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Debatte Religiöser Öko-AktivismusGott und die Umwelt

Kommentar von Claus Leggewie

Evangelikale Christen in den USA haben inzwischen die Ökologie für sich entdeckt. Wer den Klimawandel wirksam bekämpfen will, wird sie als Bundesgenossen brauchen.

Bild: archiv

Claus Leggewie ist Direktor am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen. Zusammen mit Christoph Sachse veröffentlichte er zuletzt das Buch "Soziale Demokratie, Zivilgesellschaft und Bürgertugenden" (Campus Verlag 2008).

Als die Grünen, anfangs ein wackeliges Bündnis aus Wertkonservativen und Linksradikalen, von der sozialen Bewegung zur politischen Partei mutierten, gaben sie den Slogan aus: Nicht rechts, nicht links, sondern vorn! "Wir waren konservativ beim Umweltschutz, liberal bei den Bürgerrechten und sozial in der Frage der gesellschaftlichen Teilhabe", erinnerte eine Vorkämpferin der Grünen vor kurzem an diese Zeit.

Man darf in der Tat infrage stellen, ob Umweltschutz ordentlich auf der Links-rechts-Skala einzuordnen ist, und behaupten, dass "vorn" war, wer die überkommenen Spaltungs- und Konfliktlinien der alten Industriegesellschaft zu überwinden trachtete. Als die Grünen jüngst eher zufällig koalitionsfähig nach allen Seiten wurden, beeilten sich ihre Sprecher sogleich festzustellen, sie blieben natürlich links angesiedelt. Doch wenn sie angesichts des Klimawandels auf ihr Kerngeschäft zurückkämen, die Ökologie nämlich, müsste ihnen diese Einordnung nicht so wichtig sein.

Ein ähnlicher Prozess spielt sich unter gänzlich anderen Vorzeichen in den USA ab. Die Evangelikalen, eine weltweite Strömung des bibeltreuen Protestantismus, stellen mit über zwanzig Prozent der amerikanischen Gläubigen die größte homogene Gruppe der US-Wählerschaft, an der kein Kongressabgeordneter, Senatsbewerber und Präsidentschaftskandidat vorbeikommt. Seit Barack Obama als demokratischer Bewerber feststeht, verbringt er einen nicht unerheblichen Teil seines Wahlkampfes damit, evangelikale Wähler zu umwerben, wie zuvor schon Hillary Clinton. Beide wissen natürlich, dass diese Gruppe Wahlen nicht nur beeinflusst, sondern auch entscheiden kann - so wie zuletzt 2004, als ein noch nie da gewesener Prozentsatz von Evangelikalen George W. Bush die Stimme gab.

Die Evangelikalen waren eine enge Verbindung mit der politischen Rechten eingegangen und traten als mächtige Sperrminorität in der Republikanischen Partei auf, ohne mit ihr wirklich jemals zufrieden zu sein. Von Reagan bis Bush jr. "lieferten" die Herren im White House nicht, was die fromme Basis und ihre agilen Lobbys wünschten - allem voran die Abschaffung der liberalen Abtreibungsregelung. Aus dieser Gefangenschaft treten sie gerade heraus, und es ist nicht zuletzt der Bezug auf die von Präsident Bush sträflich und zynisch vernachlässigten Umwelt- und Klimaprobleme, der diese Loslösung erleichtert. Zu den schärfsten Kritikern der Washingtoner Umweltpolitik gehören auch evangelikale Gruppen und Persönlichkeiten, und sie könnten, da sie nicht automatisch John McCain zustimmen werden, wiederum eine Wahl entscheiden.

Zu verstehen ist das nur, wenn man sich die egalitäre und sozialkritische Tradition des amerikanischen Evangelikalismus vergegenwärtigt. Dieser basiert auf einer inneren Hinwendung zu Gott, stützt sich also anders als der heutige Durchschnittsprotestantismus nicht auf eine kirchliche Hierarchie und Dogmatik. Er harmoniert perfekt mit dem amerikanischen Individualismus. Zu ihm gehört, dass nicht nur (wie im Calvinismus) Auserwählte das Heil erringen können, sondern durch einen tadellosen Lebenswandel alle - ein Kernelement demokratischer Gleichheit. Die Wiedergeburt durch die persönliche Begegnung mit Jesus ist eherner Bestandteil dieser Überzeugung, ebenso Bibeltreue und missionarischer Eifer.

