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Debatte Stuttgart 21Die Stuttgarter Gegenvernunft

Kommentar von Christian Semler

Heiner Geißlers Schiedsspruch zu Stuttgart 21 ist bitter. Doch wenn sich Zorn mit Wissen paart, blamieren sich gemeinhin die Interessen der Mächtigen.

Zum Glück sind Bauwerke geduldig. Bild: dpa

D ie Niederlage, die die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 durch den Schiedsspruch Heiner Geißlers erlitten hat, ist bitter. Sie kann aber nicht vergessen machen, welchen Einschnitt im politischen Leben der Bundesrepublik der Kampf für die Erhaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs bedeutet. Erst recht kann sie nicht die demokratische Perspektive verdunkeln, die sich mit diesem Kampf eröffnet.

Wie die Atomkritiker damals

Was am Stuttgarter Bürgerprotest hervorsticht, ist seine geradezu penetrante Vernünftigkeit. Vernünftig und von den Abrissexperten nicht zu widerlegen waren die technischen, ökologischen und ästhetischen Argumente zugunsten des bestehenden Bahnhofs. Vernünftig aber war vor allem die Verve und Genauigkeit, mittels derer die Kritiker des Neubaus die von den Befürwortern vorgelegten Schätzungen der Kosten auseinandernahmen. Sie mit Gegenrechnungen konfrontierten, die das Zahlenwerk der Bahn dem schlimmsten Vorwurf preisgaben, den man in Stuttgart und Umgebung erheben kann: mangelnde finanzielle Seriosität.

Der in Stuttgart im Lager der Bahnhofserhalter versammelte Sachverstand bestreitet den Anspruch der herrschenden Machtelite, ihre Entscheidungen auf eine überlegene Rationalität zu gründen und sich stets vom gemeinen Wohl leiten zu lassen. Für die Zukunft zu arbeiten, heißt nach diesem Anspruch, Deutschlands Position auf den internationalen Märkten durch technologische Großprojekte zu fördern. Erfindungsgeist und schöpferische Energie entzünden sich, so heißt es, erst im Verfolg solche Projekte.

Wer ein anderes Entwicklungsmodell vorschlägt, das sich von ökologischen und sozialen Rücksichten leiten lässt, gilt bestenfalls als rückwärtsgewandter Romantiker, schlimmstenfalls als Saboteur des technischen Fortschritts. All diese Argumente, die seit Monaten die Seiten der bürgerlichen Presse bevölkern, wurden durch die Stuttgarter Gegenvernunft zunichte gemacht - wie schon eine Generation vorher die Argumente der Atomlobby. Auch damals ging die Definitionsmacht der AKW-Befürworter, was technischer Fortschritt sei und was nicht, zu Bruch.

Der Stuttgarter Massenprotest erhielt seine Schubkraft nicht allein durch die Kraft der besseren Argumente. Sondern in Stuttgart, in Gorleben und vielen anderen Orten lodert der Zorn. Es ist nicht die Zukunftsangst, wie uns die Fetischisten der Großprojekte weismachen wollen. Sondern die Bürger fühlen sich von allen wesentlichen politischen und ökonomischen Entscheidungen ferngehalten. "Bürgerausschaltung" nennt das Peter Sloterdijk mit einem glücklichen Ausdruck. Beispiele?

Eine Verfassung für das geeinte Deutschland wurde abgeblockt, damit aber auch das im Grundgesetz für den Fall der Einheit vorgesehene Verfassungsreferendum. Die Agenda 2010 war 2002 überhaupt nicht Gegenstand irgendeines Wahlprogramms, geschweige denn einer öffentlichen Diskussion vor der Wahl. Über das Ziel und die in Aussicht genommene Dauer des militärischen Einsatzes in Afghanistan gibt die Regierung keine Auskunft. Grundlegende Entscheidungen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft unterliegen nicht dem Referendum, obwohl dies - in europäischem Rahmen - mittels einer Gesetzesänderung möglich wäre.

Der vorläufig letzte Akt der Selbstherrlichkeit war die faktische Bestimmung Gorlebens als Endlager für den Atommüll. Hier unternahm die Regierung nicht einmal mehr den Versuch einer rationalen Begründung. Was die gegenwärtige Regierung betreibt, ist Dialogverhinderung mittels Pseudodialogen. Wo Sachauseinandersetzungen angezeigt wären, sieht sie nur ein "Vermittlungsproblem".

