piwik no script img

Debatte Seehofers SchicksalswahlDer postmoderne Super-Bazi

Kommentar von Georg Seeßlen

Schaffen Parteichef Horst Seehofer und seine CSU die Fünf-Prozent-Hürde nicht, droht der Abstieg zur Provinzpartei - Zeit für eine Grundatzanalyse.

W ürden Sie von Horst Seehofer einen Gebrauchtwagen kaufen? Wahrscheinlich nicht. Aber es würde Spaß machen, ihm dabei zuzuschauen, wie er einen Schrotthaufen für einen Neuwagen anpreist. Oder sich selber als Franz Josef Strauß. Nur haben sich die Medienmultiplikationen verändert. Anders als der historische F. J. S. darf der Strauß-Imitator Seehofer nicht wirklich besoffen sein (von sich selber so wenig wie vom Alkohol), vielleicht darf er auch nicht wirklich so viel b'scheissen wie das Original: Er muss nur zeigen, dass er es könnte, wenn er wollte. Im Gegensatz zum Original werden die Grenzen (des guten Geschmacks, der politischen Redlichkeit, der Einschüchterung von Gegnern, der Verpflichtung von Vasallen etc.) nicht öffentlich überschritten. Es handelt sich also um ein postmodernes Bazitum: Der Bazi, der zugleich einen Bazi spielt und ein Bazi ist.

Das alles geht nur wegen der besonderen bayerischen Verhältnisse. Das Einparteien-System, die Verflechtung von Politik und Wirtschaft, die Laptop- und Lederhosen-Symbiose, die Rhetorik zwischen touristischer Anbiederung und separatistischem Gepoltere... Irgendwas, so mag man im Rest der Republik argwöhnen, hat man in Bayern mit der Demokratie nicht wirklich verstanden. Aber dafür klappt alles andere. Bayern ist das Bundesland der Republik, in dem es einem beim Unerträglich-Finden am Besten geht. Unser Luxus-Mezzogiorno!

Eines der Geheimnisse dieser deutschen Sonderform mehr oder weniger demokratisch legitimierter nicht-demokratischer Herrschaft ist die konsequente Verwandlung von Politik ins Spektakel. Fast alles wird in Bayern zum Spektakel. Dass Macht nur "vernünftig" sei und sich selber nicht genießen könne, das kommt hier nicht vor. Der Genuss der Macht wird auf eine merkwürdige Art "demokratisiert". Das F.J.S.-Spektakel übertrug Begehren und Genuss der Macht zurück an die Menschen, auf deren Kosten diese Macht ausgeübt wurde. Das praktische Bazitum - als "ein Hund ist er schon" kommentiert und damit eine nur teils heimliche Anerkennung eines Menschen, der betrügt, ausbeutet oder hintergeht, tut er es nur mit einer gewissen Größe und, nun ja, Eleganz- bleibt erzkatholisch. Protestantische Bazis wollen wir in der Politik nicht haben.

Einen Bazi und einen Hund muss immer etwas Bäuerliches umwehen, er kommt weder von ganz oben noch von ganz unten. Das stammt aus einer Gesellschaft, in der man einander zwar extrem verbunden ist, mit dem Begriff "Solidarität" aber gar nichts anfangen kann. Und aus einer Gesellschaft mit einer seltsamen Klassenlage: Bauern und Handwerker haben über die letzten Jahrhunderte hier ein bizarres Auf und Ab erlebt, von relativem Wohlstand über relative Armut, vom Gehätschelt- zum Beschissen-werden. Darum hat hier auch niemand eine politische Identität. Die CSU ist keine politische Partei sondern die direkte und konstante Verbindung von Interessenlage und Bierpegel.

Was Bayern so unerträglich machen kann, das ist nicht die "Rückständigkeit", sondern die unterdrückte und maskierte Modernität.