Rechtslastig geworden ist diese Strömung in den USA erst im Kontext des Kalten Krieges und vor allem in der aufgeheizten Atmosphäre der "Kulturkriege" der 1960er- und 70er-Jahre, als die religiöse Rechte sich auch mit dem Turbokapitalismus arrangierte. Und erst in den 1990er-Jahren gelang es einflussreichen Lobbyisten und Fernsehpredigern, große Teile der Evangelikalen für die Rechte zu kapern und sie vor den Karren der Extremisten in der Republikanischen Partei zu spannen, die 2000 das Weiße Haus eroberten. Lockmittel war der gemeinsame Kampf gegen Abtreibung und Homosexuellenehe, Schmiermittel eine ultraliberale Steuerpolitik, die das zunehmend wohlhabende evangelikale Lager beeindruckte.

Heute geben im Dachverband der National Association of Evangelicals andere den Ton an, darunter ein Pastor aus Orlando in Florida namens Joel C. Hunter. Das Magazin New Yorker, nicht wirklich ein Freund der Religiösen, stellte ihn kürzlich als Prototyp des New Evangelical vor, und neuevangelikal an ihm ist, dass er das Weiße Haus für so gut wie alles kritisiert: von der menschenverachtenden Immigrationspolitik über gröbste Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen im "Kampf gegen den Terror" bis zur einseitigen Steuerpolitik für die Superreichen.

Wenn Hunter und andere als christliche Lobbyisten beim Kongress für Gesetze zur Eindämmung der Erderwärmung werben, beanspruchen sie eine wirklich umfassende und widerspruchsfreie Agenda "für das Leben" (pro life). Das verlangt nicht allein den Schutz des ungeborenen Lebens, sondern fordert die Bewahrung der Schöpfung, wo immer Lebewesen und Natur beeinträchtigt werden, auch weil sie beispielsweise dem zerstörerischen Treiben von US-Konzernen zum Opfer fallen.

Die Bändigung des Klimawandels und die Beseitigung seiner Ursachen, vor allem des verschwenderischen Materialismus der US-Gesellschaft, rückt auf der christlichen Reformagenda nach ganz oben. Nun zeigt sich wieder der alte Pluralismus des evangelikalen Lagers, das immer weniger einen geschlossenen Block bildet: Überall, im Bibel- wie im Sonnengürtel, in den Minigemeinden wie in den Megakirchen und selbst im konservativen Flagschiff der Evangelikalen, der Southern Baptist Convention, wird diese grüne Botschaft nun laut.

Ein-Punkt-Bewegungen wie das Evangelical Environmental Network, welches die ganze Palette amerikanischer Graswurzeldynamik an den Start bringt, oder die Evangelical Climate Initiative, die politische Unternehmer sammelt und erhebliche Ressourcen mobilisieren kann, verstärken den Effekt und vermitteln den erweiterten Lebensschutzgedanken in das politische System und die elektronischen Medien hinein.

Wie man Klimawandel bekämpft? "Mit der gleichen Liebe zu Gott und den Menschen, welche uns antreibt, die Erlösung durch Jesus Christus zu predigen, das ungeborene Leben zu schützen, die Familie und die Heiligkeit der Ehe zu erhalten und einer verletzten Welt die ganze Frohe Botschaft zu bringen, verpflichten wir uns als evangelikale Christen mit Gleichgesinnten zu beten, dass die globale Erwärmung gestoppt wird." Im Dreischritt "Learn - Pray - Act" möchten sie vom Lernen über das Beten zum effektiven Handeln gelangen. Dagegen ist die angebliche ökologische Wende bei der deutschen CDU ein laues Lüftchen.