Deshalb war es so wichtig, dass das Fernsehen, normalerweise das Medium des Pseudodialogs, genauer der Sender Phoenix, die Stuttgarter Auseinandersetzung live übertrug. Argument und Gegenargument verhakten sich, kritische Nachfragen verhinderten die Flucht in Gemeinplätze. Wie in einem Lehrstück wurde die Rationalität der Neubaugegner dramatisch nachvollziehbar.

Dialogverhinderung von oben

Wird diese Kombination aus Vernunft und Zorn irgendetwas zustande bringen, was die hohe Zeit des Protests überdauern, was die "Bürgereinschaltung" in die politische Kultur Deutschlands befördern wird?

Es gibt Stimmen, keineswegs nur aus dem Lager der Rechten, die Protestbewegungen wie denen von Stuttgart jede politische Bedeutung absprechen. Für diese Kritiker sind solche Protestbewegungen partikular, am eigenen Nutzen orientiert und ohne jeden Bezug auf das Gemeinwohl. Angehörige der Mittelschichten, so ihre These, sind nur so weit zum Protest willens, wie dieser in ihrem unmittelbaren Interesse liegt. Nach dieser Logik dürften die Grünen nicht für die Bürgerversicherung eintreten, immerhin verstößt sie gegen die materiellen Interessen ihrer Klientel. Tun sie aber doch - um das Gesundheitswesen im Ganzen in Ordnung zu bringen.

Marx sagte zu Recht, dass sich Ideen (wie die des Gemeinwohls) stets vor den Interessen blamieren. Aber der Anspruch protestierender Bürger, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen, erfolgt nicht im Rahmen einer abstrakten Idee vom engagierten Citoyen. Sondern sie entspricht der Einsicht, dass die Politikerkaste sich zunehmend unfähig zeigt, auf vernünftige Weise praktische Probleme zu lösen. Der Griff nach der Notbremse, von dem Georg Seeßlen in der taz schrieb, entspricht einem vernünftigen, interessengeleiteten Nutzenkalkül. Und er dient dem Gemeinwohl.

Aus dem Regierungslager tönt nun, die Mediation von Stuttgart könne das Vorbild abgeben für die Beratung künftiger Großprojekte. Dabei bleibt die Grundbedingung dieses Angebots, dass das Handeln des Staates stets alternativlos ist, unangetastet.

Trotz der Niederlage durch den Schiedsspruch ist hier noch nichts verloren. Wie schon zu Zeiten der AKW- und Friedensbewegungen eröffnet sich die Chance, den Protest zu verstetigen, sogar durch neue Organisationsformen abzusichern. Die Zeit ist der Gründung von autonomen Bürgerversammlungen günstig, ins Leben gerufen, um sich über wirkliche Alternativen zu den Projekten der Machtelite zu verständigen.

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23 Kommentare

 / 
  • T
    texter

    "Vielleicht lag das daran, dass das Vorhaben, einen Bahnhof um jeden Preis abzuschaffen,"

     

    Ein solches Vorhaben gibt es nicht. Warum äussern Sie sich nicht zum Thema?

     

    "Apropos: ist es da nicht auffällig, dass man, seit repräsentative Umfragen zum Thema ergeben haben, dass eine absolute Mehrheit der Bevölkerung den Bahnhofsneubau wünscht, von den Grünen keinen Mucks mehr zur bis dahin so lautstark geforderten Volksabstimmung hört?"

     

    Ist es nicht auffällig dass Sie plötzlich die Volksabstimmung erwähnen, nur weil sie der irrigen Ansicht sind, gerade eine Mehrheit hinter sich zu haben?

  • MA
    Madam A.