Der Bazi und die bigotte Matrone

Was mit der Titulierung von München als "Weltstadt mit Herz" begann, und was über die "Laptop und Lederhosen"-Kampagnen führte, das endet im spektakelisierten Fake-Bazitum des Horst Seehofer, der sich selbst als Nachfolger des "großen" Franz Joseph Strauß inszeniert. Der Bazi ist ein rechter Anarchist, also einer, der gleichzeitig nach law and order schreit und sich an keine Regel hält. Der Räuber als Gendarm oder umgekehrt. In der Tat war Strauß nicht nur der perfekte Ausdruck der bayerischen Widersprüche sondern mehr noch ein perfekter Nutznießer. Und das heißt nicht zuletzt, dass sein Bazitum weit mehr als Maske war: wirkliches Ineinander von ordnenden und anarchischen Impulsen, und dass da nicht nur eine egomane Brutalität am Werk war ("Wer mich daran hindert, an die Macht zu kommen, den bringe ich um"), sondern auch ein Quantum Selbstzerstörung. Zum bäuerlichen Erbe der sexuellen Ökonomie gehörte schon die Unfähigkeit, mit der Idee der Nachfolge umzugehen. Das klappte weder politisch noch familiär.

Weder den "Hund" noch den Bazi gibt es in einer weiblichen Form. Frauen in der CSU sind scheinbar fehl am Platz, aber das ist nur eine weitere Verkennung. Denn in das polternde Patriarchat des Bazi-Spektakels ist ein Matriarchat der Bigotterie eingebaut; das perfekte bayrische Paar ist der Bazi und die bigotte Matrone. Die Bigotterie schafft ein weiteres Herrschaftsmodell jenseits aller Diskurse, Texte und Abmachungen, und sie findet wiederum ihren eigenen Weg zum Spektakel. Weil es einen bayrischen Ödipus nicht recht geben kann (einen Bazi kann man bewundern, aber zum Über-Ich taugt er nicht), werden immer wieder die realen und fiktiven Kämpfe der Reorganisation entweder um die "unbotmäßigen" Frauen wie Pauli oder Haderthauer organisiert, oder umgekehrt, jene Politikerinnen wie Frau Hohlmeier, die gerne die Methoden und Interessen ihres Herrn Vater fortsetzen möchte, dann aber doch immer wieder an Grenzen stößt, weil es eben einen weiblichen Bazi öffentlich nicht geben kann. Bayern ist ein sexualpolitisches Spektakel.

Strauß hat das Volk immer verachtet, wie alle Rechtspopulisten, und zugleich war er Teil dieses Volkes, denn Bildung, Geschmack, Intellektualität hat er ebenfalls verachtet. Was Menschen wie diesen bleibt, ist nichts als Macht. Sie bekommen nie genug (und wir nicht von ihrem Spektakel). Das Interessante am Bazi-Spektakel ist, dass es sich als libidinöse Beziehung von Verachtung und Abhängigkeit immer wieder neu erfinden muss. Seehofers straußistisches Bazitum ist weder authentisch noch besonders appetitlich. Die Forderung nach einem Volksentscheid über den EU-Beitritt der Türkei (bei einem Volk, dem man die Entscheidung über den eigenen Beitritt nicht zugetraut hat) ist schon eine gelungen perfide Pose des postmodernen Neo-Bazitums. Der kann sein Wahlvolk doch nicht wirklich für so blöd halten, oder? Nein, aber er weiß, was das Blödstellen für ein beliebtes Spektakel ist, wenn's den Bazis im Lande nutzt. Alles andere tun wir gar nicht erst ignorieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • BT
    Bernhard Theilmann

    Sehr fein, wie der Autor über eher üble Zustände schreibt, dass man lachen muss und sich das Üble dabei nicht wegfeixen kann. Der Artikel, auch wenn Bazi in Sachsen als Begriff nicht geläufig ist, könnte glatt dem südlichsten Land um die Elbe herum gewidmet sein. Man braucht nur F.J.S. gegen Biedenkopf zu tauschen, die restlichen Namensänderungen ergeben sich für den eingeborenen Zeitgenossen von allein. Dass es im Einzugsgebiet der Residenzstadt bei der Europawahl kaum um das Schicksal der Staatspartei geht, ist wohl wahr und untertrieben. Jede Stimme, die nicht bei der CDU geparkt wird, gilt den Ober-, Mittel- und Unterbazis als Majestätsbeleidigung, was in einer klerikalen Monarchie keine lässliche Sünde mehr ist.