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Debatte SteuernBlasen zu Phrasen

Kommentar von Rudolf Walther

Der Philosoph Peter Sloterdijk rebelliert neuerdings gegen den "Zwangssteuerstaat". Mit seinem "bürgerlichen Manifest" liefert er der FDP-Klientel philosophische Girlanden.

V or sieben Jahren trommelte der Historiker Arnulf Baring in der FAZ zum letzten Gefecht: "Bürger, auf die Barrikaden!" Das für Professoren-Ranglisten zuständige Zentralorgan Bild kürte Baring daraufhin zum "klügsten Professor Deutschlands".

Im Juni 2009 nun rief Peter Sloterdijk gleichfalls in der FAZ zur "Revolution der gebenden Hand" auf, genauer: zum "fiskalischen Bürgerkrieg". Neu ist das nicht. Denn lange vor Baring und Sloterdijk bildeten die neoliberalen Vorsänger von Hans D. Barbier bis Hans-Werner Sinn einen Chor, was die Abneigung gegen den "Steuerstaat" betrifft. Die FDP machte die Forderung nach Steuersenkungen dann zum Wahlkampf-Slogan.

In seinem "Bürgerlichen Manifest", das im konservativen Bilder- und Anzeigenblatt Cicero erschienen ist, liefert Sloterdijk nun Girlanden für den FDP-Slogan - und rudert zurück. Aus der "Revolution der gebenden Hand" vom Juni wurde jetzt eine "politisch-psychologische Reformation". Zwischen Sloterdijks Juni-"Revolution" und seiner November-"Reformation" liegen Interventionen der Frankfurter Philosophen Axel Honneth und Christoph Menke, die das leere Sphären- und Blasengeschwätz Sloterdijks in der Zeit scharf kritisiert haben.

Bild: taz

Rudolf Walther lebt als Journalist in Frankfurt am Main. Er arbeitet für deutsche und schweizerische Zeitungen. Zusammen mit Werner Bartens und Martin Halter schrieb er das "Letzte Lexikon" (Eichborn).

In seiner herablassenden Antwort empfahl Solterdijk "unserem aufgeregten Professor" Honneth, erst einmal die 8.000 Seiten philosophischer Improvisationen aus Sloterdijks Küche zu lesen, um sich "dem Anspruch meiner Arbeiten aussetzen" zu dürfen. Dabei genügt es, 14 Seiten des "Bürgerlichen Manifests" zu lesen, um Sloterdijks schlampige Art zu denken und zu formulieren zu erkennen.

14 Seiten Selbstdemontage

Was "den Anspruch" betrifft, redet Sloterdijk milieutypisch-bieder: Der Professor Sloterdijk verspottet seinen akademischen Kollegen und Gegner pausbackig als "Professor". Dabei steht Sloterdijks Selbststilisierung zum Rebellen gegen den "Zwangssteuerstaat" in einer trüben Tradition. Seine banale Kritik ist so alt wie das liberale Spießbürgertum, das auf Steuerersparnis aus war und sonst gar nichts.

Der seriöse politische Liberalismus folgte dem Grundsatz "no taxation without representation", also: Steuern nur gegen politische Mitsprache. Die Reduktion von Staatsmacht auf "Steuermacht" wie die These vom "strukturell nationalsozialen oder sozialnationalen Staat" ist dagegen nur eine schnellfingrige Improvisation, die allenfalls Ignoranten beeindruckt. Die intellektuelle Selbstdemontage Sloterdijks schreitet zügig voran.

Historisch wie systematisch unhaltbar ist Sloterdijks Simplifizierung von Staatsmacht zu "Steuermacht", weil er die Einkommensteuer in neoliberal-marktliberaler Manier als Zwillingsschwester der Enteignung hinstellt. Er sprach und spricht von "steuerstaatlich zugreifendem Semi-Sozialismus" und "Staats-Kleptokratie" auf Kosten "einer Handvoll von Leistungsträgern". Zwischen Juni und November wurden aus der "Handvoll" immerhin 25 Millionen Bürger, "aus deren Einkommen sowie aus den davon abzuführenden Abgaben praktisch alles stammt, was die 82-Millionen-Population des Landes am Leben erhält".

Ignoranz gegenüber Zahlen

Ein Blick in die Steuerstatistik zeigt, dass selbst diese Relativierung nur von Ignoranz zeugt und von plumper Demagogie lebt. Sloterdijk bezieht sich auf die Einkommensteuer, also knapp 30 Prozent des gesamten Steueraufkommens, und lässt die indirekten Steuern von der Mehrwert-, über die Tabak-, Mineral-, Kfz- und ein paar anderen Steuern ganz außen vor. Indirekte Steuern belasten aber alle Bürger gleich, also hochgradig ungerecht: die Unteren zahlen, gemessen an ihrem Einkommen, überproportional viel.

