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Debatte FinanzkriseNach dem Sündenfall

Kommentar von Ursula Engelen-Kefer

Die Finanzkrise bietet die Gelegenheit, eine Renaissance der Sozialpolitik einzuläuten. Nicht nur zum Schutz der Bürger. Sondern auch, um die Konkunktur zu stabilisieren.

Bild: dpa

Ursula Engelen-Kefer ist promovierte Volkswirtin und war von 1990 bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB. Zudem ist sie Sachverständige für die Bundesagentur für Arbeit. Seit 1986 ist sie Mitglied im Parteivorstand der SPD.

Die Börse ist im freien Fall, Billionenwerte gehen verloren. Immer stärker wirkt sich die Finanzkrise auf Wirtschaft und Politik aus. Die Wachstumsprognosen für 2009 werden wöchentlich korrigiert und bewegen sich inzwischen in Richtung wirtschaftlicher Stagnation. Wenn wir Glück haben, kommen wir davon, ohne dass die Arbeitslosigkeit erneut erheblich ansteigt.

Zu den Maßnahmen, die hierzulande und weltweit eingeleitet wurden, um die betroffenen Banken und Versicherungen zu unterstützen, gibt es keine Alternative. Wenn wir aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 eines gelernt haben, dann, dass international abgestimmte Gegenmaßnahmen umgehend notwendig sind. Man kann nur hoffen, dass die Rettungspakete in Europa und den USA, die in kürzester Zeit geschnürt wurden, geeignet sind, das verlorene Vertrauen der Banken untereinander sowie zwischen Banken und Unternehmen wieder herstellen. Genauso wichtig ist es, die Ersparnisse vieler Menschen in diesem Land zu schützen. Wie wirksam die Maßnahmen sein werden, hängt davon ab, inwiefern es gelingt, die Mechanismen und Institutionen zur Kontrolle der Finanzmärkte europaweit und international zu koordinieren.

Besonders drastisch wird uns derzeit vor Augen geführt, was es bedeutet, die Gewinne zu privatisieren und die Verluste zu sozialisieren. Ausgerechnet die Finanzbranche mit ihrer Gier nach übersteigerten Renditen und ihren teilweise halsbrecherischen Anlage-Kunststücken ruft jetzt nach dem Staat. Dabei war sie es doch gerade, die stets Zeter und Mordio schrie, wenn öffentliche Regulierungen verschärft wurden oder werden sollten.

Umgekehrt wurden die deutschen Großbanken und die Deutsche Bundesbank nicht müde, den weiteren Sozialabbau und die Deregulierung des Arbeits- und Sozialrechts zu propagieren. Assistiert wurden sie dabei natürlich von den Internationalen Finanzinstituten - allen voran den amerikanischen Investmenthäusern, die die internationale Finanzkrise maßgeblich verursacht haben - und insbesondere dem Internationalen Währungsfonds (IWF).

Genau so dringlich wie ein kombiniertes Konjunktur- und Strukturprogramm ist jetzt eine "Renaissance" der Sozialpolitik. Dabei spielen die Solidarsysteme zur sozialen Sicherung eine zentrale Rolle. Zum einen sind sie als soziales Schutzschild für die große Mehrzahl der Bürger in unserem Land unabdingbar. Zum anderen tragen sie aber auch wesentlich dazu bei, die Konjunktur zu stabilisieren.

Doch in allen Wirtschaftskrisen verfuhr die Politik, unabhängig von der parteipolitischen Farbenlehre, bisher nach einem ähnlichen Muster: Die Arbeitskosten müssten reduziert werden, dann steigen die Investitionen der Unternehmen, glaubte man, denn dies führe zu mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit. Wer an der seit Anfang der Achtzigerjahre in der Bundesrepublik steigenden Arbeitslosigkeit schuld sein sollte, war daher schnell ausgemacht: es seien die hohen Kosten für die sozialen Sicherungssysteme. Deshalb wurden die Leistungen der gesetzlichen Renten-, Kranken-, Arbeitslosenversicherung und Arbeitsmarktpolitik über Jahre hinweg in diversen Sparrunden eingeschränkt. Verstärkt wurde dies, indem die Deutsche Einheit fälschlicherweise aus Sozialversicherungsbeiträgen finanziert und der Stabilitätspaktes in der Europäischen Union bei der Einführung des Euro verschärft wurde. Danach wurde das Arbeits- und Sozialrecht abgebaut und flexibilisiert.

