaltung der Justiz werden gar nicht erörtert. Darüber hinuas wird auch nicht danach gefragt, warum die 10% Hürde bei den Parlamentswahlen nicht abgeschafft bzw. gedrosselt wurde oder kurdisch immer noch nicht als zweite offizielle Amtssprache anerkannt wird. Man sollte hier in Deutschland nicht so tun, als sei Erdogan ein lupenreiner Demokrat, denn das ist er nicht und man sollte auch nicht so Scheinheilig sein und ihn unterstützen weil man meint, die anderen seien Putchisten. Man unterstützt Erdogan in erster Linie weil er die staatlichen Unternehmen privatisiert und auch sonst alles macht, was man ihm sagt.

     

    Gruß an alle Leser