Debatte Glauben und Säkularisierung: Zweierlei Religionskritik
"Neue Atheisten" wie Richard Dawkins und eine plumpe "Islamkritik" liegen im Trend. Doch wer Religionen pauschal verdammt, der hat die Aufklärung nur halb verstanden.
Was es mit der viel beschworenen "Renaissance der Religionen" auf sich hat, weiß niemand so genau. Nur, dass es in jeder Buchhandlung zwischen "Diät" und "Esoterik" eine Abteilung "Religionen" gibt, lässt sich ebenso leicht überprüfen wie die Tatsache, dass sie ständig wächst. Mit der Religion aber blühte seit der Antike immer auch die Religionskritik. In Platons "Kritias" wird beklagt, dass die Menschen "entarten", wenn sie die "von dem Gotte herrührenden Bestandteile ihres Wesens" verleugnen. Im Alten Testament dagegen polemisiert Jeremia gegen den Götzendienst: "Sie hauen im Walde einen Baum, und der Werkmeister macht Götter mit dem Beil und schmückt sie mit Silber und Gold."
Die moderne Religionskritik entstand im 18. Jahrhundert im Zeichen der Aufklärung und äußerte sich auf zweierlei Weise: frivol oder intellektuell anspruchsvoll. Der intellektuell anspruchsvollen Religionskritik der Aufklärung ging es weder um eine Verdammung noch um eine Beschimpfung der Religionen. Sondern darum, eine Grenze zwischen Glauben und Wissen zu ziehen - also Wissen vor religiösen Übergriffen abzusichern und zugleich dem "Glauben Platz" (Kant) zu machen. Die Bedeutung und den Stellenwert der Religionen bestritt diese Religionskritik nicht. Sie hätte mit einem solchen Beweisgang ihre auf Erfahrung und verallgemeinerbare Moralgesetze gestützte Selbstbegrenzung überschritten. Die frivole Religionskritik dagegen erschöpfte sich in wüsten Beschimpfungen und zuweilen pornografischen Pamphleten gegen die sittliche Verkommenheit des Klerus, insbesondere von Mönchen und Nonnen. Diese Pamphlete sind heute nur noch von kulturgeschichtlichem oder literarischem Interesse.
Die aktuelle "Renaissance der Religionen" zeitigt ebenfalls zwei Formen von Religionskritik: eine medial aufgeblasene, banale Polemik und eine intellektuell und politisch gehaltvolle Kritik. Die banal-polemische Religionskritik kommt derzeit gerne als politisch kaschierte "Islamkritik" in säkularer Pose daher. Seit dem 11. September 2001 geht es in dieser Branche ebenso grobianisch wie pauschal zu und her. Der Islam wird gleichgesetzt mit der "Ideologie" einer "archaisch gesteuerten Gemeinschaft" (Richard Wagner), die angeblich "ungläubige Todfeinde schächten und verbrennen" (Wolfgang Sofsky) möchte. Necla Kelek wittert hinter einem türkischen Prediger wie Fetullah Gülen gleich eine weltweit agierende "Geheimsekte" mit Plänen zur "Welteroberung" im Namen eines "machtbewussten islamischen Chauvinismus." Zu den berufsmäßigen Islamkritikern, denen jede Differenzierung zwischen Islam und fundamentalistischem Islamismus entbehrlich erscheint, zählen auch der Philosoph Rudolf Burger, der den Islam als "feindliche Religion" darstellt, und - als Lautester unter den Berserkern vom Dienst - der Polemiker Henryk M. Broder.
"Kritik" auf dieser Schwundstufe kommt mit verallgemeinerten Einzelfällen aus, mit Gerüchten sowie Fanalwörtern aus dem Sonderangebot ("Ehrenmord", "arrangierte Ehe" etc.). Aus diesem Mix wird ein "muslimisches Weltbild" gezimmert, dem "die" Türken angeblich verpflichtet seien. Vorbei die Zeit, als Religionskritik noch als "Voraussetzung aller Kritik" (Marx) galt - der Polemik à la mode genügen solche selbst konstruierten "Weltbilder".
