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Debatte GentrifizierungRecht auf Stadt

Kommentar von Nils Boeing

In Hamburg wird Stadtentwicklung rein neoliberal gedacht. Dagegen geht dort heute ein breites Bündnis mit einer Parade auf die Straße.

Hamburg brodelt: Während die Stadt wie ein neobarockes Fürstentum hunderte Millionen Euro in monumentale Bauvorhaben steckt und Investoren hofiert, sind immer mehr Menschen von steigenden Mieten, sozialer Spaltung und Verdrängung bedroht. Lange hat sich Hamburg, das ein amerikanischer Reiseführer als "rich and radical" beschreibt, als Boomtown im Globalisierungsspiel gefeiert. Aber "rich" war gestern: Immer mehr Menschen können sich das Wohnen und Leben in Hamburgs Innenstadt nicht mehr leisten. Heute ruft ein Bündnis aus 120 Hamburger Gruppen und Organisationen zur Parade für das "Recht auf Stadt" auf. Initiativen gegen Gentrifizierung, Umweltaktivisten, Autonome, Hafenarbeiter, Wohnprojekte und Kulturschaffende - das Bündnis geht quer durch die Vielfalt der Stadt.

Wer diese soziale Unruhe, die in den vergangenen Monaten an der Elbe heraufgezogen ist, für das übliche Geplänkel im urbanen Kräftemessen hält, täuscht sich. Und skurril kann dieses Bündnis nur finden, wer städtische Auseinandersetzungen entlang bekannter Ideologien vermisst. Nein: In Hamburg geht es um die Zukunft von Stadt überhaupt.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde sie ausschließlich neoliberal gedacht. Wie kaum eine andere deutsche Stadt hat sich Hamburg als Unternehmen definiert, das im globalen Standortwettbewerb zuerst Kapital anziehen und zur Marke werden soll. Kommunale Dienstleistungen wurden privatisiert und städtische Immobilien meistbietend verkauft - an Investoren, die allenfalls mit symbolischen Auflagen im Sinne des Allgemeinwohls ihrem Geschäft nachgehen. Der öffentliche Raum wurde in eine Konsumzone verwandelt, in der Sicherheitsdienste und Überwachungskameras reibungsloses Shopping garantieren.

In diesem Modell von Stadtentwicklung werden die Bewohner der Stadt zu Konsumenten von Urbanität degradiert. Wer nicht genug Kaufkraft mitbringt, wird noch eine Weile geduldet und mittels Gentrifizierung unauffällig aus der Konsumzone entfernt. Dies ist mitnichten eine "naturwüchsige" Veränderung, in der "sozial schwache" Stadtteile durch die Invasion von Künstlern, Studierenden oder "Yuppies" aufgewertet werden, so die klassische Vorstellung von Gentrifizierung. In Hamburg befindet sich dieser Prozess längst in einer neuen, dritten Phase, in der die Metropolen ganze Stadträume neu ordnen, um im globalen Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Wilhelmsburg wird mit Internationaler Bauausstellung und Bundesgartenschau "modernisiert", der Hafenrand zwischen Hafencity und Altona zur erweiterten Downtown umgebaut. Den Energiehunger dieser "wachsenden Stadt" will Hamburg mit Kohlekraft stillen, deren Ausbau ebenfalls in den Stadtraum schneidet. Wie im Brennglas bündelt sich an der Elbe so noch einmal jener fossile Neoliberalismus, der in die gegenwärtige Krise geführt hat und damit gescheitert ist.

Die Städte sind der Ort, in denen sich diese Krise am klarsten manifestiert. Zugleich sind sie der Ort, in denen sie gelöst werden muss. Aber nicht mehr mit dem Top-down-Modell von Stadtentwicklung - sondern indem sich alle Bewohnerinnen und Bewohner das "Recht auf Stadt" nehmen, das sich bislang eine Elite aus Politik, Urbanisten und Wirtschaft vorbehält. Das Konzept stammt von dem französischen Soziologen Henri Lefebvre: Anwesenheit und Zugang, Aneignung des Raumes, Differenz, die "schöpferischen Überschüsse des Städtischen" - das sind keine Privilegien, sondern grundlegende Rechte, die alle haben.