    "von DasGruen:

    Ich finde es schon sehr faszinierend wie sich die Leute einfach Ihre Wirklichkeit zurecht drehen. Die K21 Befürworter konnte nie darlegen wie sie den Zeitverlust von rund 20Min durch einen Kopfbahnhof (egal welchen) wieder aufholen wollen. Ich kann von mir, glaube ich durchaus behaupten ein Grüner zu sein und genau deswegen spricht alles für S21 da nur durch diesen eine wirkliche Konkurrenz zum Flugzeug auf wichtigen europäischen Strecken aufgebaut werden kann. "

    Antwort:

    Sie müssen sich unbedingt die Schlichtung ansehen, bis auf den Schlichterspruch war diese nämlich ganz gut um sich zu informieren. Die 20Min Fahrzeitverkürzung entstehen durch die Neubaustrecke und nicht durch die Art des Bahnhofes! Wer es eilig hat wird aber auch weiterhin das Flugzeug auf langen Strecken bevorzugen, die Bahn sollte eine echte Konkurrenz zum Auto sein, dafür brauchen wir ein gutes Streckennetz auch in der Fläche, Bahnhöfe die auch in den Spitzenzeiten nicht an ihre Leistungsgrenze stoßen, um Verspätungen zu vermeiden und die Infrastruktur muss für alle bezahlbar bleiben. Es wird Zeit zu erkennen das Fortschritt 2010 etwas anderes geworden ist, als es noch 1995 war, sonst werden wir bald überholt sein, obwohl der Bahnhof fortschrittlich aussieht .

  • B
    bahnfan25

    zu DasGruen, Zitat "Ich finde es schon sehr faszinierend wie sich die Leute einfach Ihre Wirklichkeit zurecht drehen. Die K21 Befürworter konnte nie darlegen wie sie den Zeitverlust von rund 20Min durch einen Kopfbahnhof (egal welchen) wieder aufholen wollen. Ich kann von mir, glaube ich durchaus behaupten ein Grüner zu sein und genau deswegen spricht alles für S21 da nur durch diesen eine wirkliche Konkurrenz zum Flugzeug auf wichtigen europäischen Strecken aufgebaut werden kann."

     

    Antwort: Hier könnte ein Blick auf die Fakten weiterhelfen, nämlich:

    1. Bei der NBS Stuttgart-Ulm soll für 2,9 Mrd. Euro eine Reisezeitverkürzung um 26 min erreicht werden (von 54 auf 28 min), d. h. mehr als Euro 100 000 000 (100 Millionen Euro) pro Minute! Wie im 'Spiegel' beschrieben und mit einer eindrucks- vollen Grafik (Quelle Deutsche Bahn) belegt, würde hier eine nebensächliche Rennstrecke gebaut! siehe: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-73791925.html

     

    2. Früher gab es eine um 15 min kürzere Reisezeit von 39 min für Stuttgart-Ulm, d. h. dann mit NBS faktisch Verkürzung von 39 auf 28 min, also 2,9 Mrd. für 11 min Zeitgewinn, entsprechend 264 Mill. Euro für jede Minute Fahrtzeitverkürzung! Warum kann diese früher mögliche Reisezeit nicht mehr erreicht werden? Ausweichende Antwort von Herrn Grube siehe: http://www.wiwo.de/unternehmen-maerkte/das-ist-propaganda-440898/

     

    Weshalb der ganze Unsinn? Streckenverbesserungen werden von der deutschen Bahn finanziert. Bei Neubaustrecken ist dies Sache des Bundes, eventuell kommen wie hier EU-Zuschüsse dazu. Und: Die Bahn verdient dabei, 17% der Gesamtkosten als Planungskosten, real bleibt man weit darunter. Das Projekt NBS Stuttgart-Ulm hätte keine Chance gehabt, wenn nicht das Land Baden-Württemberg in völlig unüblicher Weise ca. 900 Millionen

    Euro, zunächst als Vorfinanzierung gedacht, zugesagt hätte.

     

    Stuttgart 21 (mit Neubaustrecke) wird auch dem europäischen Flugverkehr nicht Konkurrenz machen, schon für Flüge Stuttgart-Wien ist die Bahn mit Kosten von ca. 120 Euro (70 mit BC50) und 6:44 (dann -28 min) Stdn. nicht mehr konkurrenzfähig!

    Stuttgart 21 ist genauso wie die NBS nach Ulm eine

    Verschwendung von Steuergeldern!!