Im Juni phantasierte Sloterdijk über "die Ausbeutung der Produktiven durch die Unproduktiven". Jetzt teilt er die Bürger in "Steueraktive" und "Steuerneutrale" oder in "Transfermassengeber" und "Transfermassennehmer" ein. Wie auch immer Sloterdijk seine Terminologie umfrisiert - sie beruht faktisch auf der allemal sozialdarwinistisch imprägnierten Unterscheidung Nietzsches zwischen "Herrenmenschen" und "Herdenmenschen".

Besonders lächerlich ist, dass die Stammtischparolen gegen "Unproduktive" und "Transfermassennehmer" ausgerechnet von lebenslang auf Staatskosten durchgefütterten Beamten wie Sloterdijk und Baring stammen, die ihre Pensionen parasitär aus Töpfen saugen, in die sie - im Unterschied zu den Rentenbeziehern - keinen Cent einbezahlt haben.

Metaphysik des Wollen-Wollens

Sloterdijks Kenntnisse historischer Zusammenhänge sind so dürftig wie seine Zeitdiagnosen schlicht. In der Gesellschaft habe sich, meint Sloterdijk, - unter dem "Deckmantel der Redefreiheit" - ein "System der Unterwürfigkeit" und "der sprachlichen gedanklichen Feigheit" etabliert, das von der "Meinungs-Besitzer-Szene" dirigiert werde. Belege für diesen Befund erspart sich der lauteste unter den Meinungs- und Mediengurus.

In der Politik herrschte nach Sloterdijk zwischen 1982 und 1998 das System Kohl, das er als "Lethargokratie" bezeichnet, die Kohls "Tochter" Angela Merkel fortgesetzt habe. Die "Lethargokratie" beruhe darauf, dass man auf "Lenkung, Dominanz und Machtausübung" verzichtet habe, weil man ahnte, "dass man nie kann, wie man will" und deshalb "mit dem Wollen erst gar nicht" anfing. Nach dieser provinziellen Metaphysik des mangelnden Wollen-Wollens kommt es nicht darauf an, WAS man will, sondern allein darauf, DASS man irgendetwas will. Egal was - Krieg oder Frieden, Steuersenkungen oder Abwrackprämien.

Was im Original, bei Nietzsche, noch "Wille zur Macht" hieß, erscheint im westerwellisch weichgespülten Sloterdijk-Slang als Wille zur "Leistungsträgergemeinschaft". Diese gierige Meute hetzt Solterdijk gegen die "Leistungsträgerverleumdung" der angeblichen Nur-Nehmer, um eine "neue Semantik" durchzusetzen, die "den Leistungsträgern als Gebern Genugtuung" verschafft.

Mit der Nobilitierung der Partei der "Besserverdienenden" zur Partei der "Leistungsträger" landet Sloterdijk ungefähr auf dem Niveau des Markttheologen Volkmar Muthesius, der 1948 meinte: "Die Gesellschaft beruht auf der Tatsache, dass jeder verdient, was er verdient. Das ist Gerechtigkeit".

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8 Kommentare

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  • EF
    Ede Fowler

    Sloterdijk mutiert zum Mietmaul. Daß er das nötig hat, erstaunt mich tatsächlich.

    Sah ich ihn bisher eher zwischen den polen 'genialer zeitgenössischer Denker' und 'Schwätzer und Abschreiber' hin und her dümpeln, verkommt er offensichtlich unter dem Druck umfassender Ökonomisierung aller Lebensbereiche zum neoliberalen Stichwortgeber.

    Das letzte 'Philosophische Quartett' bekam auch nur durch Heinsohns Megakrise einen spannenden Touch.

    Wer braucht noch Sloterdijk? Guido und Angie etwa? Damit er als verbaler Wegbereiter des Neofeudalismus Leistung zeigt? Populistische Bauernfängerei oder Ethik bildende Philosophie des dritten Milleniums?

  • T
    Tobi

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    Daß es Herr Walther für "hochgradig ungerecht" hält, daß indirekte Steuern jeden Bürger gleich treffen, mithin der eine Bürger für seinen Konsum in bestimmter Höhe den gleichen Steuerbetrag zahlt wie der andere Bürger für seinen Konsum in ebensolcher Höhe, hat mir fast den Fruchtgummi aus dem Mund gesprengt. Was ist denn daran ungerecht? Ist es etwa gerecht, wenn der Staat demjenigen mit niedrigem Einkommen (sprich also mit niedrigerer Qualifikation, kürzerer Berufserfahrung, geringerer Verantwortung usw.) durch Differenzierung von indirekten Steuern den gleichen Konsum ermöglicht wie demjenigen mit höherem Einkommen? Eine solche unsinnige Gleichmacherei wollten noch nicht einmal die Kommunisten.