Wer weltweit nach Bündnispartnern für die Klimawende sucht, wird sich auf strange bedfellows, auf seltsame Bundesgenossen, wie diese einstellen müssen.

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5 Kommentare

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  • KS
    Klaus Sydow, Siegbach

    Claus Leggewie ist mir bereits bei einem Univortrag in Gießen aufgefallen: Er erforscht die Evangelikalen in den USA, hat jedoch keinen Zugang zu deren Glauben. Er akzeptiert einen Glauben an Gott, jedoch möchte er von keinem Christen persönlich angesprochen werden. Selber aber kritisiert er die Christen als rückständig und verschroben. Seine Forschungsaussagen sind immer von einem großen Zynismus gegen Bibelgläubige geprägt.

    Auch in diesem taz-Artikel wird das wieder deutlich! Dabei sagt Gott in der Bibel (Sprüche 12 Vers 10: Der Gerechte (Gottesfürchtige) kümmert sich um das Wohlergehen seines Viehes, aber das Herz der Gottlosen ist Grausam. Hier wird also klar Tierschutz von Gott gefordert.

    Du sollst nicht töten (2. Mose 20,13) und Jesaja 44, 2 "Gott, der Herr, der dich gemacht und vom Mutterleib an gebildet hat..." zeigt klar eine Kindstötung im Mutterleib als Sünde (Vergehen) gegen Gott an. Umweltschutz gibt es als Wort nicht in der Bibel, aber Gott hat die Menschen im Paradies als gute Verwalter seiner Schöpfung (1. Mose 1, 28) eingesetzt. Leider kam schon bald die Übertretung von Gottes fürsorglichem guten Gebot (Sündenfall), der Mensch aß vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen und verlor seine Unschuld und die gesamte Schöpfung verfiel in ein Chaos, statt Harmonie gibt es seitdem einen zerfleischenden Machtkampf (Egoismus u.a.m.).

    Deshalb ist der Schwerpunkt der Bibel auch der "innere Umweltschutz", d.h. den inneren Frieden mit Gott und den Menschen und damit auch der gesamten Schöpfung wiederherzustellen. Dies wird letztlich erst Jesus Christus vollständig im neuen Himmel und der neuen Erde total bewirken.

    Von Gott gelenkte Menschen (Nachfolger von Jesus) werden deshalb Umweltschutz leben ohne den Umweltschutz zu einem "Gott" (Herrscher über alles) zu erheben.

    Schade das Herr Leggewie nicht diesen Gott an sich arbeiten lassen will und sogar andere verachtet die sich vom Gott der Liebe und Gnade leiten lassen wollen. Auch Nachfolger von Jesus hören nicht immer auf IHN, machen Fehler (Sünde) gegen die Natur und den Mitmenschen. Manche Menschen haben auch Jesus als Religion mißbraucht und sich Macht über Andere dadurch angeeignet.

    Aber viele haben Jesus auch richtig verstanden und sind für Schwache eingetreten (Gründung der ersten Gewerkschaften, Abschaffung der Sklaverei und Eintritt für Umweltschutz u.a.m..

    Wer die gute Botschaft von der Liebe Jesu zu den Menschen weitersagt und Menschen den Weg zu Gott zeigt, der macht wahren Umweltschutz. Jesus sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wer zu mir kommt wird ewiges Leben ererben und anderen ein Segen sein. Ich wünsche, dass dies auch ein Herr Claus Leggewie erfährt. Dann ist er auf den progressivsten Weg - den Weg zum Leben.

    Gottlosigkeit und Atheismus sind rückwärtsgerichtete Wege, die ins Verderben führen, und zwar der Menschen wie auch der gesamten Umwelt (wer dies nicht glaubt, möge mal in ein kommunistisches Land reisen).

  • M
    Martin

    Na Danke,

     

    lieber eine tote Welt, als eine die nach dem Weltbild der Evangelikalen geformt ist.

    Die ist wenigstens nur leblos, eine Welt nach dem Wunsch der Evangelikalen ist die Hölle auf Erden.