  • DF
    Dr. Faust

    "Die Lösung: das Schweizer Modell der Volksentscheide, 1:1. Aber solange in Deutschland auch Volksentscheidbefürworter, wie die Grünen und die taz, plötzlich Volksentscheide kritisieren und dagegen sind, wenn ihnen das Ergebnis nicht paßt, fehlt es hier im Lande ganz entschieden am demokratischen Bewußtsein ala Schweiz."

     

    Interessante Sicht der Dinge - wenn ich mir die letzten beiden Volksentscheide in der Schweiz ansehe, Stichworte: Minarette und Abschiebung von kriminiellen Ausländern - bin ich ziemlich froh, dass wir dieses Instrument nicht haben. Dann wäre schrankenlösem Populismus Tür- und Tor geöffnet. Das hatten wir schon mal, nicht wahr? Muss so um 1933 gewesen sein. Die Väter des GG wußten schon, warum Plebiszite auf Bundesebene nicht vorgesehen sind.

  • PP
    Peter Pander

    ja sakra..., verstehe ich den Autor richtig, dass er ein Schienenprojekt mit den Friedensdemos und dem dem Bau von AKW`s der 1970-er und -80er Jahre vergleicht?

  • D
    DasGruen

    Ich finde es schon sehr faszinierend wie sich die Leute einfach Ihre Wirklichkeit zurecht drehen. Die K21 Befürworter konnte nie darlegen wie sie den Zeitverlust von rund 20Min durch einen Kopfbahnhof (egal welchen) wieder aufholen wollen. Ich kann von mir, glaube ich durchaus behaupten ein Grüner zu sein und genau deswegen spricht alles für S21 da nur durch diesen eine wirkliche Konkurrenz zum Flugzeug auf wichtigen europäischen Strecken aufgebaut werden kann.

  • H
    Honki

    Ein Baustopp war von Anfang an nicht zu erwarten!

     

    Dass die Bürger gehört wurden lag nicht an Ihrem Anliegen. Die "Politik" [die sich nach so einem Patzer wie den "Ausschreitungen zur Beseitigung der Demonstranten" am 30. September 2010 unter Zugzwang gesetzt fühlte und zur "schlichtung" gezwungen wurde] handelte nur den Umständen entsprechend.

     

    Diese "schlichtung" löste allgemein ein Wohlbefinden unter den Bürgern aus, was dann ja auch 6 Wochen lang die Wogen um S21 glättete, weil man spürte dass man "ernst" genommen wurde. Das Ergebniss zeigt nun aber wohl sehr deutlich dass dies eine Farce war, ein Trojanisches Pferd, was dem Bürger untergejubelt wurde.

     

    Dass Einzigste was die Schlichtungen wohl an positiven Seiten hat ist dass "Fakten" von der Bahn veröffentlich wurden die dieses Projekt als "grössen Wahn" mit Materiellen interressen darlegen und belegen. Ausserdem wurden die Fakten von den S21 Gegnern nicht ausgeräumt/wiederlegt, und die Bahn bestätigt damit diese.

     

    Dass nach einer so langen Planungszeit noch Verbesserungen durchgeführt werden müssen, und z.B. der Bahnhof erst noch "Behindertengerecht" geplant werden muss, zeigt wohl am besten was hinter solch einer Planung steckt.

     

    Dass Negativste was man der ganzen Schlichtung abgewinnen kann ist:

    -zukünftige Kosten die "eventuell" anfallen, können nun auf die Gegner abgewälzt werden, weil diese die Nachbesserungen verlangten!

    -Nun kann gegen Demonstranten "gewettert" werden weil man Ihnen in der Schlichtung einen Platz angeboten hat, der aber nun nicht mehr für Sie vorhanden ist, weil es ja "offiziel" in der Schlichtung wiederlegt wurde, und S21 berechtigt ist!

     

    Wer diesen Schachzug von der Politik von Anfang an nicht gesehen hat, ist wohl ein bißchen zu "blauäugig"

  • DK
    dr. karle

    Ihren Kommentar hier eingeben ...wäre interessant zu wissen, wieviele der S21-Gegner arbeitslose und Hartz 4-Empfänger sind. Vielleicht sind sie ja nur dagegen, weil bei der Durchführung des Projektes S21 im Großraum Stuttgart und darüber hinaus viele Arbeitskräfte gebraucht und durch die beteiligten Firmen gesucht werden. Man könnte sich ja dann gegen eine Stellenvermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit nicht mehr so leicht verwehren. Man müßte ja dann arbeiten gehen, wer will das schon, wenn einem der Staat ein angenehmes Leben ermöglicht ??!!