In Hamburg haben viele Menschen begonnen, dieses Recht auf Stadt einzufordern, indem sie sich den urbanen Raum wieder aneignen und für alle produktiv zugänglich machen. Das historische Gängeviertel, in dem ein niederländischer Investor die übliche Langeweile aus Stahl und Glas errichten wollte, und das ehemalige Frappant-Gebäude in Altona, das einem enormen Ikea-Komplex weichen soll, sind Orte, an denen die neue Bewegung sichtbar wird: Sie wurden nicht nur besetzt, sondern in soziale und freie Räume verwandelt, in denen die Logik des Kommerzes keine Rolle spielt. Erster Erfolg dieser Strategie ist, dass Hamburg das Gängeviertel von Hanzevast zurückgekauft hat. Aber auch die Straße, die für Lefebvre zum "Aufeinanderfolgen von Schaufenstern" verkommen war, wird angeeignet: mit alternativen Bezirksversammlungen, Wimpelketten, Baumbesetzungen oder Walzerparaden.

Das Recht auf Stadt bedeutet auch, für bezahlbaren Wohnraum für alle zu kämpfen. Sozialwohnungen müssen geschaffen, Immobilienspekulation muss verhindert und der Mietwucher gestoppt werden. Und Recht auf Stadt heißt auch, dass Politik und Investoren keine einsamen Entscheidungen hinter verschlossenen Türen mehr fällen dürfen. Die erstarrte "Postdemokratie" (Colin Crouch) ist kein Zukunftsmodell mehr.

Die größte Herausforderung ist, die Stadt zu "unserer Fabrik" zu machen. Das ist sie zwar schon heute, wenn die Wissens- und Kulturarbeiter des Postfordismus ihren Wohnraum zur Arbeitsstätte machen. Aber die Prekarität schaut dabei nicht wenigen über die Schulter, wenn Mieten steigen und andere Räume Mangelware sind, was das sogenannte Künstler-Manifest "Not in our name, Marke Hamburg" angeprangert hat. Die Stadt als Fabrik kann allerdings keine Renaissance der klassischen Industriestadt sein, sondern nur als eine selbstbestimmte und kommunikative Erfindung, als Fabrik der Zukunft gedacht werden.

Das Bündnis "Recht auf Stadt", das für all dies streitet, sollte dabei nicht als Aufguss einer außerparlamentarischen Bewegung missverstanden werden. Es könnte vielmehr ein erstes Aufscheinen der Multitude sein, jener Vielheit, die Antonio Negri als das hoffnungsvolle Subjekt der nächsten politischen Umwälzung sieht.

Und es beansprucht auch keine Exklusivität: Unter dem Banner "Recht auf Stadt" bahnt sich in vielen Städten - ob in New York oder Istanbul - diese Umwälzung an. Dass sie sich hierzulande zuerst in Hamburg so deutlich zeigt, mag daran liegen, dass Hamburg eben nicht nur reich, sondern immer auch radikal gewesen ist.

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8 Kommentare

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  • TT
    Tip Tap

    Toller Artikel, der wirklich gut zusammenfasst, was derzeit am Horizont auftaucht: die Entwicklung eines post-Krisen Urbanisierungsmodells. Entweder der Senat, die Stadt und ihre BewohnerInnen sind schlau genug, zu kapieren, welcher Ball ihnen hier von der Recht auf Stadt Bewegung zugespielt wurde - oder gute Nacht.

  • F
    FRITZ

    @ knus horlanski

     

    Doch, bitte erklären. Einen Unterschied in den Ausdrucksformen sehe ich nur bedingt ("Autos abfackeln" - "Dönerbuden abfackeln"), den fundamentalen Unterschied in den Beweggründen gar nicht: "das ist unsere Höhle/unser Land/unser Stadtteil, wer hier rein darf bestimmen wir." Das ganze Gedöns von wegen "gewachsene Strukturen" ist doch nur das hübsch klingende Deckmäntelchen für die zugrundeliegende Vollversorgungsmentalität: Vater Staat soll nun auch noch für eine bestimmte Gruppe bestimmte Wohnlagen preiswert vorhalten...was denn noch? Und exakt wie sind die Strukturen denn gewachsen? Weil Menschen von A nach B ziehen wollten, aus welchem Grund auch immer. Warum soll jetzt anderen Menschen dieses Recht verweigert werden?

  • S
    saalbert

    Liebe sonja, es handelt sich ausnahmsweise nicht um einen Fehler beim Schreiben, sondern um einen beim Lesen. "Initiativen gegen" bezieht sich eindeutig nur auf "Gentrifizierung". Alle anderen Begriffe in der Aufzählung stehen für sich.