Dass es infolge des demographischen Wandels, der Globalisierung und des abnehmenden Wirtschaftswachstums nötig war, die Sozialen Sicherunsgssysteme auch nach unten anzupassen sowie das Arbeitsleben stärker zu flexibilisieren, ist unstrittig. Allerdings schoß man hier erheblich über das Ziel hinaus. Außerdem fehlte es an wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen, die geeignet gewesen wären, die öffentlichen Infrastruktur für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft - insbesondere im Bereich der Bildung - im weitesten Sinne zu verbessern.

Die wirtschaftsnahe Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat kürzlich bestätigt, dass die Schere zwischen arm und reich in Deutschland in kürzester Zeit im internationalen Vergleich am weitesten auseinander gegangen ist. Ein weiterer Rekord ist, dass etwa ein Viertel der Arbeitnehmer in Deutschland in den Niedriglohnsektoren arbeiten. 1,3 Millionen Arbeitnehmer gehören heute zu den "Working Poor", ihr Einkommen liegt - in der Hälfte der Fälle trotz Vollzeitarbeit - unterhalb der Armutsgrenze.

Millionen Menschen in Deutschland droht in den nächsten Jahrzehnten die Armut im Alter - das ist mehr als ein Wermutstropfen angesichts des erheblichen Anstiegs der Beschäftigung und dem spürbaren Rückgang der Arbeitslosigkeit. Kein Wunder, dass eine große Mehrheit der Bundesbürger die Verteilung von Wohlstand und Chancen für nicht gerecht hält, denn die so genannte Mitte unserer Gesellschaft schrumpft - nicht durch wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg, sondern, im Gegenteil, durch Abstieg. Dies bedroht auch unseren Sozialstaat und unsere Demokratie.

Eine weitere Folge der übersteigerten Sparpolitik, die einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer, Arbeitslosen und Rentner ging, erleben wir heute in der Finanzkrise. Ein Teil der Einsparungen, durch Sozialabbau und Vernachlässigung der öffentlichen Infrastruktur erzwungen, werden auf den nationalen und internationalen Finanzmärkten jetzt buchstäblich verbrannt. Um einen Flächenbrand in Wirtschaft und Gesellschaft zu verhindern, muss der Staat unvorstellbar hohe Summen aufbringen. Je nachdem, wie viel davon die Finanzbranche tatsächlich in Anspruch nimmt, wird dies die Bürger durch Steuern und Abgaben sowie die Einschränkung öffentlicher und sozialer Leistungen zusätzlich belasten.

Einen "Sündenfall" gilt es, möglichst schnell zu bereinigen: Die gesetzliche Altersrente muss auch in Zukunft vor Armut schützen. Das ist nicht mehr der Fall, seit deren Niveau durch die Riesterreform von 2001 gesenkt wurde.

Dass ein Teil der gesetzlichen Altersrente durch kapitalgedeckte Zusatzrentensysteme ersetzt werden soll - dieser Paradigmenwechsel muss vor dem Hintergrund der Finanzkrise korrigiert werden. Die gesetzliche umlagefinanzierte Altersrente mit ihrem Solidarausgleich muss auch in Zukunft für den Normalfall langjähriger voller Erwerbstätigkeit im Alter die Lebensexisenz absichern.

Für eine zusätzliche Alterssicherung können kapitalgedeckte Alterssicherungssysteme angeboten und genutzt werden. Dabei ist der Schutz der Anleger zu verbessern. Die Bedingungen für die öffentliche Förderung der Riesterrente sind nicht ausreichend. Dringend angebracht sind auch hier mehr Transparenz und eine Entflechtung der Macht zwischen Finanzindustrie, Politik und Wissenschaft.

URSULA ENGELEN-KEFER

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1 Kommentar

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  • KM
    Karl Marx

    Immer wieder derselbe Dummfasel:

    Es gehen keine Werte verloren, diese "Werte" waren fiktiv, sie haben nie existiert, sie sind nur monetarisiert worden.

    Solange die Unterscheidung zwischen Wert, Geld und Preis nicht begriffen wird verbleibt man im Irrtum, das System sei gut, nur die Menschen schlecht.

    Lest Marx, Das Kapital.