Noch simpler gestrickt ist eine Sorte von Büchern, die sich nicht mit dem Islam, sondern mit "der" Religion überhaupt beschäftigt und diese zum Relikt erklärt: Christopher Hitchens "Gott is not great", Peter Sloterdijks "Gottes Eifer", Richard Dawkins "Gotteswahn", Sam Harris "Das Ende des Glaubens". Auch Robert Misiks Buch "Gott behüte!" ist nicht frei von solchem Eifer, wenn dekretiert wird: Die "Renaissance des Religiösen löst kein Problem, macht jedes Problem noch größer." Der Autor liefert für diesen Befund nicht den Hauch eines empirisch belastbaren Belegs.
Seit seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises (2001) beschäftigte sich Jürgen Habermas öfters mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen wie mit dem Status der Religionen in mehr oder weniger säkularen Gesellschaften. Im Gegensatz zur platten "Islamkritik" und zum grobschlächtigen, szientifisch unterlegten Atheismus bewegt sich der nach eigenen Worten "religiös unmusikalische" Philosoph jedoch intellektuell und politisch auf dem Niveau der Probleme.
Für rechtsstaatlich fundierte Demokratien stellt sich primär nicht die Frage, welche Grenzen sie Religionsgemeinschaften auferlegen sollen, sondern, wie sie einen neutralen Umgang mit allen Religionen garantieren können. Zwischen dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und der Französischen Revolution (1789) wurden die Religionen vom Staat, der schrittweise sein Gewaltmonopol errichtete, entwaffnet. Danach rüsteten die christlichen Kirchen ihre politischen Ansprüche und Vorbehalte gegenüber dem Vorrang von Rechtsstaat und Demokratie langsam und (fast) freiwillig ab. Die katholische Kirche tat dies definitiv erst 1965 mit dem II. Vatikanischen Konzil. Die große Mehrheit der muslimischen Glaubensgemeinschaften in Europa hat erkannt, dass diese Abrüstung - die Anerkennung der säkularen Grundlagen des Staates - unumgänglich ist für das Zusammenleben in multireligiösen, in Teilen säkularen Gesellschaften. Dass die muslimischen gegenüber den meisten christlichen Gemeinschaften bei dieser Abrüstung noch im Rückstand liegen, ist nicht zu bestreiten.
"Toleranz heißt, dass sich Gläubige, Andersgläubige und Ungläubige gegenseitig Überzeugungen, Praktiken und Lebensformen zugestehen, die sie selbst ablehnen." (Habermas) Fromme Christen müssen dulden, dass der "Tag des Herrn" nicht länger "heilig" und Sonntagsarbeit weit verbreitet ist. Gerade weil die Folgen und Zumutungen der Säkularisierung für die Gläubigen größer sind als für Nichtgläubige, muss der säkulare Staat behutsam vorgehen und auf Gleichbehandlung achten. Diese wird mit Sicherheit verletzt, wenn das Kopftuch in Schulen verboten und das Kruzifix - mit Berufung auf die christliche Tradition - erlaubt oder gar vorgeschrieben würde.
Wenn staatliche Institutionen die staatsbürgerliche Gleichheit gegen kulturelle oder religiöse Differenz in Stellung bringen oder die säkulare Gesellschaft und ihre Medien religiöse Glaubensinhalte pauschal als "irrational" oder "vorgestrig" abwerten, schüren sie Spannungen und Konflikte. Lernprozesse sind nicht nur der religiösen Seite zuzumuten, sondern auch der säkularen. Säkulare Politik und säkulares Publikum müssen sich sensibilisieren für Meinungen, die in wichtigen ethischen Fragen - zum Beispiel der Grenze der Reproduktionsmedizin - von religiöser Seite und in religiöser Sprache in die Debatte eingebracht werden. Denn, so Habermas: "Der demokratische Staat" darf - unter dem Vorwand von Neutralität und Laizität - "die polyphone Komplexität der öffentlichen Stimmenvielfalt nicht vorschnell reduzieren."
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