  • HG
    Hans-Peter Gensichen

    Alles gut und schön; aber inwiefern sind diese Bundesgenossen "seltsam"? Ich erkenne als das Besondere an den evangelikalen Christen nur, dass sie neben der Anerkennung von heftigen Umweltproblemen und der Forderung, diese zu bekämpfen, auch noch eine Ideologie, sprich Theologie haben, in der das Ganze eine spirituelle und philosophische Basis (oder doch: einen Überbau?) erhält, der vielen, vielen anderen Umweltschützern fehlt und der kompakter, vielleicht sogar haltbarer ist als das bildzeitungskonform dünne Gelabere des Dalai Lama.

    Also: seltsam, dieses "seltsam" von Leggewie!

  • HW
    Hardy Winstanley

    Claus L...funny name ;) is right, and besides the ecolocical issue it is quite a mystery, that not more christians - and jews, by the way, too - have got very critical attitudes belonging extreme inequality of real chances for a good life. Read the book of Amos or some chapters in Jesse, or some parts of Mathew oder Luke's gospel, and you cannot believe that family Bush oder Mr. McCain are calling themselves christians! Maybe one should give them to read "God of the Lowly: Socio-Historical Interpretations of the Bible" by Willy Schottroff and Wolfgang Stegemann 1984 or "The Jesus Movement: A Social History of Its First Century" 1999. They've not been as revolutionary as later Levellers etc, but old and modern slavery in any form is actually more far away from some main ideas of judaism and christianity, than a social(-ist) democracy would be. And because ecological issues in the end also have to do a lot with 'love' (loving nature with all in it), and destruction of nature always disadvantages also people, and love ist a main christian ideal, also ecological issues are close up to questions of equal real chances / capabilities for a good life for everybody - and provoke so more 'left wing' than chauvinist & capitalist answers also for christians (and jews - because justice, charity & respecting each other are also main ideals at least since some prophets expecting a peaceful world for all! human kind, even animals! (see Jesse's view of the messiah age: child playing at a snake's cave, and even lions getting vegetarians! etc.)).

  • BW
    bernhard wagner

    Schon die legendäre/sagenumwobene Gestalt des Moses gleicht z.T. einem Robin Hood, Pancho Villa u.a., da er fliehen musste, nachdem er einen Aufsehen erschlagen hatte und dann die hebräischen "Gastarbeiterfamilien" um sich scharte u.s.w.

    Dann die scharfe Kritik bei Amos u. Jesaja u.a. an der Scheinheiligkeit der Reichen und ihrer Ausbeutung von Armen u. Benachteiligten, inkl. Witwen und Waisen etc. Und not least war das social movement um den Jeshua aus Galiläa, aus dem dann später das Christentum wurde, überwiegend in den "untersten" Gesellschaftsschichten angesiedelt - wie vorurteilslose ForscherInnen längst gut belegt haben (z.B. Wolfgang Stegemann u.a.: Urchristliche Sozialgeschichte). Schon die Diggers u.a. im 'Mittelalter' und spätere hatten daran angeknüpft.

     

    Dazu werden in der Genesis die ersten Menschen von Gott u.a. aufgefordert, die Erde zu "bewahren".

    Sogar eines der anderen, vieldeutigen hebr. Wörter, das oft mit "sich untertan machen" übesetzt wird, bedeutet - wie ich mir habe sagen lassen - im Kontext wahrscheinlich nicht viel mehr als "Landwirtschaft treiben", wenn auch ohne zu meinen, die Erde selbst sei ein göttliches Wesen (wie andere Religionen damals). Um die Erde verantwortungsbewusst zu behandeln muss mensch sie aber ja nicht für eine Gottheit halten!

     

    Daher ist es also gar nicht 'mal allzu verwunderlich, dass viele aus dem jüdischen oder christlichen Milieu, sogar aus den quasi "fundamentalistisch" sich auf die Bibel berufenden, McCain etc. nicht kritiklos zustimmen.