     

    Jeder Bürger müßte im übrigen ja eine Einstufung erhalten, welcher Preis der Güter ihm nach seinem Einkommen berechnet werden kann: Herr Walther möchte offenbar die Errungenschaften der Französischen Revolution abschaffen; ade égalité!

  • L
    Leser

    @"Matthias"

     

    Ihr Leserkommentar zum Kommentar von Rudolf Walther ist im Gegensatz zu letzterem nahezu belanglos. Während Walther die Schwachstellen und Paradoxien in Sloterdijks Argumentation durchaus überzeugend zusammenfasst, generieren Sie mit Ihrem kritisch gemeinten Hinweis, dass "Brechstangenpolemik und selbstverliebte Wortspielerei" an sich noch keine effektive Kritik leisteten, einen performativen Widerspruch. Das ist ungenügend!

  • H
    hto

    Das größte Problem dieser Zeitgenossen aus Politik und "Geisteswissenschaften", die der gewohnten / automatisierten Überproduktion an systemrationalem Kommunikationsmüll den Stoff für Zynismus und ... liefern: sie werden stets gern zitiert und man bereitet ihnen diverse Plattformen für Stumpf-, Blöd- und Wahnsinn - der zeitgeistliche Kreislauf des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung aus dem Paradies", in gebildeter Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche von "Wer soll das bezahlen?".

  • EF
    El Faborero

    Ein großes Amüsement: Zehn Daumen hoch!

  • M
    Martin

    Ungeachtet der gerechtfertigten und weitestgehend gut argumentierten Kritik an Sloterdijks Thesen und der Art ihrer Darbringung,scheint beim Author des Artikels auch eine gewisse Unklarheit zu herrschen, was den Begriff der "Gerechtigkeit" angeht.

     

    So schreibt er: "Indirekte Steuern belasten aber alle Bürger gleich, also hochgradig ungerecht: die Unteren zahlen, gemessen an ihrem Einkommen, überproportional viel. "

     

    Der Author setzt anscheinend zumindest unterbewußt Gerechtigkeit mit Gleichverteilung gleich. Das ist falsch. Es gibt nur einen einzigen Sonderfall, in dem eine Gleichverteilung implizit als "gerecht" angesehen werden kann (egal ob es um positives oder negatives geht). Dies ist der Fall, wenn keiner der Beteiligten irgendeine Beziehung zum Verteilten hat. In den allermeisten anderen Fällen, ist Gleichverteilung nicht gleich Gerechtigkeit gleichzusetzen.

     

    Diese Verwirrung zeigt sich auch an seiner Kritik dieser Aussage: "und kritisiert die folgende Aussage: ... dass jeder verdient, was er verdient. Das ist Gerechtigkeit"."

     

    Tatsächlich wäre genau dies Gerechtigkeit. Würde dies ergänzt durch eine entsprechende Gleichverteilung von allem, was in absolut keiner Beziehung zu irgendeinem der Beteiligten steht, wäre das sogar vollkommende Gerechtigkeit.

     

    Abweichungen davon sind aus sozialen und emotionalen Gründen gerechtfertigt und gewünscht, mit "Gerechtigkeit" hat das aber absolut nichts zu tun.

     

    Man sollte Begriffe und Bedeutungen klar verwenden und nicht beliebig umdefinieren und vermischen.

  • R
    Rolf

    Sloterdijk ist ein Quatschkopf keine Frage.

    Wenn Philosophen über Steuern rede, gehts in Richtung Metaphysik, aber lassen wir mal die Kirche im Dorf. Auch ohne ein Neoliberaler zu sein, ist doch klar, die steuerliche Belastung der normalen Arbeitnehmer ist unzumutbar geworden: direkte, indirekte Steuern, Gebühren, Sozialabgaben ... In Warheit war der hochgelobte Steinbrück der Grund für den Absturz der SPD. Er sagte Steuern müssen wegen der Krise erhöht werden. Was er von den Bürgern forderte, war Einsicht in die Notwendigkeit sich noch mehr wegnehmen zu lassen, während Banker sich wieder die Taschen fühlen. Dann lieber nach uns die Sinnflut. Diese Ungerechtigkeitgefühl begreift werder Steinbrück noch der Autor hier.

  • M
    Matthias

    Die Überschrift "Blasen zu Phrasen" passt vorzüglich zum Inhalt des Kapitels. Diese ad hominem-Suada ist irgendwo zwischen Brechstangenpolemik und selbstverliebter Wortspielerei eingeschlafen. Sloterdijk bietet reichlich Angriffspunkte, aber mit "Beamter!" "neoliberal!" "Markt!" schreien ist doch noch keine effektive Kritik geleistet.