  • KH
    knus horlanski

    ey fritz, googel mal "recht auf stadt" und lies dir mal ein paar artikel zum thema durch, oder mach dich mal sonstwie schlau.

     

    dann wirst du ggf. feststellen, dass es nicht um das wegverdrängen von gentrifizierern geht. sondern um ein recht auf großstädtische pluralität und die friedliche koexistenz unterschiedlicher lebensweisen.

     

    den unterschied zu rechtsextremen schlägern, die vor allem ethnisch 'saubere' stadtteile zum ziel haben, brauche ich jetzt nicht zu erklären, oder?

  • M
    Marius

    @FRITZ

     

    Denk vielleicht erstmal darüber nach, was du schreibst und worum es hier geht, bevor du deine widerlichen Ergüsse ins Forum postest. In Hamburg hat niemand eimn Problem damit, dass Reiche in seinem Stadtviertel wohnen, sondern dass diese Reichen die Mietpreise so in die Höhe treiben, dass die Menschen massenhaft aus ihren Wohnräumen vertrieben werden. Das lässt sich wohl kaum mit Sozialismus vergleichen, geschweige denn mit dem Rassismus eines Nazis.

    Außerdem besteht das Bündnis in Hamburg nicht nur aus ein paar Lumpenproletariern und einem Lieblingsfeindbild, Ökos und alternative Künstler, sondern aus einem breiten sozialen Spektrum.

    Und wieso sollte der Wohnraum dieser Menschen schlecht sein? Mir ist der jetzige Zustand der betroffenen Gebiete ehrlich gesagt wesentlich lieber als abgeschottete Villen und exklusive Bürogebäude, die überhaupt nicht ins Stadtbild passen.

     

    In diesem Sinne freundliche Grüße,

     

    Marius

  • F
    FRITZ

    Na prima. Menschen wird das Recht genommen, sich an dem Ort, an dem sie leben möchten und eigentlich auch dürften, ein Haus zu bauen oder eine Wohnung zu mieten, weil das derzeit dort ansässige Lumpenkleinbürgertum (vulgo "freie Kulturschaffende") beschließt, wer dort zu welchen Kosten wohnen darf und wer nicht. Gerechtigkeit ist doch nicht das Recht auf eine gute Wohnlage zu Kosten einer schlechten Wohnlage! Das ist bourgeoiser Lifestyle-Sozialismus in Robin-Hood-Strumpfhosen...

     

    Ich warte bislang vergeblich darauf, dass mir jemand den strukturellen Unterschied zwischen einem Nazi, der nicht will, dass "Kanaken" sein Revier bevölkern und Anti-Gentrifizierern, die nicht wollen, dass "Reiche" in ihren Vierteln wohnen, erklärt.

  • DL
    Dr. Ludwig Paul Häußner

    Die Stadt und ihr Boden oder besser auf Erbbaurecht gebaut.

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    In der Diskussion über Gentrifizierung wird ein wesentlicher Faktor vergessen: der Boden und die Eigentumsrechte daran.

     

    Dadurch, dass wir den knappen (Stadt-)Boden - fälschlicherweise - wie eine Ware be-handeln und diesem mittels des Zinses einen ökonomischen Wert beimessen können, führt die daraus resultierende Boden-Rente im Verlauf der Jahre und Jahrzehnte zu einer zunehmenden Teilung der Stadt in arm und reich.

     

    Die Boden-Rente ist die Wurzel der Gentrifizierung!

     

    Wie ließe sich das Problem von der Wurzel her lösen? Die Nutzung des (Gemeinguts) Boden sollte in einem Stadt-Staat wie Hamburg am besten durch kommunale Erbbaurechte geregelt werden. Die daraus resultierenden Einnahmen aus Erbbauzinsen könnten pro BürgerIn als - im Wortsinne - Grund-Einkommen ausgezahlt werden, um die Gentrifizerung zu verhindern.

     

    Mehr Informationen dazu unter www.sffo.de

     

     

    L.P.Häußner, Karlsruhe

  • S
    sonja

    "Initiativen gegen Gentrifizierung, Umweltaktivisten, Autonome, Hafenarbeiter, Wohnprojekte und Kulturschaffende - das Bündnis geht quer durch die Vielfalt der Stadt."--> HÄ???

     

    Ich will ja nicht pedantisch sein, aber in der taz fallen mir immer wieder lustige kleine Fehler auf...

     

    Diese Initiative ist also auch gegen Umweltaktivisten und co...:-)