  • S
    Stuttgarter

    An Herrn Grubes Stelle würde ich das Projekt ungeachtet aller Kosten einstampfen, Stuttgart von der ICE-Trasse abkoppeln und das Geld dort ausgeben, wo es willkommen ist. Frei nach dem Motto: wer will schon freiwillig nach Stuttgart!

  • A
    Amir

    ich finde es nicht verkehrt ein bißchen zu träumen. Das ist doch wichtig in so einer rasant dahinrasenden Hochtechnologiegesellschaft mit ihrer einfach zum großen Teil nicht schritthaltenden Bevölkerung. Die steht wohl mittlerweile eher nach Atem ringend als Zuschauer an der Loipe.

  • PW
    Pro West

    Der angebliche Sachverstand der S21-Gegner war offensichtlich doch nicht groß genug, den Bahnhofsneubau zu verhindern, obwohl sie sich genau das auf die Fahnen geschrieben hatten.

     

    Vielleicht lag das daran, dass das Vorhaben, einen Bahnhof um jeden Preis abzuschaffen, weit weniger sachlich ist, als ergebnisoffen die objektiv beste Lösung anzustreben. Anders gesagt: wenn man bereits vor der Diskussion beschlossen hat, welche Meinung man am Ende der Diskussion haben wird, kann man sich die Diskussion auch gleich sparen.

     

    Apropos: ist es da nicht auffällig, dass man, seit repräsentative Umfragen zum Thema ergeben haben, dass eine absolute Mehrheit der Bevölkerung den Bahnhofsneubau wünscht, von den Grünen keinen Mucks mehr zur bis dahin so lautstark geforderten Volksabstimmung hört?

  • F
    Frankie

    Hallo, K21 kommt nicht zu spät. Es wurde damals nicht in Betracht gezogen, weil es den Interessen der Bahn, die Milliardengewinne macht mit den freiwerdenden Flächen, nicht entgegenkommt. das ist der Skandal, und da hätte Geissler einschreiten müssen. Dort beginnt das Unrecht. Dahiner hätte er zurückgehen müssen. Ebenso ist die Landesregierung eine Katastrophe. Anstatt auf der Seite ihres Volkes zu sitzen, sitzt sie auf der Seite des Bahnkonzernes. Das sagt alles. Wir machen hier übrigens weiter. Keine Sorge, heute um 14.00 Uhr und nächsten Samstag am 11.12 wirds richtig groß. Diese ist Kuh ist noch nicht vom Eis für die CDU. Da kommt noch eine Lawine ausgelöst vom Schlichtungsergebnis.

  • S
    sylvie

    Sorry, aber wo bleibt eure journalistische Distanz? Die Parteilichkeit, mit der ihr über Stuttgart 21 berichtet, ist schwer nachzuvollziehen. Ich habe mir die SChlichtungen angesehen und musste zu dem SChluss kommen, dass das Projekt S21 sinnvoll ist, obwohl ich vorher skeptisch war. ich habe manchen Aussagen vertraut, die so nicht stimmten. Jetzt weiß ich worum es geht - und finde jetzt gut, was da geplant wird.

  • A
    Anna

    Es war klar, dass Herr Geißler nach den Gesprächen keinen Baustopp von Stuttgart 21 vorschlagen konnte, egal wie Katastrophal der Tiefbahnhof ist. Das Ergebnis war absehbar, aber auch das Ziel der Kopfbahnhof-Befürworter erreicht. Die Bahn hat die Kritik der Tiefbahnhof-Kritiker nicht ausräumen können, weder eine Kapazitätssteigerung durch den Tiefbahnhof konnten gezeigt werden noch Sicherheitsrisiken ausgeräumt werden. Die Variante K21 ist auch von den Tiefbahnhof-Befürwortern als Machbar eingestuft worden. Herr Geißler hat den Weiterbau mit Bedingungen verknüpft, die offensichtlich nicht eingehalten werden können (alte Bäume versetzen, weitere Gleise verlegen, Risiken beheben). Der Protest geht jetzt erst richtig los, auch wenn viele Medien da jetzt ein anderes Bild zeichnen wollen.

  • AS
    Armin Scholl

    Christian Semler weist in seinem Kommentar zurecht darauf hin, dass sich die Protestbewegungen durch hohe Sachkompetenz auszeichnen, und zwar nicht nur die jetzt gelobten Stuttgarter. Ebenfalls wichtig ist die Feststellung, dass sich die Planer und parlamentarischen Entscheider dem Dialog eher verweigert haben, und dies nicht nur vor der Schlichtung, sondern auch in den Schlichtungsgesprächen.

    Ergänzend sollte aber davor gewarnt werden, dass solche Schlichtungsgespräche doch wieder als Herrschaftsinstrument genutzt werden. Schon dieser Zweifel an der neuartigen Politikform und nicht erst der enttäuschende Schlichterspruch sollte davor bewahren, das außerparlamentarische Engagement zu vernachlässigen. Die triumphierenden Gesichter von Mappus und Bahnvertretern legen es nahe, dass die Gespräche ein Ablenkungsmanöver waren und dem Zeitgewinn dienten. Nicht die besten Aussichten für ein neues Demokratieinstrument.

  • F
    Florentine

    Bei den Schlichtungsgesprächen ging es weder dem Schlichter noch den S21-Verantwortlichen um die Herausarbeitung und Ermöglichung, geschweige denn von Akzeptanz, evtl. Alternativen. Die Gegner durften vortragen, die S21-Verantwortlichen noch son' Schmarrn vortragen; sie konnten sich denoch genüßlich grinsend zurücklehenen. Das Ergebnis der Schlichtung stand ja fest. Befriedigung der Stadtgesellschaft. Jeder, der bisher noch an demokratische Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung glaubte, was ja Ernsthaftigkeit auf beiden Seiten zur Bedingung haben sollte, weiß nun, dass die Herrschenden weiter frei herrschen wollen. In ihrem und im Interesse ihrer Klientel. Gönner nimmt ihre Sitze, die sie während der Schlichtung ruhen ließ, weiter grinsend wieder ein, und kassiert später mit. Ganz parlamentarisch-demokratisch legitimiert.Die Lösung: das Schweizer Modell der Volksentscheide, 1:1. Aber solange in Deutschland auch Volksentscheidbefürworter, wie die Grünen und die taz, plötzlich Volksentscheide kritisieren und dagegen sind, wenn ihnen das Ergebnis nicht paßt, fehlt es hier im Lande ganz entschieden am demokratischen Bewußtsein ala Schweiz. Also, weiter so mit dem Ausschluß der Menschen, ausser dem Kreuz mit dem Kreuzchen alle 4 Jahre, wo keiner vorher weiß, was er nach der Wahl bekommt?

    Die politischen Vertreter in diesem Lande erzeugen Unmut an diese real existierenden Form von Demokratie.

  • NF
    Norman Frey

    "Nach dieser Logik dürften die Grünen nicht für die Bürgerversicherung eintreten, immerhin verstößt sie gegen die materiellen Interessen ihrer Klientel. Tun sie aber doch"

     

    Na ob die Grünen das mit der Bürgerversicherung in der Regierung wirklich durchziehen würde, ist natürlich fraglich. ie Erfahrung über grüne Wahlversprechen lehrt was anderes.

  • SS
    Sandra Steiner-Köble

    Sehr mutmachender Artikel zur Situation in Stuttgart und in der gesamten Republik.

    Die Bürger lassen sich nicht mehr hinters Licht führen.

     

    Nicht unterkriegen lassen - Oben bleiben!

  • DH
    Dr. Harald Willjung

    Sehr geehrte Damen und Herren,

     

    Christian Semler hat Recht, indem er Sloterdijks "Bürgerausschaltung" zitiert.

    Aber er greift zu kurz damit bezüglich Stuttgart 21 und Geißlers Spruch.

     

    Der Kern der Geißlerschen Schlichtung steckt in der Privatisierung der Bahn.

    Das heißt, im Ausverkauf eines Öffentlichen Gutes.

    Daran waren die Bürger nicht beteiligt. Das ist gleichzeitig jetzt der Kern dessen, was Geißler zur Befürwortung von S21 geführt hat: Die Bahn, seit Helmut Kohl ein juristisches Privatunternehmen, das die Steuerzahler spätestens seit der Gründung des Kaiserreiches 1871 bezahlt haben, würde gegen einen Stopp des Bauprojekts klagen. Und sie bekäme Recht.

     

    Die Bürger waren NICHT beteiligt bei der Bahnprivatisierung (wie bei anderen Privatisierungen - Telekom, Post usw.).

     

    Das ist der Skandal. Dieser Skandal hat eine Geschichte. Er geht vom Genfer See (und von der dort 1947 gegründeten Mont-Pélerin-Society aus, deren Guru, August von Hayek, den Staat abschaffen und dem Privatkapital zu seinem unkontrollierten Recht verhelfen wollte) aus, trug Früchte bei Ronald Reagan und Margret Thatcher und kam schließlich, spät, aber wirksam, bei der CDU/FDP-Koalition in der Bundesrepublik an. Die Folge: Der Ausverkauf des Öffentlichen Eigentums. Ohne Bürgerbeteiligung.

     

    Und das ist der Grund für Geißlers Schlichtungsspruch. Wäre die Bahn Eigentum des Volkes, gäbe es Stuttgart 21 überhaupt nicht.

     

    Dr. Harald Wiljung

  • R
    Robert

    Sie beschreiben die Alternativlos-Republik. Erst wird etwas gegen die Wand gefahren und dann bleibt nur noch eine Alternative übrig. Erlebt wurde das in Hamburg mit dem Kraftwerk und der Bahnhof in Stuttgart ist auch so ein Fall.

  • T
    tystie

    "Für diese Kritiker sind solche Protestbewegungen partikular, am eigenen Nutzen orientiert und ohne jeden Bezug auf das Gemeinwohl"?

     

    Kein Problem! Hier ist ein ausschließlich Gemeinwohl orientiertes Protestprojekt: Verhinderung des Atommüllexports aus Ahaus nach Majak!

     

    Und wenn die taz nicht weiter Informationsverhinderung betreibt, dann wird sie die Meldung zulassen, dass dagegen am 12.12.2010 eine Demo stattfinden soll und ein Auge darauf haben, wie sich die Düsseldorfer Fraktion der Gruenen in dieser Frage ebenso geriert, wie die der anderen Regierungspartei, der SPD.

     

    Bei mir "lodert" darüber nämlich auch Unmut!

  • DG
    Dirk Gober

    "Wie schon zu Zeiten der AKW- und Friedensbewegungen eröffnet sich die Chance, den Protest zu verstetigen, sogar durch neue Organisationsformen abzusichern"

     

    Intelligenzbolzen Semler, es geht nicht um Protest, sondern um die Sache. Zumindest den nicht verlogenen Menschen, aus deren Gesellschaft Sie sich mit Ihren journalistisch ziemlich erbärmlichen Schülerzeitungsartikeln jedes Mal aufs Neue abmelden.

  • 2
    2idane

    Die Stuttgarter Schlichtung zum Vorbild für künftige Großprojekte zu machen, heißt keineswegs, wie Semler meint, dass man damit staatlichem Handeln den Vorteil der "Alternativlosigkeit" überlässt. Es kommt nämlich entscheidend darauf an, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher "Entscheidungstiefe" diese Form der Bürgerbeteiligung angesetzt wird.

    Eines der Essentials des Geisslerschen Schlichtungsspruchs ist ja implizit, dass das Alternativ-Konzept K21 nur deshalb ausscheidet, weil es schlicht zu spät kommt - und nicht etwa, weil es untauglich wäre. Sein zeitlich-planerischer Rückstand war in der Kürze der Zeit nicht aufzuholen.

    Bei künftiger Bürgerbeteiligung ist also darauf zu bestehen, dass bereits zu Beginn der Planungen mögliche Grundsatz-Alternativen halbwegs fair und ergebnisoffen dargestellt und beraten werden müssen, ohne dass durch planerischen Vorlauf oder gar Vorverträge bereits entscheidende Vorfestlegungen getroffen